Gelassen durch die Feiertage

von Eva Bistrick

Glühwein, Geschenke, Gänsebraten – und mittendrin jede Menge Gefühle. Weihnachten ist für manche die schönste, für andere die anstrengendste oder einsamste Zeit des Jahres. Zwischen Familienpflichten, Erwartungen und alten Konflikten kippt die Stimmung oft schneller, als man „Frohes Fest“ wünschen kann. Warum das so ist, wie man mit Stress, Reizüberflutung und emotionalen Altlasten umgeht – und warum es völlig okay ist, wenn man einfach keine Lust auf Lametta hat – Eva Bistrick hat sich für B304.de umgehört.

Gerlinde Schöttler-Willenberg, ehemalige Psychotherapeutin

Wie überstehen wir Weihnachten, ohne uns zu verlieren?

Gerlinde Schöttler-Willenberg: „Es ist sicher hilfreich. Konflikte, wenn sie auftauchen (nämlich das ganze Jahr über), anzusprechen und so gut wie möglich zu lösen. Dann wird auch die übertriebene Erwartung kleiner, dass Weihnachten um jeden Preis konfliktfrei bleiben muss.”

Claudia Eichenlaub, zertifizierte Ordnungsexpertin

Claudia Eichenlaub: „Der beste Weg durch turbulente Weihnachtstage? Frühzeitig Ordnung schaffen. Wer jetzt schon sein Zuhause auf Besuch von Familie und Freunden vorbereitet, erspart sich den hektischen Aufräummarathon kurz vor dem Fest. Überflüssiges loszulassen und sich nur mit Dingen zu umgeben, die man wirklich mag und braucht, Klarheit und Freiraum, das alles ist vielleicht das schönste Weihnachtsgeschenk an sich selbst.“

Ulrike Wolz (Foto: privat)

Ulrike Wolz, „Vorleserin“:
„Ich vertraue bei Stress oder schlechter Laune (was ist das?)  an den Feiertagen auf klassische Medien:

1. Weihnachtsgeschichte (Jeremy James wartet aufs Fest)
2. Weihnachtsquiz (Wieviele Nadeln hat ein durchschnittlicher Weihnachtsbaum?)
3. Weihnachtsfilm (Tatsächlich Liebe)“ (oder auch hier: Meine Xmas Filmtipps – B304)

Gabriele Schwolow aus Vaterstetten, ehem. Geschäftsführerin des Tierheims in München-Riem (Foto: Ilona Stelzl

Gabriele Schwolow: „Dankbarkeit, Achtsamkeit. Schreib Dir abends drei Dinge auf, die Dich heute gefreut haben – egal wie klein. Das trainiert das Gehirn, den Blick auf das Gute zu richten. Ich führe hierzu ein Achtsamkeitstagebuch – echt verblüffend!“

Carsten Stormer aus Vaterstetten lebt heute auf den Philippinen (Foto: privat)

Carsten Stormer: „Die Weihnachtszeit auf den Philippinen beginnt schon im September, sobald die sogenannten „Ber-Monate“ anbrechen, und erstreckt sich bis weit in den Januar hinein – eine der längsten und fröhlichsten Festzeiten der Welt. Ab dem 1. September erklingen in Einkaufszentren, Supermärkten und auf den Straßen ununterbrochen „Jingle Bells“, „White Christmas“ oder „Rudolph“ – drei Monate lang. Weihnachten ist für die Philippinen das wichtigste Fest des Jahres. Menschen reisen aus allen Landesteilen und sogar aus dem Ausland heim, Überseearbeiter kehren zu ihren Familien zurück. Überall spürt man eine Mischung aus Gelassenheit und Vorfreude: Es wird gemeinsam gefeiert, gebetet, gegessen und natürlich stundenlang Karaoke gesungen.

In dieser Zeit rückt das ganze Land zusammen. Weihnachten wird so zu einem warmen Atemholen am Ende eines Jahres, das nicht selten von Taifunen, Überflutungen, Erdbeben, Vulkanausbrüchen, politischer Unsicherheit und Korruptionsaffären geprägt war. Zwischen festlichen Messen, bunten Laternen, Musik und lachenden Familien entsteht eine Atmosphäre, in der sich tiefe Religiosität mit herzlicher Gemeinschaft verbindet. Diese besondere Mischung aus Glauben, Freude und Zusammenhalt hilft vielen Filipinos, selbst schwierige Zeiten mit Hoffnung und einem Lächeln zu überstehen.“

Carina Linner, Emotionscoach und Neuroresonanztrainerin aus Vaterstetten

Experten-Interview: Über den Umgang mit Gefühlen

Carina Linner ist zertifizierter Emotionscoach und Neuroresonanztrainerin aus Vaterstetten. Die 39-Jährige begleitet Menschen dabei, alte Muster zu erkennen und neue Wege im Umgang mit Gefühlen zu finden.

Frau Linner, viele Menschen freuen sich auf Weihnachten – und doch eskaliert es gerade dann oft wegen Kleinigkeiten. Warum?

Das liegt nicht an mangelnder Liebe, sondern an unserem Nervensystem. Weihnachten bringt Menschen zusammen, die eine gemeinsame Geschichte haben – und damit auch alte Dynamiken. Ein Satz, ein Tonfall, ein Blick genügt, und wir reagieren als wären wir wieder zwölf. Das ist kein persönliches Versagen, sondern ein ganz normaler psychologischer Ablauf: Unser Körper erinnert sich an alte Signale und ruft automatisch frühere Rollen ab.

Das heißt, wir reagieren gar nicht auf das Jetzt?

Genau. Wir handeln oft aus gespeicherten Emotionen heraus. Das erklärt, warum wir uns plötzlich getriggert fühlen, obwohl die Situation objektiv harmlos ist. Der Kopf denkt: „Alles gut“, aber der Körper spürt etwas anderes. Und genau da beginnt die Chance, alte Muster zu durchbrechen.

Wie gelingt das konkret ?

Der erste Schritt ist: innehalten. Atme fünf Sekunden ein, fünf Sekunden aus, spüre den Boden unter deinen Füßen. Das bringt dich aus der Vergangenheit ins Hier und Jetzt. Und versuche, nicht nur auf das Verhalten zu schauen, sondern auf das Bedürfnis dahinter. Vielleicht will das Gegenüber gar nicht kritisieren, sondern einfach helfen. Allein diese kleine Perspektivverschiebung entspannt vieles.

Viele wünschen sich an Weihnachten Harmonie – und sind enttäuscht, wenn es nicht so klappt. Wie können wir damit umgehen?

Indem wir Erwartungen loslassen. Es muss nicht so magisch werden wie als Kind. Wähle stattdessen bewusst einen einzigen Moment, der dir guttut – ein Spaziergang nach dem Essen, ein echter Blickkontakt, ein stilles Dankbarsein. Harmonie entsteht nicht durch Perfektion, sondern wenn wir uns selbst bewusst begegnen.

Was tun, wenn jedes Jahr dieselben Themen hochkommen?

Dann lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Trigger sind keine Feinde, sie zeigen, wo alte Wunden noch gesehen werden wollen. Wenn wir verstehen, was hinter einem Gefühl steckt, können wir es verwandeln. Ärger zeigt oft, dass wir Einfluss wollen. Traurigkeit zeigt, dass wir uns Harmonie anders vorgestellt haben. Angst zeigt, dass wir mehr Struktur brauchen. Gefühle sind keine Gegner – sie sind Wegweiser.

Was geben Sie Menschen mit, die Weihnachten am liebsten ausfallen lassen würden?

Auch das ist völlig okay. Vielleicht darf dieses Jahr einfach ruhiger werden. Wichtig ist, sich selbst bewusst zu begegnen – ohne Zwang, ohne Schuld. Wenn wir aufhören, Weihnachten perfekt machen zu wollen, entsteht oft genau das: ein besonderer, echter Moment.