Wie wir eine S-Bahn bekamen

von Markus Bistrick

Vor über 140 Jahren, am 15. März 1871, wurde die Königliche Bayerische Staatsbahn von München über Grafing (Bhf.) nach Rosenheim eröffnet. Sie war eine „Ergänzungsbahn“  ur Maximiliansbahn, welche seit 1857 von Ulm kommend über München und Holzkirchen bis Kufstein durch das enge, kurvenreiche Mangfalltal „dampfte“. Die neue Strecke durchschnitt nun die Baldhamer und Vaterstettener Fluren. Jedoch gab es für beide Dörfer keine Haltepunkte. Diese waren nur für Haar und Zorneding eingerichtet.

Etwa zur gleichen Zeit nahm mit dem Bau von Kartoffelbrennereien die Milchkuhhaltung in unseren Dörfern stetig zu, da das Abfallprodukt Kartoffelschlempe als wertvolles Viehfutter zur Verfügung stand und frische Milch ein wichtiges Nahrungsmittel für die Münchner Stadtbevölkerung war. Täglich lieferten Bauern mit ihren Fuhrwerken Milch in die Stadt und entnahmen aus abgedeckten Dunggruben den Mist privater Tierhalter. Den zusätzlichen Dünger konnten sie gut für ihre kargen Felder gebrauchen. Um sechs Uhr früh mussten sie das Stadtgebiet wieder verlassen haben. Der Milchtransport mit der Bahn wurde für unsere Bauern erst nach dem zweigleisigen Ausbau der neuen Bahnstrecke im Jahre 1894 möglich. Baldham und Vaterstetten bekamen Bedarfshaltestellen. Dorthin brachten die Bauern in aller Herrgottsfrüh ihre vollen Kannen und holten abends die zurückgelieferten leeren Kannen wieder ab.

Von 1907 bis 1934 verkehrte ab Grafing (Bhf.) um drei Uhr früh sogar ein eigener Milchzug, bis eine Verordnung des Reichsnährstands vorschrieb, dass ungekühlte Milch die Stadtgrenze nicht mehr passieren dürfe. Daraufhin gründeten 16 Landwirte die Molkereigenossenschaft Haar. Ein eigener LKW übernahm nun den Milchtransport. In den Dörfern wurden Sammelstellen (Millibankerl) eingerichtet, an denen damals 53 Milchlieferanten ihre Kannen zur Abholung bereitstellten.

Die Zeiten haben sich geändert. Heute gibt es nur noch drei Milcherzeuger. Die ehemalige „Milchstrecke“ ist eine stark frequentierte S-Bahn Linie. Aus den Bedarfshaltestellen wurden am 1. Mai 1897 Haltestellen für den Personenverkehr. Heute sind es unsere S-Bahn Stationen. (Foto: © 2011 MVV GmbH)