Vom Abenteuer, einen Igel zu fotografieren

von Wolfram Franke

Manche Gewissheiten im Garten erweisen sich mitunter im Handumdrehen als Irrtum. So erging es mir, als ich einen Igel mit Nacktschnecken füttern wollte. Er mochte sie einfach nicht! – Warum nur?

Ein Igel wohnt seit Jahren in unserem Kreativgarten. Ich sehe ihn zwar selten, doch so manche Hinterlassenschaften auf den Wegen schreibe ich ihm zu. So weiß ich, dass er immer noch da ist. Und manchmal begegnet er mir sogar am hellen Tag. Zum Beispiel vor ein paar Jahren: Da saß er auf der knapp zwei Meter hohen Trockenmauer genau in meiner Augenhöhe und schaute mich an. Er hatte sich noch nicht einmal zusammengerollt. Leider hatte ich gerade in diesem Augenblick keine Kamera bei mir. Ein anderes Mal sah ich ihn rund um den Badeteich spazieren und dann schließlich den Erdwall ansteuern. Ich ging ihm nach, um herauszufinden, wo er seinen Unterschlupf hat. Doch keine Chance! Er verschwand im Dickicht der Stauden. Doch ich hatte ohnehin wieder keine Kamera dabei.

Vor ein paar Jahren, gegen Abend, als ich gerade Schnecken absammelte, sah ich ihn plötzlich am Fuß der kleinen Ziegeltrockenmauer, die den Feuerplatz begrenzt. So richtig zusammengerollt hatte er sich noch nicht, doch den Kopf eingezogen. Ich hätte ihn doch zu gern in voller Schönheit fotografiert. Doch ehe er sich ganz zusammenrollen oder verschwinden würde, knipste ich ihn so gut es ging. Dann kam mir eine Idee: Noch nie habe ich ein Foto gesehen, auf dem ein Igel gerade eine fette Nacktschnecke verspeist. Es wäre doch toll, wenn ich ein solches Foto schießen könnte!

Ich hob ihn vorsichtig auf und legte ihn an den oberen Rand der kleinen Ziegeltrockenmauer. Der Igel rührte sich nicht, rollte sich aber auch nicht zusammen. Er stellte sich schlafend. Dann ging ich zu den Gemüsebeeten und drehte ein paar von den Brettern um, die als Trittpfade dienen. Darunter haben sich immer einige Schnecken verkrochen. Ich sammelte ein paar davon auf und legte sie ihm vor die Nase. Der Igel stellte sich weiterhin schlafend. Sicher fühlt er sich von mir gestört, dachte ich, ging einige Schritte weit weg und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.

Da! Plötzlich war er wieder auf allen vier Beinen und lief davon, ohne die Schnecken nur eines Blickes zu würdigen. Ich lief ihm hinterher. Doch er verkroch sich zwischen Stauden. Schließlich lief er weiter, unter den Holunderstrauch, wo wenig anderes wächst und er sich nicht verkriechen kann. Da konnte ich ihn endlich erwischen und im nicht zusammengerollten Zustand ganz aus der Nähe fotografieren. Gleich darauf lief er davon und ward nicht mehr gesehen. Wo er sein Winterquartier hat, weiß ich noch immer nicht. Dabei habe ich ihm einige Möglichkeiten geschaffen! Doch wie ich den kleinen Kerl einschätze, hat er sich längst an anderer Stelle etwas geschaffen.

Dieses Erlebnis habe ich schon einigen erzählt. Einmal wurde ich aufgeklärt, dass ich einem weit verbreiteten Irrtum aufgesessen bin. Der Igel mag in der Regel keine Schnecken. Er ist ein Insektenfresser. Seine Nahrung besteht aus Asseln, Laufkäfern, Nachtfaltern, Ohrwürmern und anderen Insekten, darüber hinaus auch Regenwürmern. Nur wenn er seine gewohnte Nahrung nicht findet, greift er notgedrungen auf Schnecken zurück. Von denen kann er sich allerdings Parasiten einfangen und im schlimmsten Fall sogar an dieser Nahrung sterben. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich erst die Siebzig überschreiten musste, um das zu erfahren! Dieses Erlebnis zeigt aber auch, dass nicht jedes Lebewesen der Einteilung aus unserer menschlichen Sichtweise in „Nützling“ oder „Schädling“ gerecht werden muss. Der Igel ist einfach ein liebenswertes kleines Tier, und wir sind glücklich darüber, dass er schon