“Unglückliche Verkettungen”

von Markus Bistrick

„Willst du gefi… werden“, „Koitus“ oder „Ich stecke ihn in deinen Ar…!“ – an der Grundschule Neukeferloh gibt es derzeit eine heftige Diskussion darüber, ob bereits Sechs- bis Zehnjährige im Unterricht mit derartigem Vokabular konfrontiert werden müssen, um für „Jugendsprache“ sensibilisiert zu werden. Im Rahmen eines Projekts hatte die Jugendsozialarbeiterin entsprechende „Arbeitsblätter“ an die Kinder verteilt und damit für teilweise heftige Proteste gesorgt. „Hierbei ging es um eine reflektorische Herangehensweise an möglicherweise beleidigende Ausdrücke“, heißt es dazu auf B304.de Nachfrage in einer gemeinsamen Stellungnahme der Schulleitung und des Kreisjugendrings.

Bis zur vergangenen Woche war die Welt an der Birkenstraße 6 in Neukeferloh vermeintlich in Ordnung. Doch seit am Montag (15.6.) vereinzelt Schüler – übrigens aller Jahrgangsstufen, also von 1 bis 4  – mittags mit „Arbeitsblättern“ nach Hause kamen, auf denen sich Beleidigungen finden wie: „Ich hab als Kind gegen Dinge gepinkelt, die schlauer waren als deine Mutter“ oder „Deine Mutter ist zu blöd, um eine leere Schublade aufzuräumen“, hängt der Haussegen schief. Zahlreiche Eltern sind empört, die Jugendsozialarbeiterin ist seit Donnerstag krank gemeldet, der Elternbeirat alarmiert und die Schulleitung um Schadensbegrenzung bemüht.

“Bewertung nur aus dem Kontext heraus möglich”

Rektorin Andrea Pelters betont in einem heute an die Klassenelternsprecher verteilten Schreiben die Selbstständigkeit und die eigene Verantwortung der Jugendsozialarbeiterin, die dem Kreisjugendring und nicht der Schule unterstellt sei. „Frau F. wurde mehrfach von der Schulleitung darauf hingewiesen, den Inhalt pädagogisch äußerst sensibel mit den Kindern zu bearbeiten“, heißt es auf B304.de Anfrage in einer gemeinsamen Stellungnahme der Schulleitung und des Kreisjugendrings. Und weiter: „Die Bewertung der Durchführung des Projekts ist nur aus dem Kontext heraus möglich, da es weitere Anweisungen in der pädagogischen Durchführung gab. Die Arbeitsblätter ohne diesen Kontext weiterzugeben erhellt schwer ein Verständnis für die Arbeit von Frau F. Leider ist es hier versäumt worden den Eltern Informationen zukommen zu lassen, ein bedauerlicher Fehler, der viele Missverständnisse schon im Vorfeld ausgeräumt hätte.“ Seit längerem schon kritisiert der Elternbeirat die Informationspolitik der Schule. Bislang vergebens, wie uns mehrere Mitglieder sagten.

Auslöser von “Beschwerden und Missverständnissen”: Arbeitsblätter, die im Rahmen eines Projekts der Schulsozialarbeiterin an der Grundschule Neukeferloh an einzelne Schüler Jahrgangsstufen 1 bis 4 verteilt wurden und B304.de im Original vorliegen.

Dass es unter den Schülern teilweise vulgäre Sprache und Beleidigungen gibt, bestreiten auch die Eltern nicht. Die Kritik richtet sich vielmehr dagegen, dass derartige Vokabeln nicht in Einzelfällen unmittelbar mit den Betroffenen besprochen wurden, sondern – in all ihrer Deutlichkeit – Teil eines Schulprojekts, also des Unterrichts waren. Denn neben den Mütterbeleidigungen gab es auch ein weiteres „Arbeitsblatt“ mit Handzeichen und deren „Übersetzungen“ wie: „Willst du gefi….werden?“ „diverse Beleidigungen um den Koitus“ oder „Ich stecke ihn in deinen Ar…!“. „Wenn Frau F. diese Textbeispiele vorgibt, bringt man die Grundschüler unnötig auf Ideen und verleitet ungewollt zu diesem Niveau“, heißt es in einem internen Schreiben des Elternbeirats. Dass F. mit ihren „Arbeitsblättern“ übers Ziel hinausgeschossen ist, wurde ihr offenbar später selbst klar. Jedenfalls berichteten mehrere Projektteilnehmer – allesamt im Alter von sechs bis zehn Jahren –ihren Eltern, dass sie Tags drauf aufgefordert wurden, die entsprechenden Blätter zu vernichten und nicht mit den Eltern darüber zu sprechen.

“Gute Schulsozialarbeit”

Das Projekt „Jugendsprache“ war vergangene Woche im Rahmen der Projektwoche „Multi-Kulti“ an der Grundschule Neukeferloh angeboten worden – von Christine F.. Sie ist, auf Initiative der damaligen Rektorin Christina Buchner, seit dem 1. Oktober 2010 als Jugendsozialarbeiterin an der Schule tätig. Die Gemeinde Grasbrunn kostet die Stelle knapp 30.000 Euro pro Jahr (2015), weitere 30.000 Euro übernimmt der Landkreis München. „In der Vergangenheit gab es einen großen Anteil an körperlich aggressiven Kindern. Dies, sowie in der Vergangenheit aufgetretene Mobbingfälle haben durch die gute Schulsozialarbeit von Frau F. abgenommen”, heißt es zur Begründung aus dem Rathaus. In der Nachbargemeinde Vaterstetten – mit ihren insgesamt sieben Schulen – gibt es eine vergleichbare Position übrigens nicht.

„Trotz dieser unglücklichen Verkettungen zum Projektteil „Jugendsprache“ kam die wichtige Projektwoche „Multi-Kulti“ mit 14 weiteren Themen bei unseren Kindern sehr gut an und kann insgesamt positiv bewertet werden“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme des Kreisjugendrings und der Schulleitung an B304.de weiter. Was die Projektwoche in ihrer Gesamtheit anbelangt, deckt sich die Aussage auch mit der Meinung der Schüler und der Eltern. Über die „unglücklichen Verkettungen“ gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten.

 

Hier die gesamte gemeinsame Stellungnahme des Kreisjugendrings und der Schulleitung auf die B304.de Fragen im Wortlaut zum Download:

230615_Antwort zur Presseanfrage_KJR_GS