Servus Schorsch!

von Markus Bistrick

Heute (30.4.) ist der letzte Arbeitstag von Vaterstettens Bürgermeister Georg Reitsberger. Altersbedingt konnte der 67-Jährige Landwirt nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren. Wir haben mit ihm sehr offen über persönliche Enttäuschungen, seinen umstrittenen Führungsstil und die eigene Zukunft gesprochen.

LIVING&style: Heute ist Schluss mit Bürgermeister. Was überwiegt: Erleichterung oder Wehmut?
Georg Reitsberger: Ich habe das Amt des Bürgermeisters gerne ausgeübt – trotz der ganzen Belastungen, die so eine verantwortungsvolle Tätigkeit mit sich bringt. Ich kann auch von mir sagen, dass ich das Amt mit dem mir möglichen Einsatz würdevoll ausgeübt habe und denke auch, dass ich einen guten Stand in der Öffentlichkeit gehabt habe. Und: Ich bin die ganzen sechs Jahre lang nicht angefeindet oder bedrohlich attackiert worden, so wie es aktuell ja fast täglich in den Medien über Kommunalpolitiker berichtet wird. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich grundsätzlich kein Streithansel bin und Dinge lieber in einem konstruktiven Gespräch kläre.

Ist Harmoniesucht nicht kontraproduktiv für das Amt des Bürgermeisters?
Mein persönlicher Referent, Georg Kast, und auch mein Stellvertreter, Martin Wagner, sind da ganz anders drauf. Ich hab dann immer die beiden vorgeschickt – insbesondere bei kniffligen Verwaltungsfragen. Aber gerade Martin Wagner hat sich ohnehin immer um alles gerissen und bei vielen Belangen gleich von Anfang an geschaut, ob ich nicht ohnehin als Grundstückseigentümer oder wegen Verwandtschaft befangen bin und gar nicht bei der Entscheidung mitwirken darf. Aber, und das sage ich ganz klar: Bei Themen, die mir persönlich sehr wichtig waren – unter anderem die Rettung des Hauses am Neufarner Berg – habe ich das auch gegen den Willen der Verwaltung durchgezogen und mit meiner Unterschrift die persönliche Verantwortung übernommen.

Nochmal zurück zur Frage: Wie denken Sie über Ihr Dienstende?
Naja, ich habe ja die ganze Zeit gewusst, dass ich aus Altersgründen nicht mehr antreten darf, insofern habe ich mich damit arrangiert.

Am Abend des 6. Oktobers 2013, als feststand, dass Sie zum Bürgermeister gewählt wurden – was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?
Ehrlich gesagt, habe ich es vorher nicht für möglich gehalten, dass ich es tatsächlich werden würde. Aber wenn man weiß, dass man das Vertrauen von so vielen Bürgern hat, dann strengt man sich auch an. Und ich habe das Amt nie nachlässig ausgeübt. Aber gerade am Anfang muss man schon sehr viel dazulernen. Ich hatte vorher ja nicht wirklich viel mit Verwaltungsangelegenheiten zu tun gehabt. Dazu kommt, dass viele Dinge bereits in der Planung sind, wenn man das Amt übernimmt, hinter denen man vielleicht gar nicht steht. In meinem Fall waren das zum Beispiel die völlig überdimensionierten Planungen zum Ortszentrum in Vaterstetten.

Warum sind Sie damals angetreten?
Die CSU hatte damals innerparteiliche Querelen und die sollten dann mit Frau Littke als Kandidatin aus der Welt geschafft werden. Frau Littke war und ist für mich im Rathaus als Leiterin des Bauamts in dieser Funktion die beste Besetzung. Sie macht einen tollen Job. Ich wollte damals, dass sie das auch weitermacht und dazu kam, dass mich meine Fraktionskollegen angestachelt haben, dass das Amt des Bürgermeisters jetzt mal ein gestandener, ortsverbundener Bürger machen soll.

Würden Sie es heute nochmal machen?
Ich sage einmal diplomatisch: Heute bin ich älter und denke über manche Dinge anders als damals. Man kann sich auch mit anderen Dingen in der Gemeinde einbringen. Ich habe das aber definitiv damals gemacht, weil meine Kinder alt genug waren und verschiedene Aufgaben auf dem Familienhof übernehmen konnten und wollten.

Wovor hatten Sie beim Amtsantritt den größten Respekt?
Mein größter Horror waren immer die langen Ansprachen, die man als Bürgermeister beim alljährlichen Neujahrsempfang halten muss. Da habe ich mir immer gedacht, was sagt man denn da alles. Mein Vorgänger (Anmerkung: Robert Niedergesäß) zelebriert seine Reden und Alt-Bürgermeister Peter Dingler hat das zudem noch in einer ganz besonderen Weise getan. Da hat man schon großen Respekt! Das Anzapfen auf dem Volksfest war auch immer so eine Sache: Wenn man auf die Bühne geht und einen über tausend Leute erwartungsvoll anschauen, dann ist das schon nicht ganz ohne. Wehe, wenn’s nicht funktioniert.

So wie 2013 bei Martin Wagner, Ihrem Stellvertreter.
(lacht) Ja, der hat mit dem Bier den Landrat geduscht, weil ihm der Hahn abgehauen ist. Ich habe das sportlich genommen und es beim letzten Mal sogar mit einem einzigen Schlag hinbekommen. Ich habe dann nur noch einen zur Sicherheit nachgesetzt.

Georg Reitsberger im B304.de Interview über seine Amtszeit: Heute (30.4.) ist Schluss mit Bürgermeister der Gemeinde Vaterstetten. (Foto: Ilona Stelzl)

Angeblich gibt es sogar spezielle Kurse zum Anzapfen für Bürgermeister.
Ja, die gibt’s. Da war ich aber nie – Herr Wagner schon, hat aber nichts geholfen.

Sie verabschieden sich heute komplett von der Gemeindepolitik und haben auch nicht mehr für den Gemeinderat kandidiert. Warum?
Wenn sich ein Austragler in die Arbeit seines Nachfolgers einmischt, das kommt nicht gut an. Das ist in der Landwirtschaft nicht anders: Wenn der Alte ein rechter Gschaftlhuber ist, dann können die Jungen gar nichts recht machen. Meine Meinung kann ich auch ohne politisches Mandat frei äußern. Wurscht ist‘s mir nicht, wie die Gemeinde künftig gestaltet wird. Das sage ich ganz deutlich.

Es gibt Bürger, die sind von Ihnen enttäuscht, weil Sie gehofft hatten, dass in Ihrer Amtszeit endlich weniger gebaut wird. Das Gegenteil war der Fall.
Genau das denke ich mir auch. Aber im Ernst: Ich kann die Enttäuschung verstehen, mir ist jede Form der Flächenversiegelung ein Dorn im Auge. Doch die Zeit bleibt nicht stehen und die Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, werden immer größer und unsere unterdurchschnittlichen Steuereinnahmen reichen dafür leider nicht ansatzweise aus. Ein Beispiel ist der Neubau der Grund- und Mittelschule. Das hätten wir ohne den Verkauf von dem gemeindlichen, 8 Hektar großen Grundstück in Vaterstetten Nord-West finanziell niemals stemmen können. Aber ehrlich gesagt, was man als Bürgermeister zu tun oder zu lassen hat, sagt einem ja ohnehin der Gemeinderat. So sieht es die bayerische Gemeindeordnung vor. Der Bürgermeister selbst darf über kleinere Sachen entscheiden, zum Beispiel, wem er zum Geburtstag gratuliert (lacht).

Kritik gab es mitunter auch an Ihrer mangelnden Führungskompetenz.
Ein Bürgermeister muss schauen, dass im Rathaus die Arbeit funktioniert. Das Fachwissen haben die Ämter. Aber ich gebe zu, ich habe den Ämtern viele Freiheiten gelassen. Energisch durchgreifen, mich Aufmandeln, ist nicht mein Stil. Im Nachhinein regelt sich vieles von alleine. Mir war der respektvolle Umgang mit den Bürgern wichtig.

Teilweise hinter vorgehaltener Hand, teilweise ganz offen, haben sich manche über Ihre Ansprachen, Ihre Statur, Ihre Gesundheit und manches mehr lustig gemacht. Hat Sie das persönlich verletzt?
Nein. Ich bin ein positiv denkender Mensch – wird mir immer wieder gesagt – der ungern „Nein“ sagt und gerne machen würde, was machbar erscheint. Leider sind gesetzlich oft Grenzen gesetzt oder große Hürden zu nehmen. Von Verwaltung und Gemeinderat wurde ich dementsprechend immer wieder eingebremst. Als gestalterischer, freidenkender Mensch mit vielen Ideen bekommt man besonders im Bürgermeister-Amt viele Zwänge und Hindernisse zu spüren.
Ein gewisses Lampenfieber konnte ich bei öffentlichen Ansprachen nie verbergen, deshalb hatte ich meistens selbstverfasste Manuskripte dabei, für kurze, prägnante Ansprachen. Humor und Witz sollten aber nie fehlen, die Würde des Amtes war mir stets bewusst.
Als ein lebenslang körperlich arbeitender Mensch, der auf Sport verzichten konnte, zeigen Arbeiten am Schreibtisch und die oft unendlichen Sitzungen Auswirkungen auf die Leibesfülle, noch dazu, wenn man kein Kostverächter und bayerischen Speisen und Getränken sehr zugetan ist. Der Gesundheit war es bisher nicht abträglich, in der sechseinhalbjährigen Amtszeit war ich keinen Tag krankgeschrieben.

Was ist Ihnen rückblickend besonders in Erinnerung geblieben?
Vieles, zuletzt mein Besuch anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Partnerschaft in Alem Katema im Oktober vergangenen Jahres. Als wir dort angekommen sind, hieß es schon, dass es schwere Unruhen gibt. Überall war Bürgerwehr und Militär, man hat Sprechchöre und Schüsse gehört und an manchen Stellen hat es gebrannt. Wir haben uns dann alle im Gästehaus von Karl-Heinz-Böhm eingesperrt. Es gab nichts zum Essen und zum Trinken. Vor aller Augen wurde dann in der Not ein Schaf geschlachtet und das Fell abgezogen. Es gab nur Wasser, es war ein eindrucksvolles Erlebnis, mit dem man seine Heimat zu schätzen lernt.

Apropos Heimat: Ihre Frau Karin ist nur selten in Erscheinung getreten. Hätten Sie sich manchmal mehr Unterstützung gewünscht?
Wir beide kennen uns und tolerieren unsere unterschiedlichen Einstellungen zu Tierhaltung und Politik. Meine Frau liebt den Umgang mit Tieren und hat eine sehr reservierte Einstellung in Sachen Politik. Ihre oft impulsiven, spontanen Meinungsäußerungen würden ein auf Konsens ausgerichtetes Gremium, wie den Gemeinderat, stören und damit meine Arbeit beeinträchtigen – so ihre Bedenken. Deshalb wird daheim über Gemeindepolitik nur wenig gesprochen, meistens geht es um unseren Hof. Sie hat mein Amt aber gerne mitgetragen und hat es auch geschätzt, dass mir die Bürger dieses Amt zugetraut haben. Sie hat aber gleich zu Beginn gesagt, dass sie die First Lady an der Seite des Bürgermeisters nicht machen möchte. Ich habe sie dann auch von offiziellen Auftritten, außer beim Neujahrsempfang, verschont.

Was wird Ihnen am Rathaus fehlen?
Grundsätzlich vorweg: Ich bleibe weiterhin ein aufmerksamer, engagierter und politisch interessierter Gemeindebürger. Was mir wirklich viel gegeben hat, waren die vielen Gespräche mit den Bürgern. Die aufwändigen Sitzungen, die oft wenig gebracht haben, werden mir mit Sicherheit genauso wenig fehlen wie ewig lange Gespräche für nichts. Was mir sicher abgehen wird, sind meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – insbesondere im Vorzimmer, wir haben ein sehr gutes Verhältnis miteinander gehabt. Die haben auf ihren Bürgermeister geschaut und ich habe auf meine Mitarbeiter Acht gegeben. Mit meinen Amtsleitern war das Verhältnis ein bisschen schwieriger, aber ich denke, dass auch wir uns gegenseitig respektiert haben. Ich werde auf alle Fälle auch künftig immer wieder mal im Rathaus vorbeischauen.

Ab dem 1. Mai sind Sie im Ruhestand. Was dann?
Wenn ich jetzt als Ruheständler auf dem Hof bin, dann werde ich mich dort wieder mehr einbringen. Wenn man, wie ich, leidenschaftlicher Landwirt ist, dann kann man nicht lockerlassen. Ich werde mich aber auch noch intensiver mit der Ortsgeschichte und den Lebensgeschichten von Bürgern auseinandersetzen und mich im Gemeindearchiv entsprechend einbringen. Außerdem kümmere ich mich auch um die Obstbäume im Gemeindegebiet, die mir sehr am Herzen liegen und für die ich mich immer aktiv eingesetzt habe. Und dann bin ich ja auch wieder in den Kreistag gewählt worden und dürfte aufgrund meiner Stimmenzahl stellvertretender Landrat werden. Mir wird also definitiv nicht langweilig werden. Ich freue mich auf die Zeit.

Herr Reitsberger, besten Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde im März 2020 geführt.