Gartenzwerg, Deutschland-Fahne, ruheständig, die Haut von der Sonne ledrig gesengt, penibel die Thujenhecke trimmend und argwöhnisch zum Nachbarn spechtend – das Bild vom Kleingärtner ist schnell gezeichnet. Dabei ist dieses Klischee so überheblich wie falsch. Besonders, seit auch die Jüngeren die Schrebergärten für sich entdecken. Immer mehr Familien mit Kindern schätzen die Nähe zur Natur.
Matthew Fullerton, 38 Jahre alt, zweifacher Familienvater, Co-CTO eines Start- Ups zur Messung von Luftqualität und so ziemlich genau das Gegenteil von einem verstaubten Spießer. Geboren und aufgewachsen in Nordirland. Seit Ende 2019 Pächter von Garten 11 und 1. Vorsitzender des Vaterstettener Kleingartenvereins. Zusammen mit seiner Frau, einer Baldhamerin, die er in den USA kennenlernte, und ihren zwei Kindern bewohnen die Fullertons eine Wohnung im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses, der Garten ist ihr nötiger Ausgleich. Der ist nicht weit weg und die Pacht an die Gemeinde Vaterstetten – 75 Euro pro Jahr – fällt finanziell kaum ins Gewicht. Dazu kommen allerdings Wasserkosten, Vereins- und Landesverbandsbeiträge sowie 3.000 bis 6.000 Euro bei der Übernahme des Gartens, die aber – ähnlich wie bei einer Mietprovision – bei pfleglicher Behandlung zurückerstattet werden und natürlich auch die Kosten für die Gartenpflege. Egal: Vor allem während der Corona-Hochphase mit Stubenarrest und Homeoffice war das kleine Glück im Grünen als Fluchtpunkt Gold wert.
Insgesamt 22 Parzellen teilen sich in Vaterstetten seit 34 Jahren eine schlauchartige Fläche am Zornedinger Weg zwischen Gluck- und Johann-Sebastian-Bach- Straße. Die Sehnsucht ist groß, mit den Händen in der Erde zu buddeln, Eigenes anzubauen, die Ruhe zu genießen. Und wer einmal eine Oase der Entspannung ergattert hat, gibt sie nicht mehr so schnell her. Zwei bis drei Jahre dauert es im Schnitt, bis ein Garten frei wird – durch Wegzug oder weil die Gartenarbeit zu beschwerlich wird. Bis dahin heißt es Geduld haben und für 15 Euro pro Jahr auf der Warteliste Platz nehmen – die ist auf gerade einmal acht Anwärter begrenzt. Seit Juni 2020 hat es keine Veränderung gegeben.
Etwa 200 Quadratmeter groß ist jede Parzelle mit kleiner Laube und Terrasse. Fließend Wasser gibt es nur im Garten. Strom gelegentlich unter erschwerten Bedingungen. Toiletten? Fehlanzeige. Einige Häuschen haben einen kleinen Schlafplatz für die ein oder andere Übernachtung. „Ein dauerhafter Wohncharakter ist verboten“, so regelt es das Bundeskleingartengesetz einheitlich für alle 14.000 deutschen Kleingartenvereine mit ihren geschätzt rund fünf Millionen Mitgliedern. Einmal im Jahr trifft man sich bei einem Sommerfest, ein anderes Mal beim Volksfest-Einzug, ansonsten bleibt’s in der Regel beim gelegentlichen Plausch am Gartenzaun. Alles, nur keine Stereotypen.
Übrigens: Was heute immer stärker zum Trend wird, diente in den Anfangsjahren zu allererst der Selbstversorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten, sei es mit Nutzpflanzen oder durch Kleintierhaltung. Das wurde sogar in der ersten Kleingartenordnung von 1920 schriftlich festgehalten. Heute ist in den meisten Vereinsstatuten nur mehr vage von „kleingärtnerischer Nutzung“ die Rede – und auch die soziale Zusammensetzung der Mitglieder hat sich eben längst verändert. Doch so vielfältig die Gärten und ihre Bewohner heute aussehen, als Kind des Elends ist der Kleingarten vor allem eines: krisensicher und ein Stück Kultur.