Dem Stau in luftiger Höhe davon radeln

von Catrin Guntersdorfer

Wer will, dass die Menschen mehr Fahrrad fahren, muss visionär denken. Und wenn es nach den Bürgermeistern von Haar und Vaterstetten sowie dem Truderinger Bezirksausschusschef geht, sollen Radler künftig einen eigenen Hochweg auf dem Mittelstreifen der B304 bekommen. Ohne Zeitverlust an Ampeln oder Kreuzungen würde die rund 11 Kilometer lange Strecke ab der Rosenhof-Kreuzung in Baldham bis in die Stadt München führen und soll insbesondere für Pendler eine attraktive Alternative zum Auto darstellen, aber auch Freizeitradlern einen Mehrwert bieten. Heute haben die drei Politiker ihre Vision vom Radl-Highway vorgestellt und sind sich sicher: das Projekt „RS 304“ könnte zur Mobilitätswende führen. Jetzt wollen sie eine öffentliche Diskussion anstoßen, um dann in etwa einem Jahr Nägel mit Köpfen machen zu können. Kurzum: Ihre Meinung ist gefragt!

Die Idee hochwertiger Radschnellwege wurde bereits im Jahre 1900 in Kalifornien (USA) umgesetzt (California “Cycleway”), sie ist also nicht neu. Pionier für die Einrichtung von Radschnellwegen in Europa sind die Niederlande. Radschnellwege gibt es hier schon seit den 1980er Jahren und sind mittlerweile fester Bestandteil der niederländischen Mobilitätsstrategie. Längst hat die Idee viele Nachahmer gefunden. In Dänemark, Belgien, Großbritannien, aber auch hierzulande. Und: Erst vor zwei Jahren eröffnete in der chinesischen Millionenstadt Xiamen ein spektakulärer Radweg. Auf Stelzen gebaut führt der 7,6 Kilometer lange „Bicycle Skyway“ in fünf Metern Höhe durch die City. Ohne Ampeln und Kreuzungen und damit ohne Zeitverlust. Denn das Fahrrad ist für Pendler vor allem dann attraktiv, wenn sie mit höherer Geschwindigkeit vorankommen und sich das Radl nahtlos mit anderen Verkehrsmitteln verknüpfen lässt.

So könnte der Radschnellweg “RS 304” nach der Vorstellung von Haars Bürgermeister Andreas Bukowski und seinem Amtskollegen aus Vaterstetten, Leonhard Spitzauer, sowie Truderings Bezirksausschusschef Stefan Ziegler aussehen. (Foto: Gemeinde Haar)

Kein Ausspielen anderer Verkehrsteilnehmer

Haar, Vaterstetten und Trudering eint die hohe Verkehrsdichte. Insbesondere über die Hauptverkehrsader B304. Auf der anderen Seite lassen nicht erst seit Corona immer mehr Menschen ihr Auto stehen und nehmen das Fahrrad. Deshalb haben sich Haars Bürgermeister Andreas Bukowski, Vaterstettens Bürgermeister Leonhard Spitzauer und der Vorsitzende des Bezirksausschusses Trudering-Riem, Stefan Ziegler, quasi auf dem kleinen Dienstweg getroffen und ihre Visionvom „RS 304“ entwickelt.

„Eine echte Mobilitätswende Richtung Radfahren ist nur dann möglich, wenn eine attraktive Alternative geboten wird, deren Vorteile so stark sind, dass ein Umstieg im großen Umfang geschieht“, sagte Haars Bürgermeister Andreas Bukowski in der heutigen Online-Pressekonferenz. Ganz entscheidend sei hierbei, dass die Strecke hindernis- und barrierefrei sei, damit schnell und sicher. „Dabei war uns die Koexistenz aller Verkehrsarten wichtig“, bekräftigt Stefan Ziegler, Chef des Bezirksausschusses Trudering-Riem. „Kein erhobener Zeigefinger, sondern ein Zusatzangebot. Eine intelligente Lösung im begrenzten Straßenraum ohne der Trasse der B304 eine Fahrbahn wegzunehmen.“

 

Umland-Gemeinden und die Stadt München miteinander verbinden, gekappte Verbindungen erneuern und nachhaltige Mobilität erleichtern, das ist der Kern der Idee.

 

Beginnen solle der Radschnellweg, so die gemeinsame Vision (Stand heute), an der Rosenhof-Kreuzung in Baldham. Was sich konkret an dem Fahrradweg entlang der B304 in dem Teilabschnitt bis zur Gemeinde Haar, der lediglich durch zwei Kreuzungen mit Ampeln unterbrochen wird, verändern soll, konnte uns Vaterstettens Bürgermeister Leonhard Spitzauer nicht wirklich beantworten. Die Strecke könne auch über den bestehenden Radweg geführt werden, dort, wo es möglich ist, so Spitzauer. Doch spätestens ab der Kreuzung nach der Autobahn in der Gemeinde Haar wäre eine Beschleunigung des Fahrradwegs durchaus sinnvoll. Nach den Plänen der drei Politiker solle sie dort aufgeständert, auf dem Mittelstreifen der B304 verlaufen und mittels Brücken mit den Radwegen der Gemeinden oder der Stadt München verbunden werden.

 

Große Vorhaben brauchen Vorlaufzeit

Ein Finanzierungskonzept gibt es aktuell genauso wenig wie eine Machbarkeitsstudie oder Gespräche mit den jeweiligen Gemeinde- oder Kreisräten, Landräten, weiteren Bürgermeistern, etwa der Gemeinde Grasbrunn oder Zorneding, der Stadt München oder dem für die B304 verantwortlichen Bundesverkehrsministerium. Dass die drei CSU-Politiker bei ihrer Vision vom „RS304“ Verbündete brauchen ist ihnen klar, doch ging es nach eigener Aussage mit dem heutigen Termin zunächst darum, der Öffentlichkeit ihre Idee vorzustellen und abzuwarten wie die Reaktionen ausfallen. Insofern: Fühlen Sie sich ermuntert, diese Vision an dieser Stelle zu kommentieren. Bereits in der heutigen Pressekonferenz kam die Anmerkung, die bereits aufgenommen wurde, auch über eine Überdachung nachzudenken. In etwa einem Jahr will man dann Bilanz ziehen und die nächsten, konkreteren Schritte einleiten.

 

Nicht nur reden, sondern handeln

Große Vorhaben brauchen viel Vorlaufzeit, das wissen auch die drei CSU-Politiker. Deshalb hat das Trio bereits eine pragmatische Lösung in petto. „Mittelfristig planen wir die Umsetzung eines Radwegs parallel zur Bahnlinie“ sagte Leonhard Spitzauer. „Die Kriterien für einen Radschnellweg können dort allerdings nicht erfüllt werden.“ Der unbefestigte Waldweg existiert bereits und wird von den Vaterstettenern wie Haarern gern genutzt, sofern der Untergrund trocken ist. Asphaltiert und beleuchtet wäre die Bahnparallele deutlich aufgewertet und besser frequentiert. Langfristig sind beide Trassen sinnvoll, um den Radverkehr zu stärken, davon sind Bukowski, Spitzauer und Ziegler überzeugt. Für mehr Mobilität und mehr Klimaschutz im größeren Maßstab brauche es jedoch einen richtig großen Wurf. Das große Potential, das in der Radschnellbahn steckt, könne Veränderungen im großen Stil ermöglichen.

 

Politiker mit Visionen und Weitsicht genießen genauso Seltenheitswert wie der Blick über den Tellerrand, also interkommunale Zusammenarbeit. Schon deshalb ist es sinnvoll sich sachlich mit diesem äußerst ehrgeizigen Projekt auseinanderzusetzen und ganz grundsätzlich einen engeren Austausch zwischen den Gemeinden ausdrücklich zu begrüßen. Und es ist ja nicht so, dass es vergleichbare, bereits realisierte Radschnellwege nicht schön gäbe. In diesem Sinne: „Wer andere Lösungen vorschlägt, wie er sich eine Alternative auf das Rad vorstellt, ist herzlich willkommen. Aber wir fordern dann auch Konkretes ein“, so Haars Bürgermeister Andreas Bukowski.

Text: Markus Bistrick