„Mama, Du schaffst das!“

von Markus Bistrick

Im Haushalt der Engehausens in Baldham tummeln sich bisweilen bis zu vier Kinder. Alles Mädchen. Zwei gingen aus der ersten Ehe von Tinas Mann Dirk, Geschäftsführer bei Schleich und ehemaliger LEGO-Europachef, hervor. Beide Töchter sind volljährig und studieren. Zwei weitere haben Tina und Dirk gemeinsam: Ella 10 und Leonora 6 Jahre alt. Und da wäre noch das fünfte „Baby“: Martha. Denn „Martha with Love“ ist das Kleiderlabel, das die Baldhamerin am 14. September 2019 auf die Welt gebracht hat. Mit viel Liebe, aber auch nicht ganz ohne „Geburtsschmerz“. Und mit einem genauso durchdachten wie leidenschaftlichen Konzept, das künftig Schule machen könnte.

 

Wie alles begann? Im Jahr 1994 zog es Tina zum Studieren in die USA. Sie lebte in New York, genoss den US-Vibe, auch wenn ihr Bankkonto in der Stadt, die niemals schläft, oft schon am 3. des Monats für die Miete geschröpft war. Tina lebte nach eigenen Worten, arm wie eine Kirchenmaus, doch sie liebte das kosmopolitische Leben einfach viel zu sehr. So folgte auf ihr Wirtschaftsstudium ein Unternehmensberaterjob mit vielen Reisen zu unterschiedlichsten Klienten weltweit. Bis sie von Swarovski beauftragt wurde, in den Vereinigten Staaten eine Direktvertriebssparte zu konzipieren. Engehausen entdeckte mit dieser Aufgabe ihre Leidenschaft für Start-up-Unternehmen und die vielen Möglichkeiten, die damit einhergehen. Und letztlich auch die Leidenschaft für den Direktvertrieb an sich.

 

„Im Oktober 2018 habe ich mit meinen beiden Mitgründerinnen Marianne von Waldenfels und Stella Kist dann die Firma gegründet. Noch ohne Logo, ohne Kollektion, komplett ohne Logistik und vor allem ohne jede Produktion.“ Engehausen kann es heute noch kaum fassen, wie mutig das war.

Direktvertrieb, ja, hat man mal gehört: Vorwerk, Avon, Tupperware. Tür-zu-Tür-Verkauf, Empfehlungsmarketing, Verkaufsparties made in USA. Doch Tina erkannte das Besondere in diesem Vertriebsmodell und sah großes Potential: nämlich eine zukunftsträchtige Chance für Menschen, höchst flexibel Geld verdienen zu können. 10 Jahre lang beriet sie weitere Direktvertriebsunternehmen in Europa und in den USA, bis sie den Sprung ins kalte Wasser wagte. Mit „Martha with Love“. Ihrer eigenen Firma.

 

Martha, das war der Name von Tinas Großmutter. 1949 floh sie, selbst leidenschaftliche Schneiderin, mit ihrem Mann und ihrer fünfjährigen Tochter, Tinas Mutter, aus dem Osten von Chemnitz nach Augsburg. Dort musste sie wieder bei Null anfangen, arbeitete in einem Warenhaus – und nähte schon allein aus Kostengründen bis spät in die Nacht Kleidung für sich und ihre Familie. Um die private Erfüllung von Fashion-Träumen ging es damals nicht – vielmehr um die blanke Existenz. „Auch wenn meine Großeltern in dieser Zeit de facto nichts hatten – meine Oma sah immer aus wie Coco Chanel,” erzählt uns Tina Engehausen. „Martha with Love ist deshalb eine Hommage an die Frauen, die damals so gelebt haben wie sie und so den Weg für uns heute bereitet haben.“ Mit einem feinen Unterschied: Weder Martha noch andere Frauen hatten damals annähernd die Möglichkeiten wie heute. Für Engehausen war das der buchstäbliche „Tritt in den Hintern.“

 

„Wir gaben uns elf Monate Zeit, um all das auf die Beine zu stellen. Ich weiß noch, wie ich meiner Mutter damals ankündigte, dass wir am 14. September endlich mit unserer Konzept „live“ gehen würden. Meine Mutter sah mich entgeistert an: „Du weißt schon, dass an diesem Tag deine Oma Geburtstag hatte?“ Spätestens da war Tina Engehausen klar: Das ist ein Zeichen, die Geburt endgültig einzuleiten. An besagtem 14. September hatte sich das „Martha-Team“ bereits mit 14 Fashion-Consultants aufgestellt. Mittlerweile sind daraus 40 geworden – und natürlich soll die Fashion-Familie weiter wachsen. Nach Martha sind bei den Engehausens übrigens keine weiteren Babys geplant.

 

Die ersten Monate waren prügelhart

Das Feedback auf „Martha with Love“ spricht Bände und zeigt, welchen Nerv Tina Engehausen mit ihrer Idee getroffen hat. Sie tritt als Speaker auf Netzwerkveranstaltungen und Round Tables auf, wo es um „female empowerment“ geht. Die Frauen, die sie dort trifft, eint, dass sie an einem Punkt in ihrem Leben angekommen sind, an dem sie etwas ändern wollen. Raus aus dem Hamsterrad der Fremdbestimmtheit einer Anstellung. Endlich der Leidenschaft nachgehen, etwas mit Mode und Menschen zu machen. Hier und da etwas dazuverdienen, um sich persönliche Wünsche erfüllen zu können. Frauen mit kleinen Kindern sehnen sich nach einem Job mit großer zeitlicher Flexibilität – und Frauen, deren Kinder aus dem Haus sind, danach, ihre Karriere endlich selbst zu gestalten. Immer wenn Tina Engehausen dergleichen hört, weiß sie, dass ihre Mühen für etwas gut waren.

 

„Die ersten Monate waren prügelhart“, erinnert sie sich. „Wir haben Fehler gemacht, die wir trotz vieler Jahre Berufserfahrung und bei aller umsichtigen Planung und Vorausschau nie für möglich gehalten haben: Auf einmal merkten wir, wir haben die falschen Leute eingestellt. Oder Logistikprozesse unterschätzt.“ Hatte sich das Team zuviel vorgenommen? „Letzlich,“ resümiert die Baldhamerin mit dem Wissen, das sie heute hat, „sind es immer die Menschen, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Es braucht die richtigen Personen an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit.“ Die hat sie jetzt zusammen. „Alleine geht es nicht“, so Engehausen „es braucht ein Team.“

 

Die Baldhamerin Tina Engehausen in ihrem Büro in der Osterwaldstraße in München.

2020 wollten die drei Mitgründerinnen dann so richtig Gas geben. Doch: Corona kam dazwischen. „Unsere Terminkalender waren voll“, erinnert sich Engehausen an das Frühjahr. „Roadshows, Werbe-Events – alles geplatzt. Von 100 zurück auf Null. Doch letztlich haben wir in dieser Zeit viel gelernt: dass wir agiler sein, und erst einmal den Kern begreifen müssen, was eine gute Fashion Consultant überhaupt ausmacht, beispielsweise.“ Engehausen nutzte die Zeit, um eingehender mit den Frauen zu sprechen, die mit ihr arbeiten: Was ist wirklich notwendig, wie müssen wir agieren, um auf lange Sicht erfolgreich zu sein? Heute steht „Martha with Love“ trotz Corona solide da – doch natürlich tut es Tina Engehausen weh, wenn sie sieht, welches Potential ihnen wegen der Pandemie-Einschränkungen verlorengegangen ist. So viele Kontakte, so viele unwiederbringbare Chancen. Aber: Die plötzliche Dringlichkeit durch Corona hat viele Prozesse beschleunigt. „Martha with Love“ ist jetzt auf InstaLive und wirbt mit eigenen Videos der Fashion Consultants. Ohne Corona wäre das Martha-Team womöglich heute nicht annähernd so gut aufgestellt, wie es jetzt ist. Auch wenn sie sich den Weg dahin sicher anders vorgestellt hatten.

 

Zukunft kommt von Zuversicht? Zumindest blickt Engehausen heute entsprechend zuversichtlich ins Morgen – und ebenso versöhnlich zurück. „Ich bin durch „Martha“ wieder eine bessere Mama geworden“, glaubt sie. „Ich trage jetzt zwar eine massive zusätzliche Verantwortung und muss dennoch auch die Bedürfnisse meiner Familie genauso wie meine eigenen unter einen Hut bekommen.“ Das war nicht immer so einfach, es gab auch, so Engehausen, „sehr knackige Zeiten“: „Mein Mann und ich hatten besonders in der Gründungsphase viele Sorgen, die wir natürlich abends besprochen haben – klar haben auch unsere Kinder das mitbekommen.

 

Eines Tages standen die Mädchen mit einem Umschlag vor mir, auf den sie geschrieben hatten: „Für Martha with Love“. Darin befanden sich 25 Euro, das war das gesamte Geld, was die beiden besaßen.“ Engehausen ist gerührt, als sie davon erzählt. „So eine liebevolle Unterstützung tut natürlich gut, wenngleich man eigentlich als Erwachsener möglichst alles von den Kindern fernhalten möchte. Ella sagte neulich: „Mama, du schaffst das. Und falls nicht, bist du trotzdem die beste Mama der Welt.“ Was will man mehr.

 

Weitere Informationen: Martha with Love

 

Text: Eva Bistrick / Fotos: privat