“Ich fahre die Rallye in meinem Kopf.”

von Moritz Steidl

Es ist die schwerste und gefährlichste Rallye der Welt. Die Rallye Dakar führt heuer in zwölf Etappen von Paraguay über Bolivien nach Argentinien. Dabei sind nur die austrainiertesten und besten Piloten der Welt. Auf den ersten Blick würde man Andreas Schulz mit seiner gemütlichen Statur wohlmöglich nicht dazu zählen. Aber auch der erste Blick kann manchmal so richtig täuschen. Denn Andreas Schulz ist der derzeit wohl beste und gefragteste Rallye Co-Pilot der Welt.

Andreas Schulz ist 61 Jahre alt und rundum zufrieden. „Mein Leben würde ich jederzeit wieder leben“, sagt er knapp einen Monat vor dem Start der bekanntesten Langstrecken-Rallye der Welt. Schulz empfängt mich bei sich zu Hause an einem Adventssonntag. Seine Lebensgefährtin und er haben aufgekocht. Und wie. Schweinebäckchen-Gulasch gibt es, dazu traumhaftes Kartoffelpüree. Mit dabei: SCBV-Vorstand Sepp Schmid, ein guter Freund von ihm. So haben wir uns auch kennengelernt, in einer Vaterstettener Kneipe.

Andreas Schulz mit einem Pokal der FIA, dem Motorsport-Weltverband. (Foto: B304.de/Moritz Steidl)

Damals faszinierte mich die Geschichte von Schulz. Er, der Rallye-Pilot, gemütlich beim Frühschoppen – zeigt ohne Prahlerei, sondern mit Zurückhaltung Bilder von sich im und vor Rennautos. Mit Verlaub, ein paar Kilos zu viel und nicht wirklich austrainiert wirkte er bei unserem ersten Treffen. Schulz scherzte: „Sie sagen mir vor der Rallye, dass ich für den Sitz immer unter die 100 Kilogramm muss, das schaffe ich auch.“ Gelächter, gute Stimmung. Auch heute. On top einen ausgezeichneten Rotwein, der die vorweihnachtliche Stimmung auch kulinarisch perfekt vollendet. Schulz schenkt sich noch ein wenig Rotwein ein, ehe wir zum großen Gespräch ansetzen und ich seine ganze Geschichte erfahren darf. In Mitten von Pokalen, Auszeichnungen und Rallye-Modellautos kann es mit der PS-Unterhaltung losgehen.

Andreas Schulz ist Münchner. 8 Kinder waren sie damals und hatten nicht viel. „Ich bin im Dreck aufgewachsen“, sagt er nicht verbittert, sondern ganz nüchtern. Im letzten Moment überredet die Mutter ihn Automechaniker zu werden. Seine Lebenseinstellung, nicht von Sicherheit im Berufslebens geprägt, sondern bewusst offen für alle Wege, ganz spontan. „Ich habe gesagt: Wenn ein Anruf kommt, dass ich dann kann. Ich habe mich nicht eigeschränkt.“ Was das bedeutet, ist für den Vollblut-Motorsportler klar: eines Tages in der Motorsportwelt zu arbeiten. Es ist sein Traum, der wenig später wahr werden soll.

Mitte der 70er-Jahre ist er als Mechaniker bei kleineren Rallyes im Bayerischen Wald oder am Ammersee unterwegs. 1976 lernt er Rallye-Legende Walter Röhrl in Schottland kennen, ab 1982 ist er sein Mechaniker. Die beide werden Freunde, Röhrl kommt auch heute noch zum Geburtstag von Schulz. Ehrensache, denn auch Schulz gibt ab 1986 richtig Gas mit Erfolg. Erstmals startet er da als Servicekraft bei der Rallye Dakar, ab 1990 dann als Beifahrer. Alles oder nichts. „Halb mache ich gar nichts“, gesteht er und so ist er heuer bereits zum 24. Mal bei der Kult-Rallye dabei. 20 Mal kam er ins Ziel und zweimal hat er sie bereits gewinnen können. 2001 mit der Deutschen Jutta Kleinschmidt und 2003 mit dem Japaner Hiroshi Masuoka. Beide Triumphe in einem Mitsubushi, 2005 dann der Wechsel zu Volkswagen. Dort fuhr er u.a. mit einem weiteren Star der Rallye-Szene: Carlos Sainz.

Andreas Schulzs persönlichste Gegenstände im Cockpit: seine Helme. (Foto: B304.de/Moritz Steidl)

Zu allen seinen Co-Piloten pflegte und pflegt er, eigenen Angaben nach, ein gutes Verhältnis. Auch, wenn er im Vorfeld vor dem Schritt in das Cockpit von Topstars wie den wie Kleinschmidt und Sainz gewarnt wurde. Sie seien spezielle Charaktere, Eigenbrötler und nicht jeder könne mit ihnen. Schulz aber schon, er sagt was er denkt, verstellt sich nicht. Ein Grund mit Sicherheit auch: die Top-Lenker können nicht ohne ihn! „Ich sage es mal so: Ein schlechter Fahrer mit einem guten Beifahrer kommt weiter vorne an, als ein guter Fahrer mit einem schlechten Beifahrer.“ Die Anerkennung und das mediale Loblied allerdings, das erhält vor allem der Pilot. Denn der Beifahrer ist meist unbekannt, gesichtslos. Doch nur außerhalb der Rallye-Welt. Schulz ist gefragt, müsste mit Anfang 60 eigentlich keine Rallyes mehr fahren, jedoch ist die Nachfrage seit Jahren ungebrochen. „Die Piloten wissen es zu schätzen“, sagt er. So sagte Jutta Kleinschmidt nach ihrem Triumph 2001 mit Schulz, dass ohne ihren Co-Piloten der Erfolg nicht zu Stande gekommen wäre. Besonders auch, da Schulz ein unvergleichliches technisches Verständnis als Mechaniker mitbringt. Als Co-Pilot keine Voraussetzung, aber eine Gabe, die hilft bei Offroad-Abenteuer, wo nur zwei Menschen und ein Auto auf sich allein gestellt sind.

Moritz Steidl, B304.de-Reporter, mit Rallye Co-Pilot Andreas Schulz beim Interview. (Foto: B304.de/Moritz Steidl)

Mich reizt das Thema, denn über Co-Piloten im Motorsport war mir, als ausgesprochener PS-Fan zuvor nicht viel bekannt. Vor allem folgender Satz bringt mich zum Nachdenken: „Ich fahre meine Rallye im Kopf“.  Alles klar, vielleicht hilft ein Vergleich: Als Co-Pilot, das Auto und die Route zu fühlen und mit ihnen eins zu sein, ähnlich wie ein Dirigent mit einer Symphonie. Der Pilot das ausführende Organ, dass die zarten wie krachenden Töne der Symphonie ausführt und spielt. In der Musik erhält der Dirigent, der Kreative und der Denker die Anerkennung gleichermaßen wie das Orchester. Der Co-Pilot im Motorsport jedoch nicht. Hier überstrahlt der fahrende Pilot alles. Als Co-Pilot ist man zwar das fehlende Puzzleteil des Fahrers, das Gedächtnis des Piloten und der Navigator des Lenkers – jedoch ohne Applaus des Publikums. Alle Informationen, die, wie mir Andreas Schulz in dem „Roadbook“ der Rallye Dakar 2016 zeigt, und die nicht allzu zahlreich sind, muss er haben. Nächtelang durchwälzt er deshalb während der fast zwei Wochen Dakar diese kleinen Bücher. Markiert wichtige Punkte, Fahrbahnbeläge, Höhenunterschiede und Gefahrenstellen. Morgens in aller Früh geht es los. Teils 600 Kilometer Vollgas, zuvor und im Anschluss noch oftmals mehrere hunderte Kilometer sogenannte Überführungsfahrten mit gelindertem Tempo.

Zwei Wochen Rennen sind also anzugehen wie ein Marathon, richtig?  „Ich schaue nicht so sehr am Anfang in die Ergebnisliste. Wichtig ist, dass man nie die Flinte nicht ins Korn wirft und im Kopf kühl bleibt. Die letzten drei Tage, ab da tue ich abrechnen“, gibt Schulz routiniert zu Protokoll. Denn bei Langstreckenrallyes kann alles passieren. Beispiel: Die Trans-Sybierien-Rallye vor einigen Jahren. Mit einem Porsche lag Schulz zwischenzeitlich auf Rang 98. Am Ende wurden sie noch dritter. „Das war geil“, erzählt er stolz. Es sind diese unerwartbaren Momenten, die er so liebt. Auch wegen den einzigarten Landschaften, an denen man „sonst nicht vorbeikommt“. Sondern nur mit den Autos, die richtige Renn-Monster sind.

Autos sind sein Leben und so ist konsequenterweise die Werkstatt direkt in Schulzs Haus integriert. (Foto: B304.de/Moritz Steidl)

Aktuell für Schulz ein Mini, der jedoch, wie er erklärt, außer optisch mit der Frontscheibe, den Lichtern und den Türgriffen nichts mit dem Originalen aus dem Straßenverkehr gemein haben. 320 PS, die 190 km/h auf losesten Sandboden bringen. Gezügelt von den wildesten und schnellsten Piloten, kontrolliert und navigiert von Andreas Schulz, der in aller Ruhe dem Fahrer die Route diktiert. So, als ob er schon „100 Mal vorbeigefahren ist“, aber in der Realität die Strecke nur schemenhaft von einem Blatt Papier kennt, dass er zuvor mit wenig Schlaf, bescheidenem Essen und Verschleißerscheinungen nächtelang studiert und markiert hat. Das ist seine Herausforderung und Berufung, schlichtweg seine PS-Welt.

Andreas Schulz mit seinem Rallye Dakar-Pokal. (Foto: B304.de/Moritz Steidl)

Zwei Träume hat Andreas Schulz noch. Welcher von beiden realistischer ist, ist schwer zu sagen. In Südafrika würde Schulz gerne mal ein Rennen bestreiten. Einer der wenigen Flecken auf der Erde, auf denen er noch keine Roadbooks studiert und Anweisungen gegeben hat. Der allergrößte Wunsch ist aber, einmal die Rallye-Dakar selbst zu fahren. Zum Beispiel seine Jubiläums-Dakar, Nummer 25 im kommenden Jahr. „Die letzte Rallye würde ich schon gerne selbst fahren“. Nicht jeder seiner Beifahrer, so ist er sich sicher, sei auch wirklich viel schneller gewesen als er. Nur einmal zeigen, was in ihm steckt. Als Lenker, anstatt als Navigator.  Einzige Voraussetzung dabei: ein Top-Auto sollte es schon sein. Ganz so, wie es der erfolgsverwöhnte Racer aus Hohenbrunn gewöhnt ist.

Die Rallye Dakar startete am 2. Januar 2017 in Paraguay und endet am 14. Januar 2017 in Argentinien. Es ist die 39. Auflage der wohl bekanntesten Langstrecken-Rallye der Welt. Andreas Schulz tritt heuer gemeinsam mit dem Argentinier Orlando Terranova im X-RAID MINI JOHN COPER WORKS RALLY TEAM an. Täglich gibt es von 23 bis 23.30 Uhr auf Eurosport eine Zusammenfassung des Tages zu sehen.