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Jean-Marie Pfaff: seine Zeit in Baldham

von Markus Bistrick

Einer der größten Fußballer aller Zeiten exklusiv über seine Zeit in Baldham: Torwart-Legende Jean-Marie Pfaff

In den Achtziger Jahren war Jean-Marie Pfaff einer der weltbesten Torhüter. Größter Erfolg mit der Nationalmannschaft: der Einzug ins WM-Halbfinale 1986, wo er mit Belgien am späteren Weltmeister Argentinien scheiterte. Mit seiner Frau Carmen und den drei Töchtern Kelly, Debby und Lindsey lebte der langjährige Torwart des FC Bayern von 1982 bis 1988 in Baldham. In dieser Zeit wurde der heute 67-Jährige dreimal Deutscher Meister und zweimal Pokalsieger. Der ehemalige kicker-Chefredakteur und Baldhamer Sportjournalist Wolfgang Uhrig hat mit der Keeper-Legende exklusiv für LIVING&style gesprochen – nicht nur, aber auch über seine einstige Wahl-Heimat.

Interview: Wolfgang Uhrig
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Bonjour und Grüß Gott aus Baldham, Jean-Marie Pfaff! Wo erreichen wir Sie telefonisch und was machen Sie gerade?
Ich bin zuhause in Brasschaat, in einer Kleinstadt der flämischen Region Flandern im Großraum von Antwerpen. Hier habe ich ein Haus im Ranchstil. Wir haben wunderbares Frühlingswetter mit einem blauen Himmel, und ich komme voller Vorfreude von der Reinigung unseres Swimmingpools.

Dagegen wohnten Sie in Baldham zur Miete in einem bescheidenen Reihenhaus, während der sechs Jahre von 1982 bis 1988 als Fußball-Profi beim FC Bayern München.
Ich bin immer bescheiden gewesen. Ich weiß, woher ich komme. Das werde ich nie vergessen, da werde ich mich auch nie ändern. Meine Eltern hatten elf Kinder, wir sind unter ärmlichen Verhältnissen in der Kleinstadt Beveren groß geworden. Ich war in jüngeren Jahren zur Unterstützung meiner Familie Briefsortierer bei der Post, dann habe ich bei einer Teppichfirma gearbeitet, deren Maschinen ich reparieren konnte, absolvierte danach eine Ausbildung bei der Bank, hatte später ein Sportgeschäft.

Und der Fußball?
Kam nebenher dazu. Der KV Beveren war mein erster Verein. Fußball war dort mein Hobby. Bis ich nach München kam, gab es umgerechnet 60 Mark Grundgehalt plus 100 Mark für einen gewonnen Punkt zu verdienen. Wer nicht gespielt hat, der bekam auch nichts. Vom Geld musste ich meine Torwart-Handschuhe und die Fußball-Schuhe selbst bezahlen. Meine Frau Carmen, die ich im kommenden Juni vor 47 Jahren mit 21 geheiratet habe, hat die Trikots gewaschen. Der Alltag war immer der gleiche – von morgens sieben bis um zwei Uhr in der Bank, mittags in meinem Sportgeschäft, abends um sieben Training bis neun. Und am nächsten Morgen wieder das Ganze von vorne …

Lassen Sie uns bitte zurückkommen auf Baldham, was fällt Ihnen aus dieser Zeit spontan ein?
Wir haben sehr, sehr gerne dort gewohnt! Wegen der Umgebung, den Wäldern, in denen man sofort war. Wir sind durch die Gegend geradelt, bis raus nach Ebersberg. Und vor allem auch wegen der aufgeschlossenen Menschen in Bayern. Es war immer gemütlich mit ihnen, ich erinnere mich an sehr nette Momente mit ihnen. Ich hatte ein schönes Haus von einem wunderbaren Vermieter, auch die Nachbarn, die meiner Frau immer geholfen haben, wenn ich unterwegs war auf Reisen mit dem FC Bayern. Ich denke auch gern zurück an die Baldhamer Petrikirche, die ich sonntags um sieben Uhr dreißig zum Gottesdienst besucht habe. Vorzüglich und gern gegessen haben meine Frau und ich beim netten Italiener Alberto in seinem „da Nerone“ am Karwendelplatz, dem heutigen „Da Mimmo“. Gern zurück denke in an das schöne kleine, damals neue Stadion in Vatersteten, wo ich oft zu Besuch war und manchmal den Anstoß machen durfte zu Fußballspielen. Und nicht vergessen werde ich meinen netten Zahnarzt, den Doktor Greißinger, der seine Praxis hatte im Ärztehaus.

Warum?
Dieser Herr Doktor Greißinger war ein netter, anständiger und witziger Mann. Er hat mir einmal mit sehr viel Zeit und Geduld blendend weiße Kronen eingesetzt. Leider muss ich denen heute nachtrauern …

Was ist passiert?
Ich hatte einen schweren Motorradunfall in Italien. Dort wurde ich sieben Stunden lang operiert, mehrere Rippen waren gebrochen, das Gesicht und der Mund schwer verletzt, alle Vorderzähne raus. Ich habe heute neue Implantate, die sind überhaupt nicht toll. Früher sahen meine Zähne viel besser aus, und sie saßen besser. Es ist ein völlig neues Gefühl. Wenn ich wieder nach München komme, werde ich meinen früheren Zahnarzt mal besuchen, auch zum Essen beim Italiener einladen.

Was hat Sie nach Baldham geführt, wo es doch die meisten Bayern-Spieler nach Grünwald zieht?
Das brauchte ich nicht, das ist nicht mein Ding, nicht so mein Niveau. Ich lebe lieber gern unter Menschen. Ich habe auch gern ein bisschen Luxus, brauche ihn aber nicht, kein abgehobenes Milieu, keine überaus stolzen Nachbarn mit erhobenen Nasen. Mir ist die Umgebung wichtig, die Herzlichkeit untereinander.

Fiel Ihnen seinerzeit die Umstellung vom kleinen Beveren zum großen Bayern schwer?
Es war jedenfalls nicht so leicht aus einer kleinen Gemeinde im Ostteil von Flandern mit damals 10.000 Einwohnern in eine Millionen-Stadt wie München mit dem großen FC Bayern zu kommen. Ich bin heute noch stolz darauf, das geschafft zu haben. Viel Dank dafür geht vor allem an Sepp Maier. Er hat mich auch aufgeklärt, was hinter den Kulissen bei seinem Verein so läuft. Er war als Mensch und Partner mein Vorbild, hat mich trainiert, auch noch nach dem offiziellen Training auf einem Platz neben Maiers Tennishalle in Anzing. Ich bin stolz und es ist eine Ehre für mich, dass ich dieses Idol ersetzen konnte! Viele denken bei seinem Namen ja auch gerne an einen Gaudiburschen. Als Trainer aber kennt er keinen Spaß, er ist ein hundertprozentiger Profi. Bei den Bayern habe ich dann natürlich auch mehr verdient als beim KSK Beveren, von wo mich der Verein 1982 für umgerechnet 400 000 Mark plus Einnahmen aus Freundschaftsspielen verpflichtet hat. Solche Summen sind ja längst Vergangenheit. Für das Geld, das damals für Transfers oder Gehälter ausgegeben wurde – dafür würden die Spieler von heute noch nicht einmal ein Trikot anziehen (lacht).

Wie war der Ortswechsel für die Familie?
Kein Problem für meine Frau Carmen und die Töchter Kelly, Debby und Lindsey. Sie haben in der Schule in Baldham und in der Europäischen Schule in München alles gelernt, was sie brauchen für ihr Leben. Unter anderem stolz bin ich, dass sie alle drei vier Sprachen sprechen, neben Deutsch noch Englisch, Französisch und Flämisch – und außerdem als fünfte Sprache auch noch ein bisserl Boarisch (lacht).

Jean-Marie Pfaff mit Ehefrau Carmen Seth bei der Presseball Berlin Sommergala 2019 in der Großen Orangerie im Schloss Charlottenburg. Berlin, 17.08.2019
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Bei Auswärtsspielen mit dem FC Bayern hatten Sie ein gemeinsames Zimmer mit Hansi Flick. Hätten Sie ihm zugetraut, dass er einmal nominiert werden würde bei der Wahl zum „Besten Trainer der Welt“?
Damals eigentlich nicht. Später, als Assistent von Nationaltrainer Joachim Löw dann aber schon. Ich habe großen Respekt vor seinen Erfolgen mit den Bayern. Es ist eine unglaubliche Ausnahme, dass man mit einer Mannschaft in einer Saison alles gewinnt, was man nur gewinnen kann. Hansi ist intelligent, sehr ehrlich im Umgang mit seinen Spielern und ein toller Mensch! Ich freue mich für ihn und auf ein Wiedersehen, sobald ich das nächste Mal nach München komme.

Sie waren ja auch mal kurz Trainer, beim belgischen Verein KV Oostende. War das kein Job für Sie?
Doch, doch. Aber der Manager war ein schlechter Mann. Der wollte nicht, dass ich komme. Und er hat sich dann mit ein paar Spielern zusammengetan als eine Clique. Und so ging das dann damals leider ziemlich schnell zu Ende …

Was machen Sie heute so?
Vor allem bin ich jetzt für meine Familie da, sie geht mir über alles. Ich helfe meiner Frau zuhause, bringe die Enkelkinder in die Schule, hole sie ab, spiele mit den Jungs auch mal Fußball. Und dann reise ich auch noch viel durch Deutschland. Halte Vorträge zur Motivation, zu meiner Karriere als Fußballer, bin Repräsentant der Bayreuther Firma 7C Solarparken, fühle mich wohl und geehrt als Botschafter des FC Bayern München, wenn er mich – wie viele andere ehemaligen Spieler – dafür einsetzt.

Während Ihrer Münchner Zeit hatten Sie eine Audienz bei Papst Paul II. In einem Archiv steht, Sie hätten dabei eine Lederhose getragen.
(Lachend und dann energisch) Nein, das stimmt aber nun wirklich nicht, so ein Blödsinn! Ich trug einen schwarzen Anzug. Diese große Ehre haben belgische Freunde mit mir und anderen organisiert, eine riesige Ehre für mich, eine unvergessliche Sache. Es war auf dem Petersplatz, wo mich der Papst dann kurz zur Seite nahm. Er sprach deutsch mit mir, ein paar Sätze fachkundig über Fußball. Das sei ja auch ein schöner Sport, aber sehr hart, sagte der Papst.

Früher kannte man Sie aus den Strafräumen dieser Welt, heute kennt ein Millionenpublikum Ihr Wohnzimmer …
Sie denken jetzt wohl an das Jahr 2003 und die Doku-Soap „De Pfaffs“, jeweils 40 Minuten über 267 Folgen. Das war im belgischen Fernsehen eine Serie mit bis zu 2,5 Millionen Zuschauern. Damals wurde über Monate das ganze Haus auf den Kopf gestellt, unser Alltag gezeigt. Es ging den Fernsehleuten darum, eine zwölfköpfige Großfamilie unter einem gemeinsamen Dach zu zeigen. Mit meinem in die Jahre gekommen Opa, den drei Töchtern, zwei Schwiegersöhnen und zwei Enkeln sowie meine Frau und mich als ganz normalen Menschen hinter dem in Belgien noch immer sehr populären, früheren National- torhüter. Wenn ich zurückdenke, was das damals für ein ziemlicher Stress war – kein Drehbuch, kein vorgeschrieben Szenario, einfach nur aus dem Leben aufgegriffen. Nein, ich würde das heute nicht mehr machen.

Ihre Popularität In Deutschland verdanken Sie Filmrollen mit Thomas Gottschalk und Helmut Fischer in „Zärtliche Chaoten“, auch einmal in der Fernseh-Serie „Sturm der Liebe“.
Da war ich wohl nicht ganz so schlecht. Und jetzt, in einem neuen Film in Belgien, spiele ich neben dem großen Franzosen Gérard Depardieux, in einer kleinen Nebenrolle als Papa …

Es gibt von Ihnen auch die Schallplatte mit dem Text „Ich war ein Belgier – jetzt bin ich ein Bayer“, darin die Zeile „Ich trinke Bier und esse Leberkäs mit Eier“. Das klingt ja wie eine Liebeserklärung.
Und das ist auch so gemeint. Sonntags, immer um elf Uhr am Morgen, gab es das bei mir daheim. Aber auch mal Weißwurst mit Sahne …

… Sahne?
Ach nee – sorry, Senf heißt das, glaube ich, süßer Senf. Das alles vermisse ich doch sehr, heute und hier in Belgien.

Sie waren „Fußballer des Jahres 1978 in Belgien“, für die Leser beim deutschen Fachmagazin „kicker“ der „Torhüter des Jahres 1983“, beim Weltverband FIFA „Welt-Torhüter des Jahres 1987“. Darüber und vieles andere könnte man ein Buch schreiben.
Das habe ich schon gemacht. In drei, vier Monaten kommt meine Biografie in Deutschland raus. Die Texte sind gerade fertig geworden, den Titel kenne ich auch schon, den darf ich aber noch nicht verraten. Das wird eine Überraschung sein bei der Vorstellung des Buches im Münchner Olympiastadion, wo ich meine größten sportlichen Erfolge hatte. Und dann gibt es auch ein Wiedersehen in Baldham!