“Würde mir eine 2 geben”

von Markus Bistrick

Am Montag, 4. Mai 2020, hatte Leonhard Spitzauer (CSU) seinen ersten Arbeitstag als Bürgermeister der Gemeinde Vaterstetten. Seitdem sind drei Jahre vergangen. Im Frühjahr 2026 wird erneut gewählt. Zeit für eine Zwischenbilanz. B304.de hat den 38-jährigen Rathaus-Chef um die Beantwortung folgender Fragen gebeten. Und der beginnt mit einer Vorbemerkung.

Leonhard Spitzauer: Die Pandemie und der Ukraine-Krieg haben jedem im Jahr 2020 gewählten Bürgermeister einen dicken Strich durch seine Pläne gemacht. Warum? Weil die Gemeindeverwaltungen lange nur im Notbetrieb arbeiten konnten. Weil Corona unseren Gemeindehaushalt kräftig durchgerüttelt hat. Weil die stark gestiegenen Zinsen und die stark gestiegenen Baukosten viele notwendige Projekte auf absehbare Zeit schlicht unfinanzierbar gemacht haben. Beispiel: Wir wollten in Vaterstetten-Nordwest bezahlbaren Wohnraum, zum Beispiel für Erzieher und Pfleger, schaffen. Ein 50-Millionen-Projekt. Aktuell nicht ansatzweise zu realisieren, trotz hoher staatlicher Zuschüsse. Sehr schade!

B304.de: Wenn Sie sich selbst ein Zeugnis für Ihre bisherige Amtszeit ausstellen müssten, welche Note würden Sie sich geben?

Vermutlich müsste man hierbei, ähnlich wie beim Schulzeugnis, verschiedene Bereiche unterschiedlich bewerten. Aber als Gesamtnote würde ich mir die Note 2 geben. In der Gesamtschau bin ich der Meinung, dass wir vieles richtig und wenig falsch gemacht haben.

Wie lautet Ihre persönliche Halbzeitbilanz?

Unter den gegebenen Umständen (Ukraine-Krieg und Pandemie mit den jeweiligen genannten Auswirkungen) bin ich zufrieden mit dem bislang erreichten. Trotzdem bleibt ein gewisses Bedauern, dass unter anderen Umständen viel mehr möglich gewesen wäre.

Bitte nennen Sie uns drei (zentrale) Wahlversprechen, die umgesetzt wurden?

Starke Partnerschaft mit Volkshochschule und Musikschule! Wir haben die VHS und Musikschule mit einem finanziellen Rettungsschirm durch die Pandemie geführt, ansonsten ständen die beiden Einrichtungen jetzt nicht so gut da, wie sie es tun.

Ein Dorf für unsere Jugend! Es ist zwar kein Dorf geworden, aber wir haben die alte Mittelschule für unsere Jugend als JUZ aktiviert. Dadurch haben unsere Jugendlichen wieder eine zentrale Anlaufstelle in unserer Gemeinde.

Seniorenbeirat stärken! Ich stehe im intensiven Austausch mit dem Seniorenbeirat und wir setzen ein Projekt nach dem anderen um (Beispiele: Verbesserung der Toilettenbeschilderung, Anlaufstelle für Senioren, etc.)

Hoffentlich eine geothermale Wärmequelle! Damals noch etwas vage formuliert, haben wir nun den festen Entschluss, die Wärmeversorgung von Baldham und Vaterstetten auf diese regenerative Energieform umzustellen.

Ein runder Tisch ‘Verkehr’! und ein Mobilitätsmanager in der Gemeindeverwaltung! Beides haben wir umgesetzt und die Arbeit wurde aufgenommen.

Angeschlagener Gemeindehaushalt muss gestärkt werden! Dies war in den letzten drei Jahren besonders wichtig. Leider musste ich zu vielen Projekten und Ideen „Nein“ sagen. Aber solide Finanzen sind mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen, weil es auch die Gestaltungsfähigkeit der nächsten Generationen gewährleistet.

Gartenstadtcharakter in Vaterstetten und Baldham erhalten, keine neuen größeren Wohnbaugebiete! Bei mir gaben sich die Bauträger – zumindest vor der Zinssteigerung – die Türklinke in die Hand. Ich bleibe dabei, das Wachstum in Vaterstetten muss verträglich bleiben, wir planen derzeit nichts.

Aktivierung des neuen Gemeinderates! Mit unserem Referentenmodell haben wir eine sehr erfolgreiche Grundlage dafür geschaffen, dass Bürger, Verwaltung und Gemeinderat sich noch besser austauschen können.

Moderne und benutzerorientierte Homepage als „Visitenkarte“ unserer Gemeinde! Die Homepage ist umgesetzt, hat ein modernes Design und die digitalen Angebote werden stetig ausgebaut.

Glasfaserausbau! Die Avacomm baut schon, die Telekom vermarktet gerade ihren flächendeckenden Ausbau im Gemeindegebiet. Durch unsere Initiative des eigenen geförderten Glasfaserausbaus haben sich die privaten Firmen so unter Druck gefühlt, dass sie nun endlich umsetzen.

Das waren jetzt mehr als drei Versprechen, zeigt aber auch, dass wir, trotz der widrigen Umstände, einiges geschafft haben.

Welche drei (zentralen) Projekte, werden Sie verbindlich noch in den kommenden drei Jahren umsetzen?

Geothermie! Die Umsetzung der Geothermie hat im gemeindlichen Haushalt die oberste Priorität (neben den Pflichtaufgaben). Dies ist unser zentraler und wichtigster Beitrag zum Klimaschutz. Gemäß der derzeitigen Planung soll 2025 gebohrt werden.

Glasfaser! Die Telekom hat mir zugesagt, dass die gesamte Gemeinde bis 2025 mit Glasfaser versorgt wird.

Bildung und Betreuung! Die beiden Großprojekte Kinderhaus St. Anna und Turnhalle mit Hort an der Wendelsteinstr. werden trotz erheblich gestiegener Baukosten (gesamt 24 Mio. Euro) realisiert.

Doch Vorsicht! Verbindlichkeit gibt es nicht. Ich kann nur entsprechend priorisieren und jeden Tag für die Umsetzung der Projekte arbeiten.

Auf welches Projekt sind Sie besonders stolz?

Der Kindergarten bei Maria Linden, ein Projekt, bei dem wir es trotz widriger Umstände geschafft haben, eine wirklich großartige Lösung zu finden. Aber auch die Turnhalle an der Wendelsteinstraße, die eine Möglichkeit schafft, Veranstaltungen stattfinden zu lassen und somit auch ein wichtiger Treffpunkt wird, den wir dringend brauchen.

Welches Wahlversprechen werden Sie definitiv nicht mehr in Ihrer (ersten) Amtszeit umsetzen können?

Bezahlbaren Wohnraum zum Beispiel für Erzieher, Pflegekräfte, etc. in Vaterstetten Nord/West zu schaffen. Zu hohe Baukosten, zu hohe Kreditzinsen.

Wie viele Momente gab es bereits, in denen Sie gedacht haben: „Warum habe ich mir das angetan?“

Es gibt, wie bei jeder Tätigkeit, Höhen und Tiefen. Ich bereue die Entscheidung, als Bürgermeister zu kandidieren, nicht. Mir macht die Ausübung des Amts große Freude.

An welchen Moment denken Sie gerne zurück?

Gar nicht leicht, dass auf einen Moment zu reduzieren. Als Bürgermeister ist man oft auf Treffen und Versammlungen der Vereine und Bürger unterwegs. Für mich ist es immer besonders schön zu sehen, mit welchen großen Engagement sich viele Mitbürger für ihre Heimat einbringen, z.B. bei der Unterbringung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen.

Warum müssen Sie die Bürger in drei Jahren unbedingt im Amt bestätigen?

Ich gehe mit der Arbeitskraft, die einem 38-Jährigen gegeben ist, jeden Tag ins Rathaus, um für die Bürger 15 Stunden zu arbeiten. Viele der angestoßen, großen oder zentralen Projekte sind nicht in sechs Jahren umzusetzen. Und ich nehme in aller Bescheidenheit für mich in Anspruch, das gemeindliche Schiff im Großen und Ganzen doch sehr sicher durch die mitunter raue See zu steuern.


Wahlversprechen im Praxis-Check

„Ein Betreuungsplatz für jedes Kind“: Wie ist aktuell der Stand der Dinge?

Spitzauer: Dieses Ziel bedeutete bis 2022 schlicht: Die Gemeinde muss ausreichend vom Landratsamt genehmigte Betreuungsplätze schaffen. Das hat sie. Anschließend führen die Träger diese Plätze zu 100 Prozent in die Betreuung. Haben Sie bis 2022 im Großen und Ganzen getan. 2023 entstand nun eine bittere Lücke, weil einige Träger nicht mehr ausreichend pädagogisches Personal gefunden haben bzw. halten konnten. Das fällt eigentlich nicht in unseren Verantwortungsbereich, gleichwohl will die Gemeinde mit einem Maßnahmenpaket und viel zusätzlichem Geld zur Linderung dieses Problems beitragen. Wir sind im engen Austausch mit den Eltern, Trägern und allen Beteiligten. Näheres hierzu im Juli.

„Die Spielplätze unserer Gemeinde müssen noch interessanter werden“: Was hat sich in den vergangenen 3 Jahren getan?

Die gemeindlichen Spielplätze sind durch die Corona-Maßnahmen etwas aus dem Fokus gerutscht. Seit einiger Zeit sind wir hier aber auch gut unterwegs, so wurde der Abenteuerspielplatz neugestaltet, im Bürgerpark entstehen neue Möglichkeiten (Outdoorsportgeräte und Naturspielplatz), Geräte werden stetig erneuert und den Bedarfen angepasst (aktuell Karwendelplatz), etc.

Mehr Bürgerbeteiligung z.B. durch ein umfassendes professionelles Bürgerbeteiligungsportal, orientiert am Beispiel Karlsruhe“: Wie ist der Stand der Dinge und wie hast du die Bürger stärker an politischen Entscheidungen beteiligt, als das deine Vorgänger getan haben?

Am Bürgerbeteiligungsprotal arbeiten wir tatsächlich derzeit nicht, weil wir den Fokus bei der Bürgerbeteiligung auf die Umsetzung gelegt haben. Hierfür haben wir das Bürgerbudget eingeführt. Aber auch bei der konzeptionellen Arbeit gibt es viele Möglichkeiten mit der Gemeindeverwaltung in Interaktion zu treten (JUZ BAVA Verein, Seniorenbeirat, Runder Tisch Verkehr, Runder Tisch Kinderbetreuung, Kulturbeirat, Wirtschaftsbeirat, uvm.). Zudem haben wir zum Beispiel vor kurzem eine Haushaltsbefragung zur Mobilität initiiert. 

Wir wollen für mehr Sauberkeit an den Wertstoffinseln sorgen, notfalls muss man über Videoaufnahmen nachdenken“. Die Situation hat sich nicht nachhaltig verbessert, wo bleibt die Videoüberwachung?

Die Situation hat sich meines Erachtens spürbar verbessert. Wir haben seit meinem Amtsantritt die Containeranzahl an den Wertstoffinseln erhöht, in der Weihnachtszeit zusätzliche Container aufgestellt und die Wertstoffinseln, an denen es möglich war, vergrößert. Außerdem sind wir auch mehrmals mit den Entsorgungsunternehmen ins Gespräch gegangen und haben die tägliche Leerung der Inseln nachgehalten. Seit einiger Zeit ist eine Gemeindemitarbeiterin im Außeneinsatz, dokumentiert Entsorgungsverstöße an den Inseln und klärt auch auf. Trotzdem haben wir mit teils starken Verschmutzungen zu kämpfen, selten der Situation geschuldet, dass kein Platz mehr in den Containern war. Deshalb haben wir Ende Mai eine Detektei beauftragt, die zukünftig die Wertstoffinseln überwacht. Eine festinstallierte Videoüberwachung hat sich bei der Prüfung als eher nutzlos erwiesen. Mit der Detektei haben wir jetzt die Möglichkeit sinnvoll gegen illegale Ablagerungen vorzugehen. 

Wir wollen das Seniorenwohnprojekt „Gemeinsam alt werden“ realisieren und setzen uns für den Bau seniorengerechter Wohnungen auf gemeindeeigenen Grundstücken ein“: Wie ist der Stand der Dinge?

Der Gemeinderat musste das Bauprojekt Vaterstetten Nord-West aufschieben. Das war unstreitig. 

Mehr öffentlich zugängliche Ladesäulen für E-Autos“: Wie viele gemeindliche Ladesäulen hat die Gemeinde seit deinem Amtsantritt geschaffen und wo sind diese?

In der Errichtung von E-Ladesäulen ist viel Bewegung. Es gibt einerseits Förderungen, die den privaten Ausbau unterstützen aber auch einige Unternehmen, die sich mit der Schaffung einer E-Lade-Infrastruktur beschäftigen. Vor kurzem erst haben wir den Weg für eine E-Lade-Tankstelle in Parsdorf frei gemacht. Seitens der Gemeinde möchten wir noch eine zentrale Möglichkeit an der S-Bahn in Baldham schaffen, hier haben wir definitiv noch einen schwarzen Fleck. Die Angebotseinholung läuft derzeit.

Vaterstetten ist eine Sportgemeinde, deshalb unterstützen wir unsere Sportvereine bei ihren Erweiterungsplänen“: Welche Unterstützung hat es seit deinem Amtsantritt konkret gegeben?

Wir haben beispielsweise dem Bau einer eigenen Tennishalle des SCBV grünes Licht gegeben und diesen mit 150.000 Euro und einem verzinslichen Darlehen in Höhe von knapp 700.000 Euro unterstützt. Diese Halle ist insbesondere für den Jugend-Tennissport von elementarer Bedeutung. Zudem arbeiten wir gerade zusammen mit dem FC Parsdorf an einer Möglichkeit das Sportgelände zu erweitern. 

Durch das Gewerbegebiet Parsdorf III nördlich der A94 erwartet der Kämmerer eine Verdoppelung des bisherigen Gewerbesteueraufkommens der Gemeinde“: Wie ist der Stand der Dinge?

Diese Frage darf ich auf Grund des Steuergeheimnisses nur eingeschränkt beantworten: Über die Erwartung des Kämmerers, was Parsdorf III angeht, kann man noch nicht „richten”, weil beide Firmen – KMT und BMW – noch gar nicht vollständig „da” sind. Dieser Teil des Gewerbegebietes ist noch im Aufbau begriffen.