Gefahren im Netz

von Markus Bistrick

„Möchten Sie sicher kommunizieren? Dann besorgen Sie sich eine Brieftaube!“, sagt Cem Karakaya. Am Donnerstag, 11. April, hält der renommierte Internetexperte am Vaterstettener Humboldt-Gymnasium um 19 Uhr einen kostenlosen Vortrag, um Kinder und Eltern für die Gefahren des Internets zu sensibilisieren (Link zur Anmeldung am Artikelende). Denn: Das Smartphone oder Passwörter sind in Sekunden geknackt. Name, Anschrift oder Geburtsdatum – mehr braucht es heutzutage nicht für einen Identitätsklau. Der langjährige Interpol-Mitarbeiter und Präventionsexperte weiß, wie erschreckend leicht es Kriminelle im Netz haben. Wie gestohlene Daten für Betrug, Stalking, Mobbing oder digitale Erpressung missbraucht werden. Aber auch wie sorglos sich Kinder und Eltern in der digitalen Welt bewegen und was jeder Einzelne sofort unternehmen sollte, um sich zu schützen. Eva und Markus Bistrick haben vorab mit Cem Karakaya gesprochen.

Herr Karakaya, Kinder nutzen immer früher Smartphones – ab wann können sie mit den Geräten umgehen?

Cem Karakaya: Gegenfrage: Wann schicken Sie Ihr Kind ganz allein nach draußen? Doch erst wenn Sie es auf diese Welt vorbereitet haben, ihm die Verkehrsregeln beigebracht, Zivilcourage und Sozialkompetenz vermittelt haben. Genauso ist es mit der Medienerziehung – die ist übrigens die Aufgabe der Eltern, nicht die der Schulen, die für Medienbildung zuständig sind. Den Umgang mit der digitalen Welt haben wir nicht erlernt, wir sind alle einfach auf den Zug aufgesprungen, weil: „Ist ja kostenlos!“ Doch auch wenn es viele denken, das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Ganz im Gegenteil: Jeder Straftatbestand, den Sie im Strafgesetz finden, gilt auch für das Internet. Bedrohen, beleidigen, erpressen – das sind alles Straftaten. Entschuldigen Sie bitte meine Wortwahl, aber „Wichser“ kostet 800 Euro, „Schlampe“ 1.200 Euro, wenn man zivilrechtlich dagegen vorgeht. Kinder werden zwar bis 14 Jahre alt nicht bestraft, aber die Anzeige kommt trotzdem. Parallel verschickt die Polizei nicht selten ein Schreiben an das Jugendamt.

Wo bleibt der Jugendschutz?

Wenn heute jemand über Jugendschutz spricht, lache ich mich kaputt. In die Videothek durfte ich damals unter 18 Jahren auch nicht rein. Hat da jemand ein Auge zugedrückt? Nein! Aber heute kriegen die Kids das Smartphone in die Hand gedrückt und müssen nichts weiter tun, als munter „Porno“ bei Google einzugeben.

Übrigens, und darüber sind sich auch viele nicht im Klaren: Da fotografieren sich die Kinder selbst „oben ohne“ oder mit heruntergelassener Hose und schicken das an Freunde oder die Freundin weiter. Damit hat man gleich drei Straftatbestände erfüllt: Erstellung, Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie. Das ist ein Verbrechen, vergleichbar mit Totschlag und Mord, dann MUSS ermittelt werden. Die Polizei kommt zu den Eltern nach Hause, wenn es um Kinderpornografie geht, nimmt alles mit: Fernseher, Router, Smartphones, Laptops, Tablets, … auch die Geräte der Eltern, egal, ob das ein Gerät für die Arbeit ist, oder nur privat genutzt wird. Das interessiert die Polizei nicht und die Ermittlungen dauern aktuell rund 1,5 Jahre.

Das ist jetzt ein Extremfall, oder?

Kinderpornografie ist seltener, aber der Besitz und die Verbreitung von Pornografie steht unter den Schülern an erster Stelle.

Was können Eltern tun, um ihre Kinder zu schützen?

Mindestens bis Ihre Kinder 16 Jahre alt sind müssen Sie sie sensibilisieren, über die rechtlichen Grenzen aufklären und begleiten. Es gibt tolle Internetseiten, wie klicksafe.de, schau-hin.info oder medien-kindersicher.de. Da findet man Anleitungen, wie man ein Smartphone für ein Kind sicher einrichtet.

Was ist mit festen Regeln?

Die muss es auch geben. Und die müssen dann auch für die Eltern gelten. Eine Regel könnte zum Beispiel sein: Wenn wir zusammen Abend essen, ist der Fernseher aus und es gibt auf dem Tisch kein Smartphone und kein Tablet. Eltern dürfen ihre Vorbildrolle nicht vergessen. Ich kann meinem Kind nicht sagen, leg das Smartphone weg, während ich selbst mein eigenes in der Hand halte.

Der Datenschutz ist in Deutschland ein hohes Gut. Gibt es den in der digitalen Welt überhaupt noch?

Auf der einen Seite drehen die Kids TikTok Videos, auf der anderen Seite fordern ihre Eltern, die Gesichter ihrer Kinder im Jahresbericht der Schule zu pixeln. Bei dieser Unverhältnismäßigkeit drehe ich durch. Wir haben längst die Kontrolle verloren. Bis die DSGVO kam, wurden die Daten mit einem Gesetz von 1995 geschützt. Das ist, als wenn sich der heutige Straßenverkehr in der Pferdekutschen-Zeit fortbewegen würde. Kennen Sie das Spiel „Candy Crush“? Im Smartphone können Sie unter „Datenschutz“ Ihre Einstellungen sehen und auch, welche App worauf Zugriff hat. Sie möchten eigentlich nur bunte Bonbons platzen lassen, doch die App hat Zugriff auf Ihr komplettes Adressbuch! Man kann das deaktivieren – aber wer macht das schon? Theoretisch könnten wir jeden, der „Candy Crush“ spielt, wegen Verstoßes gegen den Datenschutz anzeigen.

Oder: Wer stellt bei der Rückgabe eines Mietwagens das Navi, das er mit seinem Smartphone synchronisiert hat, wieder auf Werkeinstellung zurück? Wir haben bei einem Test aus 13 Mietwägen 280 GigaByte persönliche Daten ausgelesen. Gleichzeitig schreien in Deutschland alle nach Datenschutz. Das lässt mich durchdrehen.

Sie sagen, die größte Lüge im Internet ist: „Ich habe die AGB gelesen und verstanden“. Aber ich muss das doch ankreuzen.

Richtig. Wir werden erpresst. Niemand schenkt uns etwas. Aber: Wenn du für ein Produkt nichts bezahlst, bist DU das Produkt. WhatsApp investiert doch nicht Milliarden von Dollar, damit wir kostenlos Nachrichten hin und her schicken können. Wir zahlen einen hohen Preis: mit unseren eigenen, sehr wertvollen, persönlichen Daten! Es gab mal einen Student, der nach drei Jahren Facebook aufgefordert hatte, ihm seine kompletten Daten „zurückzugeben“. Das waren 1.200 DIN A4 Seiten mit gesammelten Daten über ihn. Heute ist das nicht mehr möglich.

Das klingt, als wären wir auf verlorenem Posten?

Man sagt so schön: „Nur der liebe Gott weiß alles über mich“. Von wegen: Die sozialen Netzwerke wissen längst mehr über uns als wir selbst. Unsere heutige Jugend ist die erste Generation, die von Anfang an durchleuchtet wird. Wenn einer von denen künftig mal Bundeskanzler werden will, tut er mir leid. Wenn ich in meiner Firma jemanden einstellen will, braucht man mir keine Zeugnisse oder einen Lebenslauf zuschicken. Mir genügen Name, Vorname, Anschrift und Geburtsdatum, und ich kann dank meines Computers ein komplettes Profil des Menschen erstellen: Fotos, Videos, Meinungen.

Was können und sollten wir zu unserer Sicherheit tun?

Seien Sie grundsätzlich sparsam mit den Daten, die Sie preisgeben. Um ein 8-stelliges Passwort zu knacken, braucht mein Computer eine Sekunde. Ich empfehle mindestens 13-stellige Passwörter. Besser: Nutzen Sie Passwortmanagerprogramme, die ständig unterschiedliche Passwörter generieren. Loggen Sie sich mit Multi-Faktor-Authentifizierung ein. Und: 90 Prozent der erfolgreichen Cyber-Attacken passieren, weil Sicherheitsupdates verschlafen wurden. Nicht nur Computer und Smartphone müssen aktualisiert werden, auch Smart TVs, Webcams und das Babyphone.

Nur wer die Gefahren kennt, kann sich auch dagegen schützen. Darum geht es in meinen Vorträgen. Die Zuhörer lachen, aber das Lachen wird ihnen im Halse stecken bleiben.

Vielen Dank für das informative Gespräch.

Anmeldung zum Vortrag von Cem Karakaya am Donnerstag, 11. April um 19 Uhr am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten unter: VHS Vaterstetten: Digitale Welten erfordern digitale Kompetenzen (vhs-vaterstetten.de)