Ein letzter Blick nach draußen. Rumpeln, Schütteln, Schleifen, alles vibriert heftig, zum Auf und Ab kommen seitliche Bewegungen. Irgendwann ist die grausame Achterbahnfahrt vorbei. „Nach dem Absturz einer einmotorigen Cessna in Ellermühle bei Landshut schweben ein Vater und sein achtjähriger Sohn in Lebensgefahr.“ So steht es im Münchner Merkur am Ostermontag vor drei Jahren. Der Tag, an dem Hermann Vodermairs Leben in zwei Teile zerbrochen ist, war der 3. April 2010.
„Ich weiß gar nichts mehr, ich weiß nicht einmal, dass ich geflogen bin. Der ganze Tag ist weg. Das Letzte woran ich mich erinnern kann, ist der Abend davor.“ Als der Ur-Baldhamer auf der Intensivstation in Bogenhausen aus dem Koma erwacht, hat er Mehrfachbrüche. Bis heute sind die Beine von Hermann Vodermair gelähmt. „Erfolge sind zu verbuchen, das geht natürlich alles sehr, sehr langsam, aber es geht vorwärts“, sagt Hermann Vodermair. Bis Weihnachten war der heute 59-jährige Landwirt rund sechs Wochen in stationärer Therapie in Pforzheim und nur an den Wochenenden daheim. Daheim, das ist Baldham-Dorf. Hier ist er geboren und aufgewachsen. Das Wichtigste ist die Geselligkeit. Die, die keinen Dialekt sprechen zählen nicht. Hier sagt man „Servus“, setzt sich an den Tisch und gehört sofort dazu. Und während unter den meisten deutschen Dächern geklagt, gemeckert und gejammert wird, bei den Vodermairs wird das Leben genossen. 1702 Sonnenstunden pro Jahr misst der Wetterdienst in München, bei Hermann Vodermair sind es unzählige mehr.
“Alle wollten damals mitfliegen”
Die Maschine befand sich bereits im Landeanflug zum Flugplatz Ellermühle. Doch etwa 1,5 Kilometer vorher stürzt die Cessna in ein Feld, prallt gegen eine Böschung, überschlägt sich, wird über eine Staatsstraße geschleudert und kommt auf den Tragflächen zum Liegen. Kurz vorher hatte der Pilot dem Tower Motorprobleme gemeldet. Ein Wunder, dass aus den Trümmern jemand lebend geborgen werden konnte. An Bord des Sportfliegers sind neben Hermann Vodermair auch dessen Sohn Max, damals acht Jahre alt, die 37-jährige Schwägerin Claudia sowie der 66-jährige Pilot, ein Bekannter, oder besser: ein Kunde. Das Pferd seiner Enkelin hatte er auf dem Max Hof untergebracht und bei einem der zahlreichen, netten Gespräche, habe man sich auch über die Fliegerei unterhalten. „Alle wollten mitfliegen, aber nur der Maxi hat Zeit gehabt – und meine Schwägerin Claudia.“
Fliegen – ein Hobby, das viele Menschen fasziniert und bei dem nur ein einziger Fehler Menschen das Leben kosten kann. Soweit ist es nicht gekommen, auch wenn nicht viel gefehlt hätte. „Meinem Sohn ist auf dem Flug schlecht geworden, er hat geweint und daraufhin ist der Pilot umgekehrt.“ Glück im Unglück, denn eigentlich hätte der Rundflug über den Chiemsee in die Berge gehen sollen. Kaum vorstellbar, was dort bei dem Absturz passiert wäre. „Der Pilot hat immer irgendetwas vom Benzin erzählt. Doch in Wirklichkeit ist es ihm gar nicht ausgegangen, er hat bloß nicht umgeschaltet.“ Die Kriminalpolizei nimmt damals die Ermittlungen auf. Heute weiß man, dass die Kraftstoffleitung zu einem der beiden Tanks, der noch 100 Liter Sprit gehabt hätte, geschlossen war. Ein kleiner Hebel, der von dem Piloten – wohl aus Panik, weil der Motor bereits ausgefallen war – nicht umgelegt wurde, hatte letztlich die folgenschwere Katastrophe ausgelöst. „Bei mir ist die Flugangst seit dem besser“, sagt seine Frau Petra, denn: „So etwas passiert in einer Familie doch nicht ein zweites Mal – makaber eigentlich.“
Piloten sind Pragmatiker, heißt es. In den Eignungstests werden sie gezielt danach ausgesucht, aus jeder Situation das Beste zu machen. Für Passagiere ist es dennoch ein bisschen wie bei den Ärzten. Sie legen ihr Leben in die Hände der Halbgötter in Uniform. Das muss kein Fehler sein, dachte sich auch Hermann Vordermair. Von dem Moment an, als es offiziell war, dass der Pilot diverse Fehler gemacht hat, habe ich nie wieder etwas von ihm gehört. Ich habe mittlerweile mit ihm abgeschlossen.“Hermann Vodermair ist ein Mensch, der Barrieren nicht akzeptiert. Der Familienvater mit den zwei Leben, lächelt während unseres Gesprächs immer wieder verschmitzt. Seine Frau Petra serviert derweil frische Weißwürst, dazu ein süffiges Weißbier. Seit über drei Jahren befindet sich der Ur-Baldhamer in seinem zweiten Leben. Einen silbernen VW Bus hat er seiner Behinderung anpassen lassen. Hermann Vodermair fährt selbstverständlich selbst.
Am 18. November, dem Tag unseres Gesprächs, hat er Geburtstag – es ist bereits sein zweiter in diesem Jahr. Freunde kommen und gehen. Ein Fliesenleger, ein Schreiner, ein Metallbauer, ein Metzger, ein Automechaniker. So ist das auf dem Max Hof, dem Lebenswerk von Hermann Vodermair. Man arbeitet, hat eine Familie und genießt seine Freizeit. Und das alles an einem Ort, mit einer harmonischen Gruppe von Menschen. Das ist großes Glück.
Das Leben ist eine Frage des Standpunkts
Natürlich habe er Rotz und Wasser geheult. Doch Vodermair arrangiert sich. Er ist in seinem zweiten Leben angekommen und bereitet gerade sein drittes vor. Einzig seine Arzt-Patienten-Beziehung befindet sich in einer schwierigen Phase. Fünf Prozent Überlebenswahrscheinlichkeit hatten sie ihm gegeben und ihm dann mit einem einzigen Satz jede Hoffnung geraubt: „Sie werden nie wieder laufen können.“ Doch das Gefühl in den Beinen kommt ganz langsam zurück, die Nerven suchen sich neue Wege – so wie Hermann Vodermair. Denn immer dann, wenn etwas nicht richtig läuft, setzt er auf die nächste Chance. Das war schon immer so und das wird auch so bleiben. Träume sind die Nahrung auf dem Weg zum Ziel. Wären wir im Paradies, müssten wir nicht träumen. Das gilt für uns alle und ganz besonders für Hermann Vodermair.