Am Samstag um 12.30 Uhr war endgültig Schluss: Das älteste Einzelhandelsgeschäft der Region hat nun nach fast einem halben Jahrhundert geschlossen. Aus Altersgründen. Rund 50 Freunde, Bekannte und Familie haben sich im Anschluss noch vor dem Geschäft auf einen kleinen Umtrunk getroffen. Unter anderem kam auch Bürgermeister Georg Reitsberger vorbei, um Wolfgang Bistrick persönlich alles Gute zu wünschen und dankte ihm mit einer Flasche Kartoffelschnaps für das Engagement in der Gemeinde Vaterstetten. Damit gehört eine Institution, Juwelier Bistrick am Bahnhofplatz 1 in Baldham, zur Geschichte. Diese hatte 1893 in Königsberg begonnen und seit Ende 1966 in Baldham ihre Fortsetzung gefunden.
Für alle, die ihr Arbeitsleben zwischen Computer und Drucker verbringen, ist es wie eine Reise in ein unbekanntes Land: Einzelhandel. Menschen, die den ganzen Tag abrufbar und ansprechbar sind, die freundlich sein sollen und dies optimaler Weise auch wollen, zudem stets hilfsbereit und fachkundig. Fast ein wenig anachronistisch mutet das an, wie Briefmarken kleben oder Fahrkarten am Schalter lösen. Wolfgang Bistrick hat immer darauf geachtet, dass seine Kunden zufrieden sind und er selbst Spaß an seiner Arbeit hat. Doch im Alter von 73 Jahren hat der dreifache Familien- und fünffache Großvater jetzt vielleicht das Thema seines Lebens entdeckt: persönliches Wachstum.
An Tagen wie diesen geht es Wolfgang Bistrick wie dem klassischen Einzelhandel: er muss sich dringend wandeln. Er muss sich verabschieden von dem, was ihm lieb war und sich für neue Dinge öffnen. Doch ein Umbruch ist immer schmerzhaft. Auf der anderen Seite aber auch eine Chance, noch einmal anzufangen und manches besser zu machen. Der Generationswechsel im Hause Bistrick ist längst vollzogen, aber in eine andere Richtung. Werbeagentur, die Tochter, Verlag, der Älteste. Einzig Sohn Thomas ist der Branche treu geblieben. Doch als stellvertretender Geschäftsführer der Bucherer Deutschland GmbH, verantwortlich für den Einkauf namhafter Uhrenmarken wie Rolex, A. Lange & Söhne, Cartier, Chopard, Glashütte Original oder IWC, bietet ihm der Familienbetrieb freilich wenig Perspektive. Das Ende war daher unausweichlich und ist eben doch ein sehr emotionaler Prozess, der im Geiste wohl schon länger schwelte und jetzt nun Wirklichkeit wird. Bis dahin hat Wolfgang Bistrick nicht selten intensive Gespräche mit seinen Kunden bekommen. Einzelhandel ist eben auch in Zeiten der Wissens- und Informationsgesellschaft immer noch ein Ort der Kommunikation.
Einen davon verlieren wir nun. Das ist auch deshalb schade, weil es immer weniger Traditionsbetriebe gibt. Die Firmengeschichte von Juwelier Bistrick beginnt mit der Gründung im ostpreußischen Königsberg. 1893 eröffnete Walter Bistrick am Vorder-Roßgarten 43 einen kleinen Uhrenladen. Innerhalb kürzester Zeit bringt es der selbstständige Uhrmachergehilfe zu einem eigenen Haus mit großem Uhren-, Schmuck- und Silberwarengeschäft. Um 1900 ist der Betrieb eines der sechs größten Uhrenfachgeschäfte Deutschlands. Nach dem Tod des Firmengründers im März 1927 übernahmen seine Frau Martha, seine Söhne und der Bruder die Firmenleitung und setzten die Arbeit im Sinne von Walter Bistrick erfolgreich fort. Dem Bombenhagel der Alliierten im Jahre 1944 fielen das Geschäft und Filialhaus zum Opfer. Doch in Ausweichwerkstätten lief der Betrieb bis zum Kriegsende weiter. Die ostpreußische Heimat ging verloren.
Als einziger Überlebender der Söhne von Firmengründer Walter Bistrick führte Arnold Bistrick das Geschäft weiter. Harte Aufbaujahre folgten. Ein erster Neuanfang wurde nach der Vertreibung in Hamburg gewagt. Dann wurde der Sitz des Unternehmens nach Stuttgart und schließlich, Ende 1966, nach Baldham bei München verlagert.
Der Diplom-Kaufmann, Uhrmacher und Juwelier nahm seinen Sohn Wolfgang Bistrick bereits im Jahre 1966 als Teilhaber in sein Unternehmen, nachdem dieser zuvor eine fundierte Ausbildung zum Diplom-Kaufmann und Schmuckexperten durchlaufen hatte. Im Jahre 1989 stirbt Arnold Bistrick im Alter von 79 Jahren. Seit dem führte Wolfgang Bistrick das Unternehmen im Sinne seiner Vorfahren weiter. Bis heute 12.30 Uhr. Dann ist endgültig Schluss.