Das kbo-Isar-Amper-Klinikum hat heute (18.01.) der 25 Männer gedacht, die am 18.1.1940 aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt, des heutigen kbo-Isar-Amper-Klinikums, nach Grafeneck deportiert und noch am selben Tag dort kaltblütig ermordet wurden. “Stellvertretend stehen die 25 Männer für über 2000 Patienten, die während der NS-Diktatur von Haar in die Tötungsanstalten Grafeneck und Hartheim deportiert und dort ermordet wurden”, so fasste Prof. Dr. Peter Brieger, Ärztlicher Direktor und Leiter des Arbeitskreises „Erinnerungskultur“ des kbo-Isar-Amper-Klinikums die unvorstellbaren Verbrechen zusammen. In einer stillen Gedenkfeier und Kranzniederlegung gedachten die Mitarbeiterinnen des Klinikums den Opfern: Erwachsenen und Kindern. „Sie hätten unseren Schutz und unsere Hilfe gebraucht, aber sie sind allein gelassen worden in ihrem Schicksal. Niemand stand an ihrer Seite“, so Brieger. Aufgrund der Covid-19-Pandemie fand das Gedenken am 18.1.21 im kleinen Rahmen statt, jedoch unter Anwesenheit des Bezirkstagspräsidenten Joseph Mederer, des Vorstandsvorsitzenden kbo, Martin Spuckti, der Krankenhausleitung und der Klinikseelsorge. Alle Mitarbeiter*innen und Patient*innen des Klinikums konnten am Mahnmal still mit Kerzen gedenken.
Nur wer die Geschichte kennt, kann die Zukunft gestalten. Die Erinnerung an die ermordeten Menschen und die Aufarbeitung der damaligen Verbrechen ist eine immerwährende Aufgabe, die nicht enden kann. Der Arbeitskreis „Erinnerungskultur“ des Bezirks Oberbayern erarbeitet Konzepte, wie die Erinnerung auch für die kommenden Generationen bewahrt und gestaltet werden kann. „Es ist mir ein persönliches Anliegen, die Erinnerungskultur in den Kliniken und Einrichtungen des Bezirks zu etablieren und lebendig zu halten“, betont Bezirkstagspräsident Josef Mederer.
Wie wichtig die Erinnerung an die Menschen ist, zeigen viele Rückmeldungen der Angehörigen der Opfer. Verstärkt melden sich die Angehörigen beim Klinikum und dem Bezirk Oberbayern, um noch Einsicht in Akten und andere Unterlagen nehmen zu können.
Eindrucksvoll schildert die 90jährige Lisa Wanninger die Bedeutung der Erinnerung und Aufarbeitung. Ihre Tante Thea wurde 1941 von Haar nach Hartheim deportiert und ermordet:
„Irgendwann muss Schluss sein mit den alten Geschichten!“ Das hört man – leider – immer öfters. Warum erinnere ich mich an alte, dunkle Zeiten? Ich erlaube mir einen Exkurs in Bayerische. Der bayerische Mensch hat einen nachvollziehbaren Wunsch: „Ich bitt um a gute Nachred“. Eine Möglichkeit des Gedenkens. Meine Tante Theodoline Diem, genannt Thea, wurde mit 33 Jahren ermordet. Sie hatte eine – heute meist heilbare – Krankheit und passte nicht mehr in die Gemeinschaft der Tüchtigen, der Gesunden, der Andersgläubigen, der Klugen, der „Übermenschen“, der „Überlegenen“. Diese Gemeinschaft war krank, aus vielen Gründen, krank im Kopf und im Herzen. Es hat so harmlos angefangen, mit Stolz auf das Vaterland, aufgehört hat es mit Folter und Tod unschuldiger Menschen. Die es erlebt haben, werden es – hoffentlich – nicht vergessen. Das kollektive Gedächtnis für Ungerechtigkeiten ist nicht sehr ausgeprägt. Menschen, die davon später vielleicht hören oder lesen, können das Schreckliche, Unvorstellbare kaum glauben. Ich meine, das ist eine meiner Aufgaben – ich muss Wissen und Erfahrungen weitergeben – ohne Schuldzuweisung – aber davon reden. Einmal, damit die kommenden Generationen vorsichtig sind und „den Anfängen wehren“ und dann, dass sie bewusst differenzieren und überlegen, was sie über andere sagen und denken. Jede gesunde Gemeinschaft muss Anders-Sein zulassen. Jeder hat das Recht „anders“ zu sein. Empathie / Mitgefühl kann man auch lernen. Und zum Dritten: ich will mit der Erinnerung die entrechteten Menschen wieder sichtbar machen, die einer kranken Gesellschaft und der daraus entstandenen verbrecherischen Politik zum Opfer gefallen sind. Sie werden durch das Erinnern nicht wieder lebendig, aber sie werden „rehabilitiert“ für ihr „Anderssein“, sie werden anerkannt mit ihrem erhofften Lebenstraum. Es waren Menschen wie du und ich. Erlauben Sie mir einige Gedanken zu äußern, die mich umtreiben. So wichtig mir das Gedenken an all die Menschen ist, die durch staatliche Willkür umgebracht wurden, so sehr beunruhigt mich der Gedanke, ob wir heute genug tun können, für Menschen, die auf der Flucht (aus was für Gründen auch immer) Unmenschliches erlebt haben. Wie meine Tante haben sie Todesangst, werden psychisch auffällig, vielleicht sogar straffällig oder bringen sich um. Wenn ich glauben könnte, dass vor allem die Justiz und die Psychiatrie diese Gedanken nicht weg schieben, wären das Leben und vor allem das Sterben meiner Tante nicht ganz umsonst gewesen. Ich wünsche mir, dass Haar weiterhin Verantwortung füreinander nicht nur für Gestern, sondern auch Heute übernimmt.“