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“Idealismus ist immer noch da”

von Markus Bistrick

Carsten Stormer aus Vaterstetten ist einer der erfahrensten Kriegsreporter Deutschlands. Seit Jahren berichtet er über Kriege und Krisen, er war in Syrien, Somalia, Afghanistan und im Irak. „Ich habe Sachen gesehen, die man nicht sehen sollte.“ Mit seiner Reportage über die Post-Covid Bildungskatastrophe in den Philippinen („Auf stillgelegten Gleisen“), erschienen in „Die Zeit“, ist der 50-Jährige aktuell für den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie „Beste Freie Reportage“ nominiert. Es ist bereits seine vierte Nominierung – und ein versöhnlicher Abschluss für zwanzig prägende Jahre im Printjournalismus. Ein Gespräch über die Situation des Journalismus, ausgewogene Berichterstattung und die Angst vor einem Shitstorm, Fake News und Künstliche Intelligenz sowie den unkritischen Umgang mit Social Media.

Sie schreiben künftig nicht mehr für Magazine oder Zeitungen. Warum?
Ich bin zum Dokumentarfilm gewechselt, hauptsächlich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und das Schweizer Fernsehen, weil da einfach besser bezahlt wird. Ich drehe jetzt Dokumentarfilme und Reportagen, mache alles selbst: Bin Autor, Regisseur, Kamera- und Tonmann, fliege die Drohne. Von den Honoraren, die Verlage freien Printjournalisten bezahlen, ist es schlicht und ergreifend nicht mehr möglich, zu leben. Für lange, wichtige Reportagen braucht es vor allem einen wichtigen Faktor, um Fehler zu vermeiden, um sorgfältig arbeiten zu können: Zeit – und die muss natürlich bezahlt werden. Man muss vor Ort sein, mit Menschen sprechen, Fakten checkten. Die Recherche, inklusive Vorbereitung, und das Schreiben dauern manchmal drei bis vier Wochen, dazu kommen Kosten für Fotografen, Übersetzer, Mietwagen, Hotels etc. Und dann wird man für eine lange Geschichte mit 1.000 oder 1.200 Euro, bei einer Tageszeitung nur mit 200 Euro bezahlt – das macht keinen Sinn. Journalismus ist, wenn man ihn ernsthaft betreibt, sehr teuer. Und Printjournalismus ist heute leider nur noch etwas für sehr idealistische Menschen, die keine Verantwortung, beispielsweise für eine Familie, zu tragen haben. Mein Idealismus ist immer noch da, aber ich muss am Ende des Monats auch unsere Miete bezahlen können. Aber es gibt hervorragende festangestellte Kollegen, insofern braucht es mich als freien Printjournalisten auch nicht mehr.

Sie entscheiden als einer der erfahrensten Kriegsreporter Deutschlands mit, wie wir die Welt sehen: Warum berichten Sie nicht aus der Ukraine oder dem Gazastreifen?
Ich habe in diesem Jahr zwei Mal aus der Ukraine berichtet, war insgesamt rund einen Monat dort, und plane gerade eine dritte Reise dorthin, aber es ist nicht einfach für mich, wenn ich am Flughafen einen weinenden Sohn hinterlasse. Er macht sich natürlich große Sorgen um seinen Vater.
Dazu kommt: Aufgrund der Polykrise durch den Nahost-Konflikt spüre ich als freier Journalist, dass es bei den Medienhäusern nicht ganz einfach ist, das wichtige Thema Ukraine wieder in den Fokus zu rücken.
Der Gazastreifen ist für mich eine ganz andere Nummer: Ich war bereits mehrfach dort, natürlich auch in Israel, kenne beide Seiten sehr gut und habe auch auf beiden Seiten Freunde. Privat geht mir das, was ich dort auf beiden Seiten erlebe, sehr nah. Auch im Hinblick auf unsere deutsche Geschichte nimmt mich das sehr mit. Als Journalist möchte ich allerdings gerne ausgewogen berichten können, ohne sofort in einen Shitstorm zu geraten.
Als Journalist muss ich das Existenzrecht Israels beschreiben, aber gleichzeitig die Siedlungspolitik kritisieren dürfen. Ich muss als Journalist die Hamas als Terrororganisation beschreiben, aber eben auch den berechtigten Freiheitskampf der Palästinenser. Nur eben im geschichtlichen und politischen Kontext – und auch nicht immer gleichzeitig. Das Massaker des 7. Oktobers darf nicht mit dem palästinensischen Freiheitskampf relativiert werden. Das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza und im Westjordanland darf nicht mit dem Terror der Hamas gleichgesetzt werden. Das macht den Konflikt und die Berichterstattung so kompliziert.
Außerdem habe ich den Eindruck, dass viele Menschen überhaupt nicht an Einordnung interessiert sind, sondern nur mit Halbwissen ihre Meinung bestätigt haben wollen – und da habe ich ehrlich gesagt keine Lust mehr drauf. Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß.
Grundsätzlich denke ich auch, dass Berichterstattung nicht erst beginnen sollte, wenn ein Konflikt bereits eskaliert ist. Entwicklungen sollte man langfristig begleiten. Das gibt es zwar durchaus, aber es ist auch Aufgabe der Zuhörer/Zuschauer, sich damit zu beschäftigen. Ich jedenfalls bin immer gerne länger an einem Thema dran, als von einer Krise zur anderen zu taumeln. Dazu kommt, dass es auch nicht immer ganz einfach ist, das Erlebte abzuschütteln.


Macht Künstliche Intelligenz (KI) den Journalismus besser oder wird es künftig noch schwerer zwischen Wahrheit und Fake News zu unterscheiden?
Ich sehe Künstliche Intelligenz als große Chance und gleichzeitig auch als riesige Gefahr – Stichwort: Fake News, Desinformation, Deep Fakes, etc. Wie so oft kommt es darauf an, wie Technik genutzt wird. Wenn ich mir ansehe, wie die Sozialen Medien als Waffe missbraucht werden, bekomme ich bei KI schon manchmal Bauchschmerzen. Gerade wenn jetzt auch Stimmen nachgeahmt werden können. Auf der anderen Seite kann man aber sicherlich auch Künstliche Intelligenz dafür einsetzen, um Fake News zu erkennen. Aber das erfordert natürlich Eigeninitiative und Medienkompetenz. Ich glaube zunächst erstmal nichts und prüfe alles akribisch nach. Mein Idealismus, dass sich die Wahrheit irgendwann durchsetzen wird, ist immer noch da. Aber eine gute Bekannte von mir, die philippinische Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa, sagt, dass sich eine Lüge tausend Mal schneller verbreitet als die Wahrheit. Deswegen ist die Medienkompetenz so wichtig und das wird leider komplett vernachlässigt.


Nutzen wir Social Media wie YouTube, Twitter, TikTok oder Instagram zu achtlos?
Definitiv. Und ich finde, dass da viel mehr reguliert werden müsste. Es braucht Content Manager, die die Dinge einsortieren und prüfen. Aber gerade in Deutschland habe ich den Eindruck, dass immer noch nicht bei allen angekommen ist, dass das Internet eine Zukunftstechnologie ist. Ich werde immer noch gefragt, wohin sie mir ein Fax schicken können. Hier muss dringend etwas geschehen. Und da sind alle in der Verantwortung: die Politik, die Medien, aber auch die Bürger und Mediennutzer.


Vielen Dank für das Gespräch.