Suchen wir uns tatsächlich unseren Hund aus – oder sucht sich vielmehr der Hund seinen Halter? Im Bekanntenkreis habe ich da schon von den schicksalshaftesten Begegnungen gehört, á la „Ich habe gewusst, wir sind Seelenverwandte“. Nun ja, so etwas ist sicher schön. Wir für unseren Teil haben derartiges nicht erlebt – wir wollten schlichtweg einem Labrador ein neues Zuhause geben, und aus dem aktuellen Wurf gab es nunmal nur noch einen Bruder und eine Schwester. Süß waren sie beide, das Mädchen nur etwas kleiner – und ähnlich quirlig. Wenn da damals noch mehr Geschwisterchen herumgetollt wären, hätte ich nach meiner heutigen Erfahrung wohl jeden noch so um Aufmerksamkeit heischenden, quiekenden, fiependen, drollig umherspringenden Welpen links liegen gelassen, und mich ausschließlich dem verschlafensten, trägsten Exemplar gewidmet, das weit ab vom Geschehen brav eingerollt in der Ecke liegt. Doch es sollte anders kommen, und den Rest der Geschichte kennen Sie.
Es war ein sonniger Tag im August, und Elvis zog bei uns ein. Dass er seinen Erstnamen „Otello“ womöglich nicht allein wegen des Anfangsbuchstabens „O“ für den O-Wurf, sondern womöglich auch auf Grund seines doch relativ dominanten Charakters bekommen haben könnte, blendeten wir damals vor lauter Begeisterung schlichtweg aus. Otello, der eifersüchtige Feldherr mit endlosem Ego. Sein Name war fortan eindeutig Programm, und das Programm hieß „Turbopower“.
Nur wenige übernehmen den ursprünglichen Namen eines Hundes, vermutlich weil man seinem neuen Mitbewohner ja doch etwas eigenes aufdrücken möchte. Wir entschieden uns für den Kompromiss eines Zweitnamens: Elvis Otello. Und für zusätzliche Individualität fügte ich damals als Drittname noch „Tonnato“ hinzu. In jenem Moment fand ich das lustig. Jetzt, wo diese Verballhornung regelmäßig in voller Länge in den Versicherungsbriefen aufgeführt wird, wirkt er wie blanker Hohn: „Leider müssen wir ihnen mitteilen, dass wir die Kosten für die Untersuchung von Elvis Otello Tonnato nicht übernehmen können.“ Natürlich, das ist nur ein Serienbrief, in den automatisch der Name aus dem Anmeldeformular übertragen wird – doch ich fühle mich dennoch regelmäßig ein bisschen gefoppt, wenn ich das so lese. Naja, selber schuld.
Aber zurück zur Ausgangsfrage. Wonach sucht man sich seinen Hund tatsächlich aus? Viele entscheiden nach der Optik oder suchen einen Hund, der vom Wesen her passen könnte. So will ein sportlicher Mensch einen aktiven, eine Familie mit Kindern einen geduldigen Vierbeiner. Es soll tatsächlich auch Menschen geben, die sich ihren Hund nur danach aussuchen, dass er „weder stinkt noch haart“. (Ich empfehle in diesem Fall einen Nacktmull oder ein Tamagotchi, wenngleich das auch ganz schön nerven kann.)
Nicht grundlos können sich viele Hundekenner ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn der Nachbar vom Tierheim mit einem Exemplar zurückkommt, dass für sein eher eigensinniges Wesen bekannt ist. Tatsächlich macht es einen großen Unterschied, ob wir uns einen Hüte- oder Jagdhund halten. Wer einen Wachhund braucht, ist schlecht mit einer Rasse beraten, die dem Einbrecher noch beim Raustragen hilft. Dackel und Beagle beispielsweise sind für die Jagd gezüchtet worden, sollten Fährten eigenständig verfolgen und die Beute aus dem Bau scheuchen – fernab vom Herrchen und dessen Befehlen. Genau deshalb war es nötig, dass der Hund eigene Entscheidungen fällt. Auch heute, fernab der Jagd, treffen Dackel gerne eigene Entscheidungen, zumindest dann, wenn sie von ihren Menschen keine klaren Anweisungen erhalten.
Letztlich ist jeder Hund ein Original. Rasse hin oder her, ich kenne Labradore, die ungern schwimmen, Beagle, die man im wahrsten Sinne des Wortes zum Jagen tragen muss und lustige Rottweiler, die sich den ganzen Tag kraulen lassen. Ein Hund ist nunmal keine Quartettkarte mit genauen Spezifika und PS, die garantiert zu erwarten sind. Fast jeder Hund kann ein toller Familienhund sein – auf seine eigene Art. Generell kann ich aber zur Quartettkarte meines Labradors folgendes sagen:
Elvis liegt immer und überall im Weg. Dabei nimmt er deutlich mehr Platz ein, als ihm eigentlich zustehen würde. Er selbst fühlt sich bei seinem Körpergewicht von 30 kg schwerelos und trampelt leidenschaftlich gern mit seinen Wuchtpfoten auf menschlichen Füßen herum, als wäre er die filigranste Ballerina. Wo Katzen einen mit geschmeidigen, blankgeputzten Pfötchen liebevoll anstupsen, erzeugt die ungelenke Labrador´sche Grobmotorik gerne mal Kratzer, Laufmaschen und Schürfwunden. Er folgt einem im Haus auf Schritt und Tritt überall hin, bis man irgendwann rücklings über hin fällt. Verfolgt er einen in einen kleinen Raum, und man schickt ihn weg, kann er nur rückwärts wieder hinaus und bewegt sich dabei im Tempo eines Abschleppfahrzeugs. Außerhalb der vier Wände folgt er dafür jedem anderen, besonders wenn dieser in die gegensätzliche Richtung geht. Elvis verfügt über eine perfekte innere Uhr – vor allem an Tagen, an denen ich ausschlafen kann.
So ein Labrador hat ein praktisch selbst reinigendes Fell. Schon das ermächtigt ihn dazu, sich bei jeder Witterung in den schlammigsten Pfützen zu suhlen – um nur Minuten später wieder zu glänzen wie frisch gestriegelt und poliert. Es ist mir unerklärlich, wie das funktioniert. Leider erweitert sich die selbst reinigende Funktion seines Fells nicht auf die unmittelbare Umgebung, sprich, auf mein Wohnzimmer. Dort fliegen seither jeden Tag aufs Neue gigantische Fellpuscheln von links nach rechts, wie in alten Western. Wischen: impossible!