Quelle: privat

Mein Hundeleben: Elvis am Meer

von Eva Bistrick

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Es gibt doch tatsächlich etwas, das unseren Labrador in einen Zustand der Zurückhaltung, ich möchte es fast Demut nennen, versetzen kann. Zumindest vorübergehend. Alles, was es dafür braucht, ist ein Koffer, der drohend in den Wohnungsflur gerollt wird. Schon kurz darauf folgt ein Schauspiel der besonderen Art – Elvis trottet unmittelbar in sein Körbchen, wo er dann bis auf Weiteres ohne einen Mucks und mit stoisch-leidendem Ausdruck verharrt. Ich ahne, was in seinem Erbsenhirn vorgeht: „Wenn ich mich jetzt unauffällig verhalte, kann mir nichts passieren“. Diesmal soll es für ihn aber ganz anders kommen – doch das ahnte der fellige Fürst zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er durfte nämlich mit auf die große Fahrt! Elvis, zum ersten Mal am Meer.

h würde lügen, wenn ich behaupte, dass es eine einhellige Entscheidung war, den Hund in den Urlaub mitzunehmen. Da es aber anscheinend unmöglich ist, Elvis irgendwo in Vaterstetten/Umgebung für ein paar Tage unterzubringen (was ich vermutlich dieser Kolumne zu verdanken habe), blieb uns nichts anderes übrig. Und letztlich ist es ja auch schön für ein Tier, wenn es ganz nah bei seinen Menschen sein darf. Ich für meinen Teil hätte mir allerdings durchaus etwas weniger Nähe vorstellen können … zumal Elvis im Urlaub gelernt hat, Türen zu öffnen.

Weil wir den Benimm unseres Hundes recht realistisch einzuschätzen vermögen, hatten wir uns ein hundefreundliches Urlaubsland mit ebensolchen Unterkünften herausgesucht, wo – so hofften wir – selbst ein Krawall-Kaliber wie Elvis nicht über die Maßen auffallen sollte. Unseren ersten Ausflug an den Strand machten wir dennoch wohlweislich in der Dämmerung. Schließlich wussten wir nicht, wie der Hund auf Sand, Salzwasser und Wellengang reagieren würde, also galt es, Zeugen (und Opfer) zu minimieren.

Nun, Elvis reagierte nicht, er über-reagierte schlechthin und pinkelte erstmal in die Fluten, bevor er übermütig nach den Wellen schnappte und das Salzwasser kurz darauf wenig standesgemäß wieder von sich gab. Die Löcher, die er dann im Sand grub, reichten gefühlt bis zum Mittelpunkt der Erde, und danach sah er aus wie ein panierter Seeotter. Ganz abgesehen von den friedlich plantschenden Kindern in der Brandung, die dieser panierte Seeotter pflichtbewusst aus dem Wasser retten wollte. Wohlgemerkt, mussten und wollten die gar nicht gerettet werden – außer letztlich vor Elvis. Ich muss trotz allem anerkennen, wie toll dieser Hund sogar mit Ballast schwimmen kann.

Sobald Elvis einen Hund oder einen fliegenden Ball, oder, am allerschlimmsten, einen Hund MIT Ball entdeckte, legte er seinen ur-eigenen Rallye-Gang ein und peste wie von der Tarantel gestochen los, dass der Sand nur so flog. Es ist eine nicht ganz angenehme Angelegenheit, wenn einem eine sandig-nasse Schleppleine binnen Sekunden gleich meterweise durch die die Hände rinnt. Ich hatte die Wahl: Verbrennungen ersten oder Peinlichkeiten dritten Grades. Ich entschied mich für meine Hände und gegen jegliche Möglichkeit, vor Ort noch irgendeinen freundschaftlichen Anschluss zu finden.

Elvis raste also durchs Dunkel, ich sah nur sein grünes Leuchthalsband, das klabauterartig auf- und ab hüpfte. Nun gut, immerhin hatten wir ihn noch im Blick und konnten ihn im Zweifel wiederfinden und abrufen. Von wegen! Just in diesem Moment gab das Halsband auch noch sang- und klanglos den Geist auf. Wir sahen also gar nichts mehr. Dafür hörten wir einiges. Vornehmlich hysterische Schreckensschreie. Ein bisschen klang das wie auf dem Oktoberfest, wenn man an der Achterbahn vorbeigeht. Vermutlich haben die vielen kleinen Grüppchen anderer Strandbesucher im Dunkeln alles erwartet, nur keinen sandig-nassen Fellterminator, der ungelenk auf ihr Handtuch springt, sich wie irre schüttelt, Getränke umreißt und freudig jedes Stück Haut ableckt, das nicht von Kleidung bedeckt ist. An dieser Stelle muss ich anmerken, dass direkt neben diesem Strandstück auch der FKK-Bereich angesiedelt war. Braucht es da noch mehr Worte?

Am nächsten Morgen tarnte ich mich auf dem Weg zum Bäcker sicherheitshalber mit Hut und Sonnenbrille. Besser wäre es gewesen, ich hätte Elvis irgendwie verkleiden können. Notgedrungen band ich ihn dann in einer stillen Ecke vor dem Geschäft fest, wo ich ihn halbwegs im Blick hatte. Ich hätte mich besser gefühlt, wenn ich ein Schild mit der Aufschrift „Nicht ansprechen – nicht ansehen – nicht loben“ gehabt hätte. (Merken: für den nächsten Urlaub basteln). Aber so beruhigte ich mich, dass schon alle Stricke reißen müssten, damit sich irgend jemand überhaupt in diese Ecke verläuft.

Wie sollte es anders sein, es rissen alle Stricke. Während ich leicht gehetzt Baguette und Croissants einlud, hatte ich immer ein Auge auf Elvis. Nur ganz kurz nicht, als ich beim Rückweg quer durch die Reihen musste. Und, oh Schreck – kein Elvis mehr vor der Tür zu sehen! Seine Leine lag noch da, mitsamt Halsband. Schon wieder! Während ich panisch Richtung Kasse rannte, ließen mich vertraute Laute innehalten. Juchzen, hysterisches Kreischen, lautes Lachen und Schimpfen, nur eben auf Französisch. Himmel, das musste der Ausreißer sein! Eine Kehrtwende später fand ich Elvis wieder. Sehr freudig erregt. Vor der Fleisch- und Wursttheke, bettelnd, sich keiner Schuld bewusst. Eine Französin lobte ihn sogar noch dafür. Wie soll ich diesen Hund so jemals erzogen kriegen?

Das Ende vom Lied war, dass ich mich kleinlaut wieder heimwärts trollte, ohne Brille und ohne Hut, beides hatte ich in der Hektik an der Wursttheke vergessen. Ich verstand, dass es sowieso keinen Sinn mehr hatte, sich zu verstecken. Prompt wurden wir auf dem Heimweg mehrfach angesprochen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich froh über mein extrem eingerostetes Schul-Französisch.