In der Ruhe liegt die Kraft? Von wegen.

von Markus Bistrick

Interview mit Profi-Beachvolleyballer Simon Kulzer aus Baldham

Top 100-Beachvolleyballer, Student der Wirtschaftspsychologie, stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses des Wirtschaftsbeirats Bayern. Wenn der Baldhamer Simon Kulzer Freunde trifft, dann nicht um Party, sondern um gemeinsam Sport zu machen. Müßiggang ist für das 23-jährige Kraftpaket ein Fremdwort. Das Taktieren und Analysieren liegt ihm im Blut. „Ich kann nicht am Strand liegen und ein Buch lesen, ich bin nonstop am Werkeln, weil mich das dann entspannt“, sagt er. Sein größter Erfolg: der World-Tour Sieg in Indien vor 6000 Zuschauern. Wir haben Simon Kulzer getroffen und mit ihm über seinen Antrieb, sein soziales Engagement und die gesellschaftliche Verantwortung der Sportler gesprochen.

Herr Kulzer, Ihre sportliche Karriere hat mit einem „Trauma“ begonnen.

Das stimmt. Wir waren 2008 in einem Cluburlaub und da lief immer ein Animateur rum und hat die Jugendlichen aufgefordert, Beachvolleyball zu spielen. Meine beiden Schwestern und andere Jungs haben mitgemacht. Ich durfte nicht, weil ich noch nicht 12 Jahre alt und auch zu schlecht war. Das hat mich ziemlich genervt.

In der Zeit gab es in Deutschland eine Tankstellenaktion. Da hat man für eine bestimmte Punktzahl einen Volleyball bekommen. Ich habe fleißig gesammelt und einen Ball geholt. Mit meiner Mutter bin ich dann nach der Schule zu den Beachvolleyballfeldern im Vaterstettener Stadion gefahren und habe übers Netz pritschen geübt. Meine Mutter kann übrigens gar nicht Volleyball, mein Vater auch null. Ich habe allerdings auch schon vor Volleyball vier bis fünf Mal die Woche Sport gemacht.

Das reicht für den Weg in die Top 100 der Welt? Im Ernst, wie ging es weiter?

Ich bin dann zum TSV Vaterstetten, aber die haben mich anfangs auch nicht wirklich gerne aufgenommen, weil ich einfach sehr schlecht war und letztlich zwei Jahre später mit Volleyball angefangen habe als die anderen. Aber mein damaliger Trainer und Übungsleiter hat mein Talent und vor allem auch meinen Ehrgeiz gesehen, mich toll gefördert und später dann – als ich besser wurde – auch Einzeltraining mit mir gemacht. Da hat sich dann mein Ehrgeiz entwickelt. Ich wollte immer besser werden. Und als ich dann für einen verletzten Spieler kurzfristig einspringen durfte, bin ich mit meinem sehr guten Partner zusammen Oberbayerischer Meister (U13) geworden – nach einem dreiviertel Jahr Volleyball im Verein. Ein Jahr später wurde ich dann Bayerischer Meister (U13).

Sind Sie dem TSV Vaterstetten heute noch verbunden?

Wenn ich da bin, gebe ich als Übungsleiter Trainings, z. B. für die U13 und U15 Mädchen und die U17 Jungs. Die kennen mich aus dem Ort und ich freue mich darüber, dass die darauf Bock haben.

Auf die Frage, was Sie einmal werden wollen, haben Sie damals Zeitungskollegen gegenüber geantwortet: Weltmeister.

Als kleines Kind denkst du dir: Was ist das höchste, was du erreichen kannst? Der Beste der Welt sein. Das war damals natürlich nur dahergesagt, aber es war mein Ziel. Dafür kämpfe ich. Das ist meine Motivation.

Sie sind Profisportler – viele Menschen assozieren das mit großen Geldmengen.

Zunächst einmal sehe ich mich eher als Leistungssportler und das, was die Leute wahrnehmen, sind unvorstellbare Summen, die teilweise im Profi-Fußball verdient werden. Mit meinem Leben, und dem der allermeisten Sportler, hat das absolut nichts zu tun. Da zahlt man eher drauf – zum Turnier fahren, übernachten, Ausrüstung, Trainingslager im Ausland, Flüge. Ich bin sehr froh, dass ich tolle Sponsoren wie metabion, DreierKüchen oder KWAG habe. Anders wäre das nicht finanzierbar.

Nochmal zurück zum Fußball. Ärgert es Sie nicht trotzdem manchmal, dass dort das Geld keine Rolle spielt und Sie jobben und Sponsoren suchen müssen?

Das ist Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage. Beim Fußball würde ich mir allerdings eine Abgabe wünschen, so wie es sie im Breitensport gibt: Wenn du eine Förderung bekommen hast, dann musst du später, wenn du erfolgreich bist, fünf Prozent deiner Einnahmen an die Jugendförderung zurückführen. So ein Neymar könnte da viel Gutes tun. Außerdem sollte sich der FC Bayern breiter aufstellen – also neben Fußball und Basketball auch Handball und Volleyball anbieten. Die picken sich die Rosinen aus dem Kuchen, das ärgert mich. Ich möchte aber mit keinem Fußballer tauschen, ich habe den schönsten Beruf, den es gibt.

Warum genau?

Ich spiele an den schönsten Stränden der Welt, in den Schweizer Bergen, ich komme unglaublich viel herum in der Welt – das kann man mit keinem Fußballplatz oder Stadion vergleichen. Aber die Topverdiener im Profisport sollten mehr in die soziale Verantwortung genommen werden. Sie müssten – wie ich – auch an Schulen gehen, ihren Weg erklären, über Ernährung informieren und die Kids motivieren und ihnen Tipps geben. Da hätten die Sportler doch sicher Spaß daran, auch die Fußballer. Von der Vorbildfunktion ganz abgesehen. Wenn deine extrinsische Motivation nur über Geld geht, dann bist du kein Profisportler. Es muss Leidenschaft dabei sein, man will sich einfach bestmöglich entwickeln.

Sie sind unglaublich diszipliniert, gibt es nie das Bedürfnis, Party zu machen?

Mit 16 hatte ich einmal einen Alkoholrausch, ich trinke auch gern auf der Hütte mal ein Bier. Oder zwei. Auch alkoholfrei, ich schmecke da keinen Unterschied. Aber rauchen oder durchfeiern gibt es nicht. Letzteres maximal nach einem Turniersieg. Aber selten, denn meist hetzt man dann gleich zum nächsten Flieger. Dieses Leben gibt es einfach nicht für mich, da bin ich nicht der Typ dafür, ich hätte da ein schlechtes Gewissen. Meine Freunde treffe ich, um Sport zu machen – z . B. Surfen am Eisbach.

Als wäre der Sport nicht genug, studieren Sie auch noch.

Im Zug bin ich nicht selten bis zu acht Stunden unterwegs, dann lerne ich. Kopfhörer auf und los geht‘s. Ich habe mir eine Uni ausgesucht, bei der man auf Turniere Rücksicht nimmt und gegebenenfalls Prüfungen verschieben kann. Eigenverantwortung ist natürlich Voraussetzung. Mein Fokus liegt aber derzeit ganz klar auf dem Sport. Ich will mein Studium schon richtig machen, nur eben langsamer, einen guten Schnitt will ich natürlich auch. Hier greift quasi wieder mein natürlicher Ehrgeiz.

Aufgrund des Sports können Sie wohl eher selten in der Uni anwesend sein, trotzdem kommen Sie offenbar klar. Ist das Präsenzmodell überholt?

Das lässt sich sicher so pauschal nicht beantworten, aber ich glaube schon, dass der Chemielehrer, der an der Tafel steht und sein Programm abspult nicht mehr zeitgemäß ist. Der Youtube Kanal „Simple Club“ beispielsweise, verbindet Witz und Emotion mit Information, besser als ich es an meiner Uni oder in der Schule jemals erklärt bekommen habe. Da versteht man alles und sofort. Ich frage mich, warum übernimmt der Lehrer nicht die Rolle des Allrounders und individuellen Unterstützers? Das wäre für mich eine Hoffnung für die Bildungskultur. Es gibt die Plattformen, wo sich Leute – nicht der Lehrer – als Coaches einbringen. Es kann Programme geben, wo dir etwas erklärt wird und der Lehrer anschließend schaut und überprüft, ob es jeder verstanden hat. Immer den gleichen Vortrag zu halten, ist nicht mehr zeitgemäß.

Sie studieren Wirtschaftspsychologie , das hat nicht viel mit Sport zu tun, oder doch?

Die Fragestellungen sind: Wohin entwickeln wir uns mit Künstlicher Intelligenz und autonomen Fahren? Wird der Mensch überflüssig? Schon heute sind 40 Prozent der Arbeitsfelder automatisierbar, da braucht es den Menschen nicht. Künftig müssen wir uns also genauer anschauen, wie die Maschine arbeiten muss, dass es für den Menschen gut ist. Es gibt übrigens auch Mentaltrainings, die im Leistungssport eingesetzt werden. Wie man quasi ein gutes Mindset navigiert und auf dem Feld mit Ritualen auskämpft und in positive Energie umwandelt, was man alles mental mit den Gedanken steuern kann, was mit Atmung alles möglich ist.

Ich fand es schon immer spannend, die Menschen zu verstehen. Vielleicht mache ich nach meinem Abschluss dann mit „International Management“ weiter, damit ich mich breiter aufstellen kann.

Als Mitglied im Wirtschaftsbeirat der Union diskutieren Sie Ende Juli unter anderem mit dem Bayerischen Sportminister Joachim Hermann und dem ehemaligen Skilangläufer Tobias Angerer über die Bedeutung des Breitensports. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?

Wir bewegen uns so wenig wie nie zuvor. Jetzt gehen wir ja nicht mal mehr zum Shoppen in die Stadt, sondern bestellen uns alles via Amazon. Die Digitalisierung führt dazu, dass die Kinder noch mehr zocken und noch weniger Sport machen. Dabei hat der Sport über die Gesundheit hinaus einen hohen Stellenwert. Über Sport hast  du die Möglichkeit, Menschen aus verschiedenen Kulturen miteinander zu verbinden, da entsteht ein Wir-Gefühl. Ich will niemand zu irgendetwas zwingen, aber ich setze mich sehr engagiert dafür ein, dass sich die Vereine etwas mehr öffnen. Wenn du mit 9, 10 oder 11 Jahren nicht im Verein bist, kannst du mit 15 häufig nicht mehr eintreten, ohne dass du das Gefühl hast, du bist schlecht. Man sollte jederzeit eintreten können, auch als Anfänger. Das hat sicher auch etwas mit meinen anfänglichen Erfahrungen zu tun (lächelt).

Ich wollte nie leistungsbezogen Sport treiben, daher war ich auch im Verein falsch.

Das ist sicher ein häufiges Problem. Wollen die Vereine leistungsorientiert arbeiten und Profis ausbilden oder Leute dazu bewegen, Sport zu machen, Freude zu haben, sich etwas zu verbessern und Spaß am Sport zu haben. Beides ist wichtig, geht aber aus Kapazitätsgründen leider nicht immer.

Schulsport. Feriencamps. Leute müssen auf Sportplätzen Sport treiben dürfen, wenn sie es möchten. Dann machen da einfach mal 70 Leute Yoga. Und warum machen wir das nicht für Schulkinder? Karatestunden? Boxen nach dem Wochenmarkt? Ich setze mich dafür ein, dass es ein größeres Angebot gibt. Mir geht es darum, die Freude am Sport zu wecken. Wenn einer mit 130 kg und schlechten Sportnoten demotiviert ist, wie soll der jemals Lust darauf bekommen, sich zu bewegen und ein Selbstwertgefühl bekommen?

Sport als Katalysator für Selbstvertrauen?

Ja, klar. In den Social Media Kanälen macht sich heute jeder so, wie er sich gerne hätte, Da wird viel „Wow“ vorgespielt, und dafür bekommst du dann „Freunde“. Es ist schwer, da noch ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Im Sport musst du dich ehrlich mit deinen Stärken und Schwächen auseinandersetzen. Als Trainer oder Coach kann man mit viel Fingerspitzengefühl einen großen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung leisten.

Herr Kulzer, vielen Dank für das Gespräch.