Im Sternenhimmel

von Eva Bistrick

Über das Tantris, Münchens bekanntestes Sterne-Restaurant, wurde schon viel geschrieben. Dass jetzt dort eine Baldhamerin eine Ausbildung zur Patissière macht, ist definitiv noch eine Geschichte wert:

Rosa Jacobs (19) steht täglich an glänzenden Arbeitsflächen und wirbelt zwischen heißen Blechen und gigantischen Kühlschränken umher. Wir haben sie an ihrem Arbeitsplatz besucht – und eine charmante junge Frau kennen gelernt, die mit viel Ehrgeiz und einem ansteckenden Lächeln einen sehr besonderen Job macht.

(Foto: Ilona Stelzl)

„Ich bin hier happy, es ist der beste Arbeitsplatz, den ich mir vorstellen kann.“ Der Satz fällt gleich zu Beginn, zwischen Backofenhitze und Baiser. Rosa trägt Bluse und Schürze, ihre dunklen Locken sind zum Zopf gebunden. In der Hand balanciert sie ein Backblech mit Erdbeeren auf Haselnussbiskuit. „Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich das schon gemacht habe.“ Mittlerweile sitzt jeder Handgriff.

(Foto: Ilona Stelzl)

Rund eine Stunde lang hat die 19-Jährige konzentriert Erdbeeren drapiert und Butter für die Cremefüllung in ein überdimensionales Teigrührgerät portioniert. Währenddessen reden wir. Über ihre Familie, über ihre Pläne, über den ersten Backversuch mit neun Jahren – Windbeutel mit ihrer Mutter in der Küche im Otterweg. „Von da an habe ich eigentlich in jeder freien Minute gebacken“, erinnert sich Rosa. Nur wenn sie im Ballettunterricht war, tauschte sie die Teigschüssel gegen den Tanzsaal.

(Foto: Ilona Stelzl)

Wer im 2-Sterne-Gourmettempel Tantris bestehen will, braucht Geduld und Fingerspitzengefühl. „Am Anfang habe ich mich vor Ehrfurcht nicht mal in die Küche getraut.“ Rosa lächelt verlegen. Selbst Sterneköche wie Tim Raue oder Alexander Herrmann äußern immer wieder – aus guten Gründen – großen Respekt vor der Patisserie. Doch Rosa hat keine Berührungsängste vor der süßen Kunst. Auch wenn ihr ihre Vorkenntnisse tatsächlich nicht weitergeholfen haben, als sie die Ausbildung begann: „Ich habe mich gefühlt, als hätte ich noch nie einen Schneebesen in der Hand gehabt.“ Dabei hat sie schon früh mitgemischt: Papa Markus tüftelte gern an Pralinen, Mama Jana kocht leidenschaftlich gern. Die Großeltern, die auch in Baldham wohnen: absolute Foodies, privat wie beruflich. Das Kulinarik-Gen? Dürfte aus der Familie kommen.

Bei Rosa sieht es (mittlerweile) mühelos aus. Doch Schokolade temperieren, Zuckerfäden ziehen, Schleifen daraus formen – all das gelingt nur nach Dutzenden Versuchen und viel Übung. „Natürlich geht auch mal was daneben. Aber dann ist keiner böse – es lässt sich ja nicht mehr ändern.“

(Foto: Ilona Stelzl)

Nach einer Stunde Kunst am Kuchen wird es filigraner: Rosa veredelt hausgemachte Pralinen. Eine schöner als die andere. Mit einer Pinzette setzt sie Blattsilber auf die glänzenden Schokoladenwürfel. Einige wurden mit einer Pfefferinfusion aromatisiert, die Kakaobohnen stammen aus Peru und Madagaskar. Am Abend, wenn die Gäste auf den letzten Gang, die süße Krönung ihres Menüs, warten, wird Rosa sie kunstvoll in Kakaobohnenhälften auf den Tellern anrichten. Einfache Konditorskunst ist das längst nicht mehr. Aber wir sind schließlich auch im Tantris.

Kunst oder Konditorhandwerk? Beides!
Foto: Tantris Maison Culinaire / Jörg Lehmann
Filigran & formvollendet
Foto: Tantris Maison Culinaire / Jörg Lehmann

Die Atmosphäre in der Patisserie ist professionell, aber nicht verkrampft. Fünf Mitarbeiter gibt es hier, zwei davon Chefs. Rosa darf inzwischen einiges alleine machen. Kontrolliert sie denn keiner? „Die Chefs schauen mir heimlich über die Schulter – man sieht es nicht“, sagt sie. Ihre Kollegen arbeiten währenddessen mit stoischer Ruhe vor sich hin – einer faltet ein wie ein Raviolo geformtes Dessert, gefüllt mit Mini-Clafoutis, französischem Kirschkuchen. Parallel wird am Backposten an einem Fougasse experimentiert, einem provenzalischen Brot aus Hefeteig, mit Oliven und getrockneten Tomaten. Alles läuft wie in einem Uhrwerk, alle Zahnräder müssen ineinandergreifen, damit der Betrieb nicht ins Stocken gerät. Zwischendurch kommt ein junger Kollege aus dem Service vorbei und überbringt neue Informationen – scheinbar hat sich die Gästezahl an einem der Tische verändert. Die Kollegen nehmen es gelassen zur Kenntnis – Lösungen sind da, um gefunden zu werden.

An Realismus mangelt es Rosa nicht. „Die Schwierigkeit ist, acht Sachen gleichzeitig zu machen und alles rechtzeitig fertig zu bekommen.“ Und dabei nicht die Nerven zu verlieren – selbst wenn der Druck steigt. Manchmal schneidet sie sich, häufiger, als sie sich an heißen Blechen oder Schüsseln verbrennt. „Gottseidank haben wir einen Pflasterspender.“ Abends schmerzen trotzdem meist die Füße mehr als die Hände. Rosa trägt Kontaktlinsen, doch heute nicht. „Die Brille rutscht mir bei der Arbeit, wenn es hektisch ist, von der verschwitzten Nase.“ Gesagt – und schon schiebt sie das Gestell wieder hoch.

Trotz aller Herausforderungen – bei Rosa klingt nichts gequält. Sie liebt, was sie tut. Besonders die Eleganz der französischen Patisserie hat es ihr angetan: kleine Petit Fours, die aussehen wie Kunstwerke. Patisserie-Chef Maxime Rebmann weiß zu jeder seiner Kreationen eine Geschichte. „Er erzählt uns, was es in ihm auslöst, woran ihn das Gericht erinnert.“ Das inspiriert Rosa – vor allem, wenn es ungewöhnlich wird: Fenchel, sechs Stunden in Zuckersirup mit Anis und Kräutern eingelegt. Oder die Idee zu „Forest“, einem feinen Keks mit Walderdbeermarmelade und Milchreisinfusion. Wenn Rosa sich bis zum Rest ihres Lebens für ein Dessert entscheiden müsste, wäre es Mousse au Chocolat. Im Tantris wird die nicht einfach nur mit Sahne und Kuvertüre gemacht, sondern mit hauchdünnen Schokoladenplättchen veredelt, die herrlich knacken, wenn der Löffel eintaucht.

(Foto: Ilona Stelzl)

Rosa, die am Humboldt-Gymnasium Abitur gemacht hat, ist die Jüngste im Team. Dass nur drei Frauen in der Patisserie arbeiten, thematisiert sie von sich aus. „Qualitätsküche ist schwer mit Kinderkriegen vereinbar.“ Und doch will sie beides: später eine Familie – und ihre Leidenschaft weiter ausleben. Als Rosa von ihrem Freund Julius schwärmt, schmunzelt einer der Kollegen, obwohl er wenig Deutsch versteht. Scheinbar erzählt sie nicht zum ersten Mal von ihm. Julius arbeitet als Elektriker, sie sehen sich an Rosas freien Tagen. „Wir beide haben eben Ziele. Er bestärkt mich, wo er kann.“ Und da sind sie wieder: diese Herzchen in ihren Augen, die wir schon kennen – etwa, wenn Rosa von feinster Schokolade erzählt. Oder von einem Dessert, das wie ein Märchen schmeckt.

So sieht Rosa aus, wenn sie von ihrer Zukunft spricht. Foto: Ilona Stelzl

Zwischen all diesen raffinierten Kreationen entdecke ich zu meiner Überraschung ein Glas Nutella in Rosas Schublade, in der sie zum Ende unseres Besuchs auch ihr kleines Notizbuch verstaut. „Damit übe ich, wenn es die Zeit zulässt, perfekte Nocken abzustechen“, erklärt sie. Schnöde Haselnusscreme in der Sterneküche, wenn man gleichzeitig mit feinsten Kakaomassen hantiert? „Nutella geht immer“, sagt Rosa trocken. Alltag zwischen Zeitdruck, Zuckerträumen und Zielstrebigkeit.

Fast zu schön, um es zu essen – Desserts aus dem Tantris.
Foto: Tantris Maison Culinaire / Jörg Lehmann