Die Vorleserin

von Catrin Guntersdorfer

Wenn wir lesen, tauchen wir ein in neue Welten. Bücher beflügeln unsere Fantasie und unterhalten uns. Mehrmals täglich taucht auch Ulrike Wolz ab und verschwindet in ihrer eigenen Welt: „Man muss sich nicht den ganzen Tag Zeit nehmen, um ein Buch zu lesen. Oft reicht mir auch eine Viertelstunde, die ich zwischendrin lesen kann. Darum habe ich tatsächlich immer ein Buch dabei.“ Aber nicht nur das Lesen begeistert die 75-Jährige – den meisten in Vaterstetten und Umgebung ist Ulrike Wolz bekannt als Vorleserin, die weiß, mit ihrer Stimme zu begeistern und vorgetragenen Texten Leben einzuhauchen. Schon seit 20 Jahren präsentiert sie im Rahmen ihrer selbst organisierten Lesungen Bücher einem stetig wachsenden Publikum. „Ich suche die Bücher nach meinen persönlichen Vorlieben aus“, erklärt Wolz die Zusammenstellung der Titel für ihre Vorträge. „Dabei lege ich natürlich Wert auf Qualität. Und auch das Cover muss mich gleich ansprechen. Es gibt welche, da mache ich einen weiten Bogen drum, wie zum Beispiel um flache Liebesromane“, lacht die passionierte Vorleserin. „Die verkaufen sich ja von selbst!“

Lesen kann man überall. Davon ist Ulrike Wolz überzeugt. Auch in der S-Bahn oder bei Autofahrten hat sie stets ein Buch dabei. (Foto: Catrin Guntersdorfer/ B304.de)

Erst für Freunde – dann vor großem Publikum

Angefangen hatte alles 2002, als sich Ulrike Wolz eine neue Aufgabe suchen wollte. „Ich bin damals in einem emotionalen Loch gewesen“, erinnert sie sich zurück. Ihre Mutter war verstorben, die Kinder aus dem Haus und sie hatte ihren Job als Chefredakteurin bei einem Magazin verloren. „Die Vollbeschäftigung war quasi dahin – bevor ich später dann Großmutter wurde und alles wieder anders wurde“ lacht Wolz. Damals startete sie ihre Karriere als Vorleserin im Café Klamms in der Bahnhofstraße in Vaterstetten. Ulrike Wolz´ Sohn war mit dessen Betreibern befreundet und bei einem Brainstorming, wo man überlegte, wie man durch Veranstaltungen Gäste gewinnen könnte, kam er auf die Idee: „Lasst doch meine Mutter vorlesen – die kann das richtig gut!“ Gesagt getan: Alle vier Wochen war Ulrike Wolz von nun an im Café anzutreffen und stellte Bücher vor. „Das war tatsächlich von Anfang an ein Erfolg”, erinnert sie sich. „Zuerst kamen zwar nur Freunde, aber es wurden schnell immer mehr Zuhörer.“

Ihre Listen der Bücher, die Ulrike Wolz vorgestellt hat, hat sie akribisch archiviert. (Foto: Catrin Guntersdorfer/ B304.de)

Zwei Lesungen pro Jahr

Doch nach 10 Jahren des monatlichen Vorlese-Programms protestierte Wolz´ Mann: „“Du liest ja nur noch!“, hat er sich damals beschwert und da ich ja auch nicht jünger werde, hab ich mich entschlossen nur noch zwei Lesungen pro Jahr zu machen, wo ich mir wirklich meine persönlichen Rosinen der Neuerscheinungen im Frühjahr und Herbst herauspicke“, erklärt die gebürtige Münchnerin, die sich selber übrigens nie vorstellen konnte, als Autorin in Aktion zu treten und Bücher zu schreiben. “In unserem Freundeskreis bin ich aber bekannt dafür, zum Beispiel zu Geburtstagen kleine Theaterstücke zu verfassen. Ich bin ein extrovertierter Mensch und meine Vorträge sind garantiert nicht langweilig – die Leute schlafen bei mir nicht ein!“ Bei ihren Lesungen genießt sie besonders den Moment, in dem die Menschen mit weit offenem Mund vor ihr sitzen und gespannt warten, wie es im Text weitergeht. „Es freut mich am meisten, wenn meine Pointe richtig sitzt und das Publikum dann schallend loslacht.“ 

Schon im Eingangsbereich des Hauses begrüßt bei Familie Wolz ein Bücherregal die Gäste (Foto: Catrin Guntersdorfer / B304.de)

Fliegender Teppich ins Reich der Fantasie

Sowohl ihren zwei Kindern, als auch später den fünf Enkelkindern, hat Ulrike Wolz, die seit 1975 mit ihrem Mann in Vaterstetten lebt, immer gerne und viel vorgelesen und auch heute ist ihr das Vorlesen für Kinder ein persönliches Anliegen. So hatte sie sich zu ihrem 70. Geburtstag statt Geschenken von ihren Freunden Spenden für eine Bücherkisten gewünscht, mit der sie dann in Kindergärten zu Gast war. Stolze 2500 Euro kamen damals zusammen. Und auch bei ihrer 100. Jubiläums-Vorlesung wurde das Eintrittsgeld  für die „Aktion Lesekoffer“ gespendet. Die Vaterstettenerin, die aus der Literaturszene der Region nicht mehr wegzudenken ist, hofft, „dass trotz der ganzen Computerspiele bei den Kindern die Fantasie nicht eintrocknet. Dagegen hilft vor allem Vorlesen.“

“Als erstes fliegen jetzt die Johannes Mario Simmel-Bücher raus”, lacht Ulrike Wolz. Die Bücherregale sind randvoll. (Foto: Catrin Guntersdorfer/B304.de)

Pandemie-bedingt musste Wolz´ Weihnachtslesung leider auch dieses Jahr wieder abgesagt werden. (Sie war eigentlich für den 8. Dezember geplant). Aber passend zum Fest erscheint auch heuer Ulrike Wolz´ Newsletter mit Buchtipps für Geschenke  zu Weihnachten unter dem Motto „Welches Buch für wen?“. Die Liste ist auch zu finden auf ihrer Website (www.literatur-lesung.de), die sie selber betreut. Und die Zeit, bis endlich wieder Lesungen stattfinden können, weiß die Profi-Vorleserin durchaus gut zu überbrücken: „Ich muss dringend meine Bücherregale ausmisten. Mich gibt es zwar nicht ohne Bücher, aber inzwischen wird es eng an den Wänden.“