Grünen-Krise: Was die Basis vor Ort sagt

von Markus Bistrick

Das schlechte Abschneiden bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und zuletzt Brandenburg, dann kündigte der Bundesvorstand der Grünen um Ricarda Lang und Omid Nouripour seinen Rücktritt an. Es folgten die Vorstandsmitglieder der Grünen Jugend mit der Entscheidung, nicht nur ihre Posten aufzugeben, sondern auch die Partei zu verlassen. Diesem Handeln folgte zuletzt u.a. auch die achtköpfige Spitze der Grünen Jugend Bayern. Als Grund nannte der Vorstand des Jugendlandesverbandes einen „Entfremdungsprozess“ von der Partei „über Monate und Jahre“. In einer Mitteilung heißt es wörtlich: „Wir glauben nicht mehr, dass wir bei den Grünen und damit auch in der Grünen Jugend so Politik machen können, wie wir uns das vorstellen.“

Aber wie sieht es bei uns vor Ort aus. B304.de hat einige Mandatsträger bei den BündnisGrünen in den Gemeinden Haar, Grasbrunn und Vaterstetten nach ihrer ganz persönlichen Meinung gefragt.

„Wir sehen im Ortsverband keine Tendenzen zu Austritten oder gar, dass die Jugend sich abspaltet, im Gegenteil. Im Gegenwind spüren wir eher einen größeren Zusammenhalt. Gerade jetzt werden wir die grünen Ziele weiter verteidigen, denn nur mit einem sozial verträglichen gestalteten Klimaschutz haben wir eine gute Zukunft.“

Claudia Koller, Sprecherin Ortsverband Haar


„Zunächst möchte ich klarstellen, dass ein Austritt aus der Partei für mich nie in Frage kam. Mein Eintritt in die Partei war darauf ausgerichtet, die demokratische Arbeit vor Ort zu unterstützen und die für Vaterstetten relevanten Themen aktiv mitzugestalten. In Zeiten wie diesen ist es wichtiger denn je, die Demokratie zu verteidigen und zu schützen. Das gelingt vor allem durch aktives Engagement in demokratischen Institutionen, wie einer Partei, und nicht durch destruktive anonyme Kommentare im Internet.

Trotz der jüngsten turbulenten Ereignisse rund um Rück- und Austritte innerhalb der Grünen bleibt unser Zusammenhalt stark und unsere Werte unerschütterlich. In der Grünen Fraktion in Vaterstetten stehen wir für Zuverlässigkeit, Menschlichkeit und für die Konzentration auf das Wesentliche: die Gestaltung einer lebenswerten und vielfältigen Gemeinde.

Wir leben in herausfordernden Zeiten: Der russische Angriffskrieg, stagnierendes Wirtschaftswachstum, der Nahostkonflikt und intensive Debatten zur Migration verlangen nach differenzierten Antworten. Während viele in der Gesellschaft einfache Lösungen herbeisehnen, sind schnelle und bequeme Antworten nicht zielführend. Die Ampelkoalition hat es bislang versäumt, den Menschen Sicherheit, Zusammenhalt und Zuversicht zu vermitteln, was sich in den Wahlergebnissen niedergeschlagen hat.

Der Rücktritt der Parteivorsitzenden bietet nun die Gelegenheit für einen Neuanfang und die Chance, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ich bin überzeugt, dass Robert Habeck als Kanzlerkandidat sowohl innerhalb der Partei als auch in der Öffentlichkeit geschätzt wird und die Kompetenz besitzt, die Grünen wieder zu einer vertrauenswürdigen Partei zu machen.“

Katrin Pumm, Fraktionsvorsitzende und Gemeinderätin Vaterstetten


„Ich persönlich bedauere den Rücktritt von Ricarda Lang und Omid Nouripur sehr. Sie haben grüne Positionen mutig verteidigt in einer Zeit, in der wir Grüne von vielen Seiten zum Hauptgegner erklärt wurden. Dennoch sollten wir Grüne uns aber nicht in einer Opfer-Wagenburg verschanzen, sondern auch selbstkritisch über faire Kritik nachdenken. Aber ich hielte es sowohl für falsch, unsere Ziele bis zur Unwirksamkeit zu verwässern, als auch, das Glück in einer Fundamentalopposition der reinen Lehre zu suchen. Es muss wieder – gerne auch hart aber fair – auf Basis von Fakten um die besten Lösungen gerungen werden. Dafür werde ich mich in Haar weiter unermüdlich einsetzen.”

Ulrich Leiner, Gemeinderat und 2. Bürgermeister der Gemeinde Haar


„Obwohl die Ampel-Regierung und insbesondere unser grüner Vizekanzler Robert Habeck durchaus inhaltliche Erfolge erreichen konnten, ist das Bild in der Öffentlichkeit denkbar schlecht. Das liegt natürlich am dauernden Streit, der leider öffentlich ausgetragen wird.

Ein großer Fehler ist aus meiner Sicht aber, sich in der Migrationsdebatte vor der AfD hertreiben zu lassen. Viel zu oft wird Migration und Islamismus thematisch vermischt, obwohl wir islamistische Attentate nicht durch Grenzkontrollen verhindern werden. Bei den Wahlen im Osten konnten wir sehen, dass die Verschärfungen im Asylrecht der AfD nicht geschadet haben – im Gegenteil, die Themen einer rechtsextremen Partei dominierten den Wahlkampf.

Dennoch bin ich mir weiterhin sicher, bei den Grünen meine politische Heimat gefunden zu haben. Dem Klima ist es egal, ob es gerade als Top-Thema gesehen wird oder nicht – die Extremwetterereignisse spüren wir trotzdem. Deswegen ist ein weiteres Engagement für grüne Politik unbedingt notwendig.“

Felix Edelmann, Gemeinderat Vaterstetten


„Ich bewerte den aktuellen Zustand der Bundes-Partei Bündnis 90/Die Grünen, die in der Regierungsverantwortung gerade sehr viel Hass und Hetze abkriegen, als handlungsfähig und zukunftsorientiert.

Wir halten fest an unserem Ziel – einem ökologischen Umbau der Wirtschaft – und bleiben somit zukunftsfähig. Das beurteilen Viele jetzt kurzfristig anders, langfristig führt daran kein Weg vorbei.

Vielmehr sorge ich mich um ganz andere Bedrohungslagen z.Bsp den fortschreitenden Klimawandel.  Die Wettereignisse bei uns sind extremer geworden und länger anhaltend, letztes Jahr Trockenheit, dieses Jahr extrem viel Regen. Das müssen Wälder und Felder aushalten, viele Arten (z.Bsp. auch Igel) sterben aus und sind dann unwiederbringlich verloren. Daher müssen wir nicht aus der Partei austreten oder einzelne Politiker dafür verantwortlich machen, sondern uns alle als Gesellschaft gegenseitig unterstützen, wie wir dagegen weiterhin zusammenhalten können.

Ich sorge mich sehr um eine Verrohung im politischen Diskurs, indem überall Schuldige gesucht und schnell gefunden werden bei den ‚Verantwortlichen‘. Wir können nicht mehr weiterhin alle Freiheiten und allen Wohlstand (wie bislang gewohnt) fordern und die Verantwortung dafür an die Politik abgeben, jeder einzelne ist aufgefordert sich für Demokratie und gegen Populismus, Fakenews und Gewalt einzusetzen.  Daher denke ich nicht über einen Parteiaustritt nach sondern engagiere mich weiterhin bei den Grünen nach dem Motto: “jetzt erst recht.“

Ulrike Pfeiffer, Sprecherin Ortsverband Vaterstetten


„Der Rücktritt des Bundesvorstands ist ein starkes Zeichen. Aus meiner Sicht zeigt dieser Schritt, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weiter Verantwortung in der Bundesregierung tragen wollen, sich jedoch personell und damit auch inhaltlich auf den im kommenden Jahr anstehenden Wahlkampf neu aufstellen. Die Stimmung innerhalb der Grünen Jugend war seit einigen Jahren angespannt und wurde mit jedem hart erkämpften Kompromiss in der Bundesregierung erneut auf die Probe gestellt. In Haar und auch im Landkreis leben wir einen regen Austausch zwischen den Generationen innerhalb der Partei. So entsteht gegenseitiges Verständnis und Wertschätzung. Dies erhoffe ich mir auch für den personellen Neuanfang an der Spitze der Grünen Jugend.“

Sebastian Franz, Sprecher Ortsverband Haar


„Die grüne Partei befindet sich schon seit Längerem in einer schwierigen Situation. Die Koalition mit doch sehr unterschiedlichen Partnern hat viele sehr schmerzhafte Kompromisse nötig gemacht. Die GRÜNEN wollten ihrer Verantwortung für das Land gerecht werden und haben dabei vielleicht zu oft der FDP nachgegeben. Als Beispiel sei hier der Abschied von den Sektorenzielen im Klimaschutzgesetz genannt.

Ich habe mit Respekt den Rücktritt der Parteispitze zur Kenntnis genommen. So wird der Weg frei für einen Neustart ins Wahljahr 2025. Deutschland braucht eine starke grüne Partei. Die Klimakatastrophe macht nicht Halt, sie beschleunigt sich. Dagegen müssen wir alle gemeinsam ankämpfen. Ich bin überzeugt, dass Robert Habeck der richtige Mann ist, die Grünen als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl zu führen und dass auf dem Parteitag im November zwei sehr fähige und tatkräftige Vorsitzende gewählt werden.

Wir GRÜNE in Vaterstetten halten uns nicht auf mit Jammern, sondern wir schauen mit Zuversicht und Mut ins kommende Jahr.“

Axel Weingärtner, Gemeinderat Vaterstetten


„Für unseren Ortsverband kann ich sagen, dass keine/r bisher über einen Austritt nachgedacht hat, wir haben seit Februar 2024 eher drei neue Mitgliederinnen dazu bekommen.

Wen oder was ich für „die“ Krise verantwortlich mache? Darf ich sagen: Kakophonie und Missklang? Ihre Leser und Leserinnen, wir alle wissen, dass das eine unterkomplexe Antwort auf komplexe Fragestellungen ist. Auch das Einhauen auf Vorgängerregierungen wird uns aktuell nicht weiterbringen. Ich verstehe ebenso, dass viele Bürgerinnen und Bürger von den notwendigen Anforderungen der Klimakrise an sie teils überfordert sind. Aber es geht nur zusammen, denn wir Menschen leben ja in dieser Welt gemeinsam (die letzten Überflutungen kannten auch keine Grenzen). Daher würde ich sagen: Was sich ändern muss ist nicht zu allererst die Führung der Grünen Partei (die ich als Zeichen der Dringlichkeit wahrnehme), sondern der Wille aller, diesen riesigen Tanker Deutschland zusammen in eine für uns gesunde Zukunft zu bewegen. So habe ich uns Grüne immer empfunden, im besten Sinne bewahrend und schützend.

Einige Worte mehr zu den Austritten des Grüne Jugend Bundesvorstand. Hier greife ich auf die Einschätzung eines Mitglieds aus dem Kreisverband zurück: „Der strategische Konflikt hat sich schon länger angebahnt. Maßgeblich verstärkt von Enttäuschungen über richtig schwere Kompromisse, die Grüne in der Regierung machen mussten. … Aber das erste was ich beim Kontakt mit Politik gelernt habe ist, dass unsere Demokratie nur funktioniert, wenn wir uns nicht auf die Seitenlinie setzen, um zu meckern, sondern auch in schwierigen Zeiten aktiv am Spiel mitgestalten.“ Trotzdem empfinde ich diesen Schritt mittlerweile als noch einschneidender, wenn man sich die Wahlerfolge einer Partei bei Jugendlichen anschaut, deren Rhetorik polarisierend ist, die den politischen Diskurs radikalisiert und die Nähe zu rechtsextremen Positionen zeigt. Denn die heutige Jugend wird in der komplexen Welt leben müssen, die wie ihr hinterlassen.“

Thorsten Kanwischer, Sprecher Ortsverband Grasbrunn 


„Bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr wird es darum gehen, unsere Freiheit und Sicherheit in Deutschland zu verteidigen. Wir GRÜNEN wolle als starke Kraft antreten und zeigen, dass wir gemeinsam mit den Leuten die Probleme im Land lösen können und wollen.

Leider ist dieses Vertrauen aktuell nicht wie in der Vergangenheit vorhanden, was wir mit den Ergebnissen der letzten Landtagswahlen und der Europawahl schmerzhaft feststellen mussten.

Wenn man einen Trend stoppen will, dann müssen wir ihn deutlich stoppen.

Ricarda Lang und Omid Nouripour machen nun den Weg für einen Neustart mit neuer Parteispitze frei. Dieser Schritt zeugt von großem Verantwortungsbewusstsein und ich habe immensen Respekt vor der Entscheidung. Es zeigt sich, wir GRÜNEN sind handlungsfähig. Wir haben die Kraft neue Wege zu gehen. Mittlerweile liegen die Kandidaturen von Dr. Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin und Felix Banaszak, MdB vor. Als Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen GRÜNE Bayern, habe ich Franziska Brantner als sehr kompetent, verlässlich und erfahren erlebt. Sie ist in der Partei sehr gut vernetzt. Felix Banaszak hat die schwarz-grüne Koalition in NRW mitverhandelt, ist im Haushaltsausschuss und begeistert mich mit seinen außergewöhnlichen Reden im Bundestag.

An der Bundesdelegiertenkonferenz Mitte November in Wiesbaden werde ich mit weiteren Delegierten aus dem Landkreis teilnehmen. Wir GRÜNEN sind bekannt dafür hart in der Sache zu diskutieren aber dann auch die demokratischen Entscheidungen aller Delegierten zu tragen. Das haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen. Ob Lützerath, das Sondervermögen für die Bundeswehr oder GEAS, wir GRÜNEN haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass wir uns der Realität stellen und regierungsfähig sind.

Zur Ehrlichkeit gehört dazu: Wir sind eine zukunftsorientierte Partei, aber wir haben die Menschen in Deutschland auf Bundesebene an einigen Stellen mit unserem Tempo überfordert. Wir leben in einer Zeit multipler Krisen: Covid, der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Konflikte im Nahen Osten.  Als Partei stehen wir für Veränderung, das ist auch eine Erwartung an uns. Es wird unsere Aufgabe sein, hier wieder das Vertrauen vieler Menschen zurück zu gewinnen.

Wir müssen den Standort Deutschland sichern, agiler, unbürokratischer, digitaler gestalten.

Klimapolitik hat an Stellenwert bei den Bürgerinnen und Bürgern verloren. Wirtschaftliche Sorgen, Sicherheit, bezahlbarer Wohnraum, eine schlechte Infrastruktur sind Themen, die sie im Alltag beschäftigen. Hier kann es kein „Weiter so“ geben.

Die Klimapolitik ist nicht unwichtiger geworden, es ist aber wichtig, dass wir zeigen wie der Wandel zu einer sozial gerechten und erfolgreichen Wirtschafts- und Klimapolitik möglich ist.

Robert Habeck als Spitzenkandidat steht für einen pragmatischen Kurs der Mitte. Ich glaube, er ist die richtige Person, die an der Spitze in den Bundestagswahlkampf 2025 ziehen sollte.“

Sarah Onken aus Parsdorf, Sprecherin Grüne im Landkreis Ebersberg