Eine Frage der Haltung

von Eva Bistrick

Seit Anfang 2023 wohnen Franz und Sybille Kirchner in Neukeferloh, dort haben sie sich ein Häuschen gebaut. Doch die Zeit mit seiner Familie muss er aufteilen: Kirchners „Zweitfamilie“ lebt nur wenige Kilometer weiter in der Gemeinde Emmering, genauer in Westerberg. Auf 105 Hektar hält und züchtet er dort seit 2014 reinrassige Wagyu-Rinder. Diese stammen ursprünglich aus Japan und liefern die berühmten marmorierten Steaks, die gleichmäßig von feinsten Fettadern durchzogen sind und genau deshalb ihren einzigartigen Geschmack haben, der sie bei Kennern so beliebt macht.

Die Westerberger Wagyus, darauf legt Kirchner größten Wert, besitzen die gleichen genetischen Anlagen wie die japanischen Tiere. „Es gibt Fleischproduzenten, die mit verwirrenden Fantasienamen wie „Kobe Style“, „Wagyu Cuvee“ etc. dem Verbraucher eine Qualität vorgaukeln, die den Preis nicht rechtfertigen.“ Meist handelt es sich um schnellwachsende Rinderrassen, die mit Wagyu gekreuzt wurden. Alles ab 30 Prozent Wagyu-Anteil darf auch Wagyu heißen. „Dazu brauchst du dann halt mehr Ketchup“, sagt Kirchner und lacht.

300 Tiere sind es aktuell, die sich bei ihm auf mittlerweile drei Höfe in der Umgebung verteilen und sich das ganze Jahr über dort nach Lust und Laune bewegen dürfen, im freien Herdenverband, ohne angebunden zu sein, so wie es der natürliche „Kuhkreislauf“ ursprünglich vorsieht. Pure Fleischeslust also. Bei Hitze – auch Kühe können einen Sonnenbrand bekommen – ziehen sie sich in die überdachten Stallungen zurück. So grasen sie Tag für Tag zufrieden auf insgesamt 105 Hektar – das sind 1.000 Quadratmeter pro Tier. (Bei Biohaltung sind es übrigens nur 8 Quadratmeter). Diese Entspanntheit sieht man: Die Tiere haben seidig glänzendes Fell und traben trotz ihres stattlichen Gewichts friedfertig auf Franz Kirchner zu, als er mit uns über die Weide schlendert. 

Wenn die Wagyus nicht gerade auf der Weide grasen, werden sie ausschließlich mit Heu gefüttert. Sie dürfen sich das ganze Jahr über bis zu ihrem Lebensabend frei bewegen, Kraftfutter ist tabu. „Erst nach 48 Monaten sind die Muskelstränge optimal durchzogen“, erklärt der Fleischliebhaber. Großer zeitlicher Luxus, denn in dieser Zeit verdient er keinen Cent daran. Im Gegenteil. Andere Rinderzüchter schütteln darüber nur den Kopf – so ist der Weg zum Schlachtgewicht doppelt so lang. Doch diese Investition nimmt Kirchner bewusst in Kauf. Das unvergleichliche Aroma und die Zartheit aller Teile werden von Fleischkennern hochgeschätzt. Hier ist das Fleisch quasi am lebenden Tier gereift. Ein kostspieliger, aber schmackhafter Luxus.

Kirchner war mit seiner zweiten Karriere als Immobilienmakler (womit er das Projekt letztlich auch finanziert) erfolgreich. Es tat keine Not umzusatteln – doch er fühlte sich immer als „Suchender“ – nach dem perfekten Fleisch. Irgendwann, nach einem geplatzten Auftrag, fragte er sich: „Wozu mache ich das eigentlich?“ Der leidenschaftliche Hobbykoch kaufte einen still gelegten Hof, pachtete 80 Hektar Ackerland, ging in die Landwirtschaftsschule und investierte fortan in Zuchtrinder und Embryonen.

Was sich hier technisch und steril liest, vollendet sich zu einem Bild, wenn man die gewundene Straße hinauf zum Gut Westerberg fährt – ein paar Kilometer hinter Grafing, in fast unberührter Natur, wo die Kuh-Welt noch in Ordnung ist. Hier hat es die entsprechende Fläche, aus dem der Traum vom Tierwohl gemacht ist. „Wir wollten zeigen, dass es anders geht“, erklärt der 58-Jährige seine Motivation. „Nicht das Tier soll sich dem Menschen anpassen, sondern umgekehrt.“ Mittlerweile gibt es auf dem Gut nicht nur Stallungen und einen kleinen Hofladen, sondern auch eine beeindruckende Showküche mit Reife- und Weinschränken, die – mit dem entsprechenden Geldbeutel – samt Sternekoch und Weinbegleitung gemietet werden kann.

Kirchner hat den Anspruch, so qualitativ hochwertiges Fleisch zu erzeugen, dass auch seltene Cuts wie Bauchlappen oder Beinscheiben, die sonst nur in Burgern verarbeitet werden, einen Hochgenuss versprechen. Unter dem Label „Westerberger Fullblood“ vertreibt Kirchner via Onlineshop (www.westerberger-fullblood.de) alles „from nose to tail“, sprich, alle Stücke des Tieres werden verwertet: edles Rib-Eye, Filet und Roastbeef genau wie so genannte „Second Cuts“, weniger bekannte Stücke wie Flank Steak, Nierenzapfen oder Flat Iron, die von Kennern sehr geschätzt werden. Aus den Knochen werden Fonds und Beef Tea gekocht. „Geiler Stoff“, findet Kirchner.

Von der natürlichen Aufzucht in Mutterkuh-Haltung über die Reifung auf der Weide bis zur stressfreien Schlachtung – all das findet hier vor Ort statt. Kirchner hat unweit von Gut Westerberg, in Pörsdorf, jüngst auch ein eigenes Schlachthaus gebaut, und das für nur eine Schlachtung pro Woche. Die Tiere, die hier die letzten 3 bis 4 Monate ihres Lebens ganz gechillt verbringen, kennen sich bereits von Anbeginn. Daher sind sie ganz entspannt – kein einziges Muh durchdringt den Stall, sie kauen gemächlich, kratzen sich an Massagebürsten, schlafen – oder flanieren auf der Weide. Hier gehört die Tür zum Schlachthaus direkt zum Inventar – so erfährt das Rind bis zur letzten Sekunde nicht, dass sie die letzte seines Lebens ist. Nur ein kleines Gatter trennt den regulären Trampelpfad der Rinder von der Schlachtkabine. Beim sprichwörtlichen letzten Gang wird nur ein Hebel verstellt und das Rind läuft wenige Meter weiter einen anderen Weg als den, den es zuvor monatelang kennengelernt hat.

Franz Kirchner versteht das Rind als Ganzes. Und er weiß auch: Wir konsumieren viel zu viel Fleisch. Seine Meinung dazu ist deutlich: „Das Fleisch-Angebot der Welt ist viel größer, als wir überhaupt je essen können. Ein Vegetarier oder Veganer, der auf Fleisch verzichtet, bewirkt in diesem gesättigten Fleischmarkt rein gar nichts. Es geht vielmehr darum, tiergerechte Haltung nachzufragen anstelle der Massentierhaltung. Ansonsten ändert sich durch reinen Verzicht überhaupt nichts für das Tierwohl.“ Das könnte man sich durchaus mal auf der Zunge zergehen lassen.