„Das schaffen wir nicht“

von Markus Bistrick

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine verschärft sich, die Balkan-Route lebt wieder auf: Auf die Landkreise rollt die nächste Flüchtlingswelle zu. Die Kommunen schlagen Alarm. Sie können die zunehmenden Flüchtlingszahlen und den damit verbundenen logistischen und sozialen Aufwand nicht mehr meistern. Wohnraum für die Flüchtlinge ist knapp. Fragen zur aktuellen Lage an Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU).

Wie viele Flüchtlinge sind derzeit im Landkreis Ebersberg und woher kommen sie hauptsächlich in welcher Anzahl?
In den staatlichenUnterkünften im Landkreis leben aktuell 904 Personen. 279 von ihnen kommen aus der Ukraine, 163 aus Afghanistan, 140 aus Nigeria – das sind aktuell die größten Gruppen und die Hauptherkunftsländer.

Wie akut ist die Lage im Landkreis Ebersberg und wohin geht der Trend?

Der Landkreis hat in der ersten Oktoberwoche – so wie jeder andere Landkreis in Oberbayern – einen Bus mit rund 50 Flüchtlingen aufnehmen müssen. In welchen Abständen nun weitere Zuweisungen erfolgen, ist abhängig vom täglichen Zugangsgeschehen im Ankerzentrum in München. Oft können wir das nicht mehr leisten.

Wie viel Kapazitäten haben Sie noch?

Bei der Unterbringung von Flüchtlingen handelt es sich um eine sehr dynamische Aufgabe, so dass hier keine konkrete Zahl genannt werden kann. Aktuell sind noch Kapazitäten vorhanden, da auch neue Objekte angemietet werden konnten. Einen Bus mit 50 Personen kann der Landkreis sicher noch aufnehmen, danach wird es mit den aktuellen Kapazitäten kritisch.

Werden bald auch wieder Turnhallen in Unterkünfte umgewandelt?

Das lehne ich persönlich ab und habw dies bereits zweifach gegenüber dem Regierungspräsidenten der Regierung von Oberbayern klar kommuniziert. Zum einen sind das keine würdigen Unterkünfte, zum anderen ist dies auch den Schulen, den Sportvereinen, den Helferkreisen und auch unseren Mitarbeitern nicht mehr zumutbar.

Fürchten Sie Konflikte zwischen Flüchtlingen aus der Ukraine, aus Russland und aus anderen Ländern?

Bisher gibt es hier erfreulicherweise keine größeren Probleme. Das wird hoffentlich auch so bleiben, aber vermutlich und realistisch betrachtet kommt es früher oder später zu Konflikten, wenn mehrere Kulturen auch in emotional schwierigen Situationen aufeinandertreffen.

Wurde das Thema Flüchtlinge von der Politik vor lauter Corona, Ukraine-Krieg und Ukraine-Krise verschlafen oder wurde seit 2015 Ihrer Meinung nach genug unternommen?

Nein, wir haben uns immer um neue Unterkünfte bemüht, auslaufende Mietverträge durch neue Liegenschaften kompensiert, uns um die Menschen gekümmert, sie versucht zu integrieren, mit unterschiedlichen Erfolgen, aber auch unsere Kapazitäten sind begrenzt! Tatsächlich jagt seit 2015 eine Krise die andere, die Krisen überlagern sich: Erst Flüchtlingskrise, dann Corona, dann Ukraine, jetzt Flüchtlingskrise 2.0 … unsere Mitarbeiter sind am Limit, ausgezehrt, es gibt keine Erholungsphasen mehr, Überstunden- und Resturlaubsberge wachsen an, das kann so nicht weitergehen, auch nicht bei den Ehrenamtlichen, zudem sinkt die Akzeptanz in der Bevölkerung. ‚Niemand kann gezwungen werden mehr zu tun als er tun kann‘, das hat Ministerpräsident Horst Seehofer in der Spitze der Flüchtlingskrise damals zu uns gesagt und das trifft den Nagel auf den Kopf! Wir müssen der Bundesregierung gegenüber eine ganz klare Ansage machen: Eine zweite Flüchtlingskrise können wir nicht mehr stemmen, da müssen andere EU-Länder ihren spürbaren Beitrag leisten, die lachen sich ja ins Fäustchen über uns!

Kann der Landkreis die Mehrausgaben finanziell stemmen? Das Landratsamt vollzieht hier Staatsaufgaben und ist somit im Bereich der unteren Staatsbehörde tätig. Die hier anfallenden Kosten werden überwiegend zu rund 90 % vom Staat erstattet (nicht aber z.B. Personalausgaben). Also ja, die Kosten sind derzeit für uns in einem noch stemmbaren Rahmen. Aber auch hier sind die Mittel begrenzt, es ist letztendlich egal aus welchem Steuertopf die Mittel kommen, es sind Steuergelder. Wir befinden uns auch nicht mehr in einer so komfortablen Wirtschaftslage wie Mitte des letzten Jahrzehnts. Vielleicht macht die Bundesregierung ein neues Sondervermögen daraus, am Ende sind es Schulden. Aber im Vergleich zu den allermeisten Bundesländern geht es den Kommunen in Bayern dank der Unterstützung der Staatsregierung sehr gut. In anderen Bundesländern bekommen die Kommunen gar keine Unterstützung und nehmen reihenweise Kassenkredite auf, ein finanzpolitischer Wahnsinn.

Was fällt Ihnen zu der Forderung von Grünen-Politikerin Katharina Schulze ein, die stationären Kontrollen an der Grenze zu Österreich zu stoppen?

Auch wenn die Grenzkontrollen persönlich vielleicht manchmal nerven, wenn jetzt die Flüchtlingsströme wieder zunehmen und Schleuserbanden ihre Spielchen treiben wollen, halte ich die Grenzkontrollen für richtig!

Fühlen Sie sich von den politisch Verantwortlichen in Berlin bei dem Thema im Stich gelassen und was würden Sie sich wünschen – ein Rettungspaket für Kommunen?

Ja, und zwar derzeit ganz besonders. Forderungen und Aufgabenzuteilungen an die Kommunen durchzureichen, ohne für die entsprechende finanzielle und personelle Ausstattung zu sorgen, ist ein No-Go. Das ist unverantwortlich. Notwendig wäre eine konsequente Ausstattung der Kommunen mit den finanziellen Mitteln, die sie brauchen, um die zusätzlichen Aufgaben übernehmen zu können. Man nennt das Konnexitätsprinzip oder auch wer bestellt, muss zahlen. Die Bundesregierung muss sich hier auch ganz klar schützend vor die Bevölkerung stellen, eine zweite Flüchtlingskrise, das schaffen wir nicht!