Einmal fünf Jahre aussteigen und die Welt umsegeln – das war immer der große Lebenstraum von Flo Kiermeier. Er ist quasi auf dem Boot aufgewachsen und machte seiner Ehefrau Lucie schon recht bald nach dem gemeinsamen Kennenlernen klar, was sie erwartet, insofern sie länger mit ihm planen wolle. Sie wollte. Doch in der Praxis ist so eine lange Auszeit nicht machbar – schon gar nicht, sobald zwei Töchter mit ins Spiel kommen. Doch Kiermeier wusste immer: Er muss raus aufs Meer. Und so kommt es jetzt, dass die ganze Kiermeier-Familie am 1. August auf die größte Reise geht, die sie je gemeinsam gemacht hat: eine zweifache Atlantik-Überquerung von Lignano über die Kanaren nach St. Lucia, zu den Bahamas und dann über die Azoren zurück ins Mittelmeer. 11.500 Seemeilen, die die Familie aus Neukeferloh in 13 Monaten zurücklegen will. Soweit der Plan.
„Uns war klar, dass jetzt die letzte Chance ist, wenn wir das als komplette Familie durchziehen wollen“, erklärt Kiermeier im Gespräch mit LIVING&style. „Wir haben lange dafür gespart, doch ganz ohne Finanzierung geht es nicht.“ „Mariposa“, spanisch für Schmetterling, so heißt der Segler der Kiermeiers, eine Van- Dam Nordia Ketsch 41. Baujahr 1981, 13,4 Meter lang, 18 Tonnen schwer. „In meiner Familie hießen die Schiffe meistens ‚Oruda‘, benannt nach einer kleinen Insel in Kroatien, aber Lucie und ich wollten einen eigenen, neuen Namen, und so ist es der Schmetterling geworden – auf Spanisch, weil meine Frau eine Zeitlang in Venezuela lebte und das Land sehr liebt.“ Schon viele Urlaube waren sie mit der Mariposa unterwegs, oft in Kroatien, doch länger als vier Wochen waren sie noch nie am Stück gemeinsam an Bord.
Insgesamt 1,5 Jahre haben die Kiermeiers in die Planung ihrer Reise gesteckt. Er erklärt: „Die Basis sind zunächst die technischen Herausforderungen, um das Boot hochseefest zu machen – das ist natürlich eine ganz andere Hausnummer als ein Urlaub in Hafennähe.“ So wurde nach und nach das komplette Boot überarbeitet, die Elektrik erneuert, neue Segel angebracht. Alle Familienmitglieder machten einen speziellen medizinischen Kurs und so genannte „Blauwasser- Seminare“, über den Transocean Verein. Sie machten sich schlau, wie Lebensmittel haltbar gemacht werden können, wie man einweckt und konserviert wie damals bei Uroma. „Im Notfall können wir – also alle von uns, auch die Kinder, eine Zahnfüllung machen, Wunden nähen oder tackern und auch einen Zugang legen.“ Wie erklärt man so ein Vorhaben dem Arbeitgeber? Flo und Lucie arbeiten beide im IT-Vertrieb, ein Sabbatical war leider bei beiden nicht möglich. Für ihre große Reise haben beide ihre Jobs gekündigt und sicharbeitslos, aber nicht arbeitssuchend gemeldet. Arbeitslosengeld bekommen sie somit nicht. Es war allein schon ein immenser organisatorischer Aufwand, abzuwägen, welche Versicherungen beispielsweise pausieren sollten. Und vor allem: Wie bekommt man seine Kinder aus der Schule? „In Deutschland, respektive in Bayern, ist das nur möglich, wenn man sich als Einwohner abmeldet“, schmunzelt Kiermeier, künftig heimatlos. Zumindest auf dem Papier. Er weiß ja, wo er hingehört – aufs Wasser.
Kiermeiers haben ihren Töchtern Helena und Sophia die Wahl gelassen, ob sie auf dem Boot via Online-Unterricht lernen wollen, oder das Jahr aussetzen. Beide entschieden sich für die große Pause, wohl die größte Pause ihres Lebens. „Jetzt verlieren sie zwar ein Schuljahr, doch die Zeit auf See ist ein größerer Gewinn als der zeitliche Verlust. Sie bereisen 16 Länder, lernen verschiedene Sprachen und Kulturen kennen und werden vor allem praktisch viel Neues lernen: z.B. wie man mit knappen Ressourcen umgeht, wenn man auf sich gestellt ist. Wo es kein W-Lan gibt, kann man sich auf ganz viele tolle andere Dinge konzentrieren“, sagt der 43-jährige und lacht dabei. Ihr Haus in Neukeferloh haben die Kiermeiers in der Zwischenzeit an eine ukrainische Familie vermietet, mitsamt Möbeln, privaten Gegenständen und liebgewonnenen Erinnerungen. Ob der große Koller kommt, wenn sie wieder zurückkehren? Man weiß es nicht. Haben sie denn keine Angst vor 3 Wochen ohne Hafen, vor Piraterie, vor Unwetter auf dem Atlantik? „Angst nein, Respekt ja, aber es sind alles kalkulierbare Risiken. Die Küstenstriche, an denen vor Piraterie gewarnt wird, wie etwa in Afrika, vermeiden wir, Lokalgewitter und Tiefdruckgebiete, die das Radar und der Wetterbericht über Satellit anzeigen, müssen wir umfahren. Damit alles gut geht, starten wir Mitte November auf den Kanaren, damit wir die dann einsetzenden Passatwinde ab den Kapverden voll ausnutzen können. Bevor es über den Atlantik geht, kochen wir nochmal ordentlich Chili con Carne ein.“ Bis dahin warten viele Hafenstädte auf die Familie, quasi sichere Häfen mit Einkaufsläden, Restaurants und Werkstätten. Dann heißt es: Boot überprüfen. Flo Kiermeier macht sich da keine Illusionen: „Blauwassersegeln (so nennt man lange Törns auf Hochsee) ist eine Umschreibung für ein Leben, in dem man an den schönsten Orten der Welt sein Boot repariert.“ Doch auch für Müßiggang soll Zeit bleiben. Eine Stunde am Tag plant Kiermeier für Arbeiten am Boot, eine weitere für Kochen & Angeln – der Rest der Zeit bleibt für Lesen, aufs Wasser schauen und sinnieren reserviert. Weihnachten verbringen sie, wenn alles läuft wie geplant, vor Martinique in der Karibik. Wie heißt es im Märchen so schön: Man soll aufpassen, was man sich wünscht – denn es könnte wahr werden. Wie bei den Kiermeiers.
Insgesamt stechen in diesem Herbst um die 200 Deutsche in See. Wer die Route der Familie aus Neukeferloh verfolgen will, ist auf ihrem Blog www.sail-a-way.de live dabei.