Andrea Sawatzkis traumatische Kindheit in Baldham

von b304

Die Film- und Fernsehschauspielerin ANDREA SAWATZKI (59) teilt ihre Kindheit in zwei Hälften. Von der zweiten Phase, die von ihrem 8. bis zu ihrem 15. Lebensjahr reicht, handelt Sawatzkis gerade erschienener, autofiktionaler Roman „Brunnenstraße“ – benannt nach der Straße in Baldham, in der sie in den 70er Jahren wohnte. Die Eltern der Schauspielerin hatten sich im Krankenhaus kennengelernt, er Patient, sie Krankenschwester. Günther Sawatzki war Journalist, 25 Jahre älter und verheiratet. Seine Geliebte wurde schwanger, am 23. Februar 1963 kam Andrea Sawatzki zur Welt. Bis zu ihrem achten Lebensjahr lebt sie alleine mit ihrer Mutter im oberbayerischen Schlehdorf. Oft auf sich alleine gestellt, aber glücklich. Bis ihr Vater 1971 sein altes Leben aufgeben und mit seiner Geliebten und seiner Tochter Andrea zusammen sein will. Die beiden ziehen in die Wohnung von Günther Sawatzki in der Brunnenstraße. In Baldham muss sich die kleine Andrea neue Freundinnen suchen und ihre Mutter, die sie bis dahin ganz für sich hatte, plötzlich mit einem Fremden teilen. Bald stellt sich heraus, dass ihr Vater schwer an Demenz erkrankt ist und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Da das Geld knapp wird, muss die Mutter wieder als Nachtschwester arbeiten, und die kleine Andrea kümmert sich aufopferungsvoll um den launischen, manchmal gar jähzornigen Vater, der zunehmend von seiner Krankheit gezeichnet ist. Und dennoch: „Ich hätte meinen Vater gegen keinen Vater, den ich kannte, eintauschen mögen“, sagt sie heute. Im Alter von 13 Jahren wäscht, wickelt und füttert Andrea Sawatzki ihren Vater, erkannt hat der einstige Journalist seine Tochter da schon zwei Jahre lang nicht mehr. Mal band sie ihn am Stuhl fest, damit er Ruhe gab. Oder sie wünschte sich seinen Tod, später schämte sie sich dafür, litt unter dem Gefühl versagt zu haben. Dabei war sie als Kind einfach nur vollkommen überfordert. „Anfangs war ich eine gute Schülerin“, erklärte Andrea Sawatzki jüngst in einem Interview. „Aber ich schlief keine Nacht mehr. Tagsüber konnte ich mich einfach nicht mehr konzentrieren.“ Erst wiederholte sie eine Klasse, dann verließ sie das Vaterstettener Gymnasium. Damit war ein Traum geplatzt, sie wollte Tierärztin werden. Erst jetzt, fast 50 Jahre später, haben die Erlebnisse den Platz in ihrem Leben, damit Sawatzki anderen davon erzählen kann. In präzisen, fast filmischen Bildern fängt die Bestseller-Autorin, die heute In Berlin wohnt, in ihrem Roman „Brunnenstraße“ ihre Vaterbeziehung ein, die fortwährend zwischen Nähe, Zuneigung, Hass und Überforderung changiert, dabei jedoch eine geheimnisvolle Vertrautheit offenbart, die mit der Suche nach einem eigenen Leben ringt.

Andrea Sawatzki: „Brunnenstraße“ erschienen Ende Februar im Piper-Verlag 176 Seiten, 20 Euro, ISBN: 3492070531