Zeitzeugen-Doku

von b304

„Ruinenschleicher und Schachterleis“ lautet der Titel eines Filmprojekts über die Nachkriegsjahre in München. Drei Menschen finden sich beim Münchner Kulturführerschein und machen sich auf den
Weg, einen Dokumentarfilm zu drehen. München in der Nachkriegszeit ist ihr Thema. Mit viel Idealismus, Unterstützung von Filmprofis, 36 Zeitzeuginnen und -zeugen und zahlreichen Geldgebenden haben es Michael von Ferrari, Lutz Eigel und Angelika Wimbauer nach drei Jahren geschafft. Ihr Film „Ruinenschleicher und Schachterleis“ ist in weiten Teilen geschnitten und finanziert. Eine Riesenleistung für ein ehrenamtliches Kulturprojekt in so kleiner Besetzung.
Geschichte durch Geschichten lebendig werden lassen, dies ist Michael von Ferrari gemeinsam mit seiner damaligen Projektpartnerin Kirsten Althof bereits 2019 mit dem Film „NEUN“ gelungen. Sie haben darin neun Personen, die heute in der Region München leben, zu Wort kommen lassen: Sie erzählen von der Endphase des 2. Weltkriegs und dem Neuanfang.
Seit Oktober 2020 arbeitet der ehemalige Umweltreferent der Gemeinde Haar zusammen mit Lutz Eigel und Angelika Wimbauer an dem neuen Projekt, er promovierter Biologe und früher in der Pharmazeutischen Industrie tätig, sie ehedem Realschullehrerin. Die Liebe zum Film und das Interesse an Geschichte eint die Drei, und so war das Thema bald gefunden: die Nachkriegsjahre im zerbombten München.

Die drei Filmschaffenden (von li.:) Dr. Lutz Eigel, Angelika Wimbauer, Michael von Ferrari.


Authentische Erzählungen
Und wer könnte treffender und authentischer davon berichten als Zeitzeugen. Insgesamt 60 Stunden Filmmaterial hat das Trio mit Kameramann Josef Pröll aufgenommen. 14 Frauen und 22 Männer haben den dreien von ihren Erlebnissen und Empfindungen als Kinder und Jugendliche erzählt, von Freiheit und Abenteuer vor der Haustüre, von Wohnungsnot, Hunger und überforderten Eltern. Aber auch vom rasanten Aufstieg Münchens, den sie miterlebt und mitgestaltet haben. Von Geflüchteten, die in München eine Bleibe suchten. Von amerikanischen Soldaten, die Kaugummi, Rock’n‘Roll und Demokratie mitbrachten.
Vielschichtiges Porträt
„Das Interview-Material auf etwa eine Stunde zu kürzen war schmerzhaft“, berichtet von Ferrari. „Das hat viele Überlegungen und Diskussionen gebraucht.“ Dramaturgische Schulung und Beratung erhielt das Laientrio dabei von Dokumentarfilmerin und Cutterin Ursula Ambach. „Ihre Hilfe und Beratung ist nicht mit Gold aufzuwiegen“, sagt Ferrari. „Was uns besonders freut ist, dass sie mittlerweile selbst Feuer gefangen hat für unser Thema.“ Entstanden ist ein vielschichtiges Portrait der Nachkriegsgeneration und dieser so wichtigen Epoche der Stadt, mit einer lebensnahen und authentischen Mischung aus Interview-Sequenzen sowie historischen Fotos und Filmausschnitten aus der Zeit zwischen 1945 und 1960.
Zahlreiche Geldgebende
Dass die Filmidee umgesetzt werden konnte, verdanken die Filmschaffenden einer Reihe von
Geldgebenden: 130 Privatpersonen haben gespendet und einige der Zeitzeugen. 13.000 Euro sind so insgesamt zusammengekommen. Zwei Drittel der geschätzten Produktionskosten von etwa 55.000 Euro trugen 21 der 25 Bezirksausschüsse Münchens im Rahmen ihrer Kulturförderung bei. „Ohne deren Unterstützung hätten wir weder den Mut noch die Mittel gehabt, um im Mai 2021 mit den ersten Interviews zu beginnen“, gesteht von Ferrari. Mit der Zusage des Bezirks Oberbayern für eine Zuwendung von fast 5.000 Euro ist das angestrebte Ziel nun nahezu erreicht.
Prominenter Sprecher
Aktuell arbeitet das Filmteam an den letzten Kapiteln. Außerdem fehlen noch die graphischen Elemente und Animationen, die von der Graphikdesignerin Bibiane Wimbauer erstellt werden, sowie die eine oder die andere der zahlreichen Lizenzvereinbarungen für Bild- und Filmmaterial und Musik. „Da kann man viel Geld ausgeben“, weiß Ferrari. „Wenn wir noch ein paar Euro sammeln können, stecken wir die in besonders passende Filmmusik.“
Auch die Sprechertexte sind noch nicht aufgenommen. Für die hat die Filmcrew den erfolgreichen Schauspieler Udo Wachtveitl gewinnen können, der vielen als Münchner Tatort-Kommissar Franz Leitmayr bekannt ist. „Das ist schon eine Auszeichnung für unseren Film“, da ist man sich im Team einig.
Bedeutsamer Titel
Wer übrigens beim Titel an abenteuerlustige Kinder denkt, die durch Ruinen streifen, der irrt. „Ruinenschleicher“ war der Spitzname für die Trambahnlinie 37, die überwiegend durch zerstörte Stadtviertel fuhr. Direkt vorbei am „Schachterleis“, der ersten deutschen Kunsteisbahn, in der schon seit 1892 Erwachsene und Kinder ihre Pirouetten drehten. Übrigens eine Erfindung des Stangeneisfabrikanten und Visionärs Felix Unsöld, der über 50 Jahre seine Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Lebensfreude und Geselligkeit versorgte. Am 15. Oktober wird „Ruinenschleicher und Schachterleis“ Premiere feiern, im Rio-Filmpalast in Haidhausen.
Weitere Vorstellungstermine sind auch schon vereinbart: im Kleinen Theater Haar, bei der vhs in München und Vaterstetten und mit der Evangelischen Stadtakademie München: „Gerade dort ist es uns dreien eine besondere Freude, unser frisch gebackenes Werk einer größeren Öffentlichkeit zu zeigen. Schließlich haben wir uns hier 2019 im Rahmen unserer Ausbildung zum Kulturführerschein kennen und schätzen gelernt“, so Lutz Eigel und Angelika Wimbauer.
Mehr Infos zum Film, den Machern und den Zeitzeugen, sowie die geplanten Aufführungstermine sind unter muenchen-zeitreisen.de zu finden. Spendenkonto: DE11 2004 1144 0617 8537 00 bei der comdirect-Bank. Pro gespendeten 15 Euro ist auf Wunsch eine Eintrittskarte erhältlich. Von den Spenden landet kein einziger Cent auf den privaten Konten der drei Filmemacher, sie arbeiten rein ehrenamtlich.
Alle bisher vereinbarten Termine 2023 auf einen Blick:
• 25. Okt: Kulturzentrum Trudering, Vorprogramm ab 19 Uhr, Beginn der Veranstaltung: 19:30 Uhr, Kartenvorverkauf im Büro des Kulturzentrums.
• 14. Nov: Evang. Stadtakademie, München, Großer Saal im EG, Herzog-Wilhelm-Str. , 18 Uhr, nur mit Anmeldung.
• 19. Nov: Kleines Theater Haar, Matinee, Sonntag, 11 Uhr
• 21. Nov: vhs Vaterstetten, 19:30 Uhr
• 01. Dez: MVHS-Ost
• 05. Dez: Historischer Verein von Oberbayern, im Staatsarchiv
• 13. Dez: Mohr-Villa, Freimann

Die Termine werden auf muenchen-zeitreisen.de laufend aktualisiert.