Wer Martin Metzger trifft, merkt schnell, dass der 57-jährige Salmdorfer alles andere als ein nach Aufmerksamkeit heischender Revoluzzer ist, der allein zum Selbstzweck gegen die bestehende Ordnung rebelliert. Ganz im Gegenteil: Der zweifache Vater ist ein geselliger Zeitgenosse, der privat das Brauchtum pflegt und sich auch in dauerempörten Shitstorm-Zeiten noch eine eigene Meinung leistet – und seine Überzeugungen dann auch selbstbewusst vertritt. Doch jene Aufrichtigkeit genießt heute leider Seltenheitswert und hat vielleicht gerade deshalb im Haarer Gemeinderat jüngst für ein politisches Beben gesorgt – und damit auch offenbart, wie der Politikbetrieb im Kleinen wie im Großen leider allzu oft funktioniert.
Als wir uns an einem sonnigen Oktober-Tag mit Martin Metzger in einem Café zum Gespräch treffen, ist es nur wenige Tage her, dass der IT-Architekt gemeinsam mit seiner Tochter Nadine (27) die SPD-Fraktion im Haarer Gemeinderat verlassen und eine eigene Fraktion, die UBH (Unabhängige Bürger Haar), gegründet hat. Das Fass war im August endgültig übergelaufen. „Als völlig drüber“ bezeichnete Metzger die mittlerweile zurückgewiesene Dienstaufsichtsbeschwerde von seinem ehemaligen Fraktionskollegen Peter Paul Gantzer gegen Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU), weil der angeblich einem Gastronomen und Parteifreund den Haarer Anger allzu großzügig für ein Weinfest überlassen habe. Die Rechtsaufsicht fand nichts Verwerfliches und rügte Gantzer wegen einer Vorverurteilung.
Seit seinem Einzug in das Haarer Kommunalparlament vor vier Jahren fährt SPD-Gemeinderat Gantzer immer wieder scharfe Geschütze gegen den Rathaus-Chef auf. Er sei gegen jede Form der Ungerechtigkeiten und kämpfe gegen Spezlwirtschaft, rechtfertig der 85-Jährige sein Vorgehen auf B304.de-Nachfrage. Doch einer für die Weichenstellungen der Haarer Zukunft so wichtigen, konstruktiven und nicht zuletzt überparteilichen Zusammenarbeit erweist der langjährige Berufspolitiker damit einen Bärendienst – und seiner eigenen Partei. Schließlich haben die Haarer Sozis nach dem Abgang der Metzgers zwei ihrer ursprünglich zehn Sitze im Gemeinderat verloren.
Immer wieder sind es persönliche Angriffe, parteitaktische Blockbildung und Grabenkämpfe, die das Klima im Haarer Kommunalparlament vergiften und zukunftsorientierte Sachpolitik schwierig machen. Seit Jahrzehnten geht das jetzt schon so. Andreas Bukowski hat Psychologie studiert und war auch deshalb angetreten, um es anders zu machen. Doch ein freundschaftliches „Du“ als Anrede unter Gemeinderäten bedeutet eben noch lange nicht, ausschließlich von Freunden umgeben zu sein. Diese Erfahrung musste Bukowski, der politische Seiteneinsteiger, der zuvor als Geschäftsführer eines Naturkosmetik-Unternehmens tätig war, schneller machen, als ihm lieb war.
Nur wenige Monate im Amt und ein Streit mit SPD-Urgestein Peter Paul Gantzer eskalierte derart, dass sich Bürgermeister Bukowski gezwungen sah, Strafanzeige wegen übler Nachrede zu stellen. Für Gantzer war damit das Tuch zerschnitten, es folgten persönliche Attacken und bis heute Aufsichtsbeschwerden. Letztere seien im Sinne des Petitionsrechts „legitime Mittel in einer Demokratie, um ungerechte Sachverhalte aufzuklären“, teilt uns der 85-jährige Sozialdemokrat mit. Legitim ja, so steht es in der Bayerischen Verfassung, aber im Sinne einer sachorientierten Lokalpolitik auch zielführend?
Die Gemeinde Haar hat definitiv drängendere Probleme. Wie viele andere Gemeinden auch, fehlt es an Geld und damit an Gestaltungsspielraum. Vor allem die Gewerbesteuereinnahmen müssten deutlich nach oben gehen. Kreativität und neue Ideen sind dringend gefragt. Eigentlich optimale Voraussetzungen für frischen Wind – auch von Quereinsteigern. Wären da nicht die Gralshüter eines überholten politischen Systems.
Die Metzgers stammen aus einer alteingesessenen Salmdorfer Familie, engagieren sich für bayerisches Kulturgut und Traditionen. Ihnen liegt der dörfliche Zusammenhalt und das soziale Engagement am Herzen. Das spürt man. Und gerade das ist wichtig, in einer Zeit der Vereinzelung, in der 79 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass sich jeder nur noch um sich selbst kümmert.
Martin Metzger, IT-Manager bei einem großen Versicherungskonzern, hat 2011 den Verein d’Salmdorfer mitbegründet und steht ihm bis heute vor. Der 57-Jährige rückte erst im Dezember vergangenen Jahres in der SPD-Fraktion für Ingrid Fäth nach. Nadine Metzger ist Vorsitzende der „wuiden Goaßn“ und mit 27 Jahren das jüngste Mitglied im Gemeinderat. Die Gesundheits- und Krankenpflegerin hatte das Mandat anstelle von Gabriele Müller übernommen, die – nach Ihrer Abwahl als Bürgermeisterin – als einfache Gemeinderätin dann doch keine politische Verantwortung in der Gemeinde mehr übernehmen wollte.
Bekannte Gesichter wie die Metzgers sind für Parteien vor Ort ein echter Glücksfall, weil sie ihnen anders als manch braver, blässlicher Parteisoldat Wählerstimmen garantieren. Insofern war man wohl bei der Haarer SPD durchaus erfreut, als man Nadine und Martin Metzger – auch ohne Parteizugehörigkeit – auf die Kandidaten-Liste bei der Kommunalwahl drucken und der allgemeinen Entfremdung entgegenwirken durfte. Doch der anfänglichen Euphorie ist längst Ernüchterung gewichen. Für etablierte Parteien ist zu viel Individualismus offenbar nur schwer zu ertragen. Dabei sollten sich Parteien grundsätzlich stärker als Netzwerker und Einbinder verstehen. Die Zeiten, in denen sie über ihre eigenen Mitglieder die Breite der Gesellschaft abbilden, sind längst vorbei.
Nadine und Martin Metzger geht und ging es nicht um Parteipolitik, sondern schlicht und einfach um die Zukunft ihrer Heimatgemeinde und die Lebensqualität vor Ort. Verpflichtet fühlen sie sich dabei einzig ihrem Gewissen und dem Gemeinwohl, nicht irgendeiner Fraktion oder parteitaktischen Überlegungen. Das zeigte sich auch immer wieder im Abstimmungsverhalten der Beiden im Gemeinderat und den Fachausschüssen – was nicht jedem im Gremium gefallen hat, insbesondere natürlich der SPD nicht. Doch sie wollen eben über Parteigrenzen hinweg etwas bewegen. Gut so.
Hart in der Sache, fair und menschlich im Umgang, ohne persönliche Eitelkeiten. So oder so ähnlich könnte man wohl am besten beschreiben, was sich Nadine und Martin Metzger – wie so viele Bürger übrigens auch – für die politische Auseinandersetzung vor Ort, aber auch auf Bundesebene wünschen würden. Keine falschverstandene Harmonie, aber eine konstruktive Kompromissbereitschaft für eine zukunftsfähige Gemeinde, auch im Kampf gegen radikale Kräfte. Das Ziel müsse sein, „Blöcke aufzubrechen“, statt sich fortwährend zu streiten. Dafür habe man jetzt ein deutliches Zeichen setzen wollen, sagt uns Martin Metzger. Ob’s hilft und ob er selbst 2026, bei der nächsten Kommunalwahl, dann mit der UBH („Unabhängigen Bürger Haars“), nochmal antreten wird oder das “Abenteuer Kommunalpolitik” in 1,5 Jahren für die Metzgers wieder beendet ist, wird sich in den kommenden sechs Monaten zeigen.