Jens Möllenhoff reicht’s. Für diesen Freitag (23.8.), um 14 Uhr, hat der 49-Jährige zu einer Protestkundgebung am Baldhamer Bahnhof aufgerufen. Von Geburt an ist der Wahl-Baldhamer gehbehindert und seit rund acht Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Dadurch, dass die Bahn mit dem Aufzug seit fast einem Jahr nicht in die Pötte kommt, ist der Behindertenbeauftragte der Gemeinde Vaterstetten – wie so viele andere Bürger auch – in seiner Mobilität massiv eingeschränkt. Ausflüge nach München oder ins Umland? Fehlanzeige. Ein eigenes Auto hat der Frührentner nicht, Taxi-Fahrten muss man sich leisten können. Eigentlich hätte der Aufzug schon vor Monaten fertig sein sollen, doch immer wieder verschiebt die Bahn den Termin. „Aktuell arbeiten externe Dienstleister mit Hochdruck an der Abarbeitung festgestellter Mängel, um die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen“, so ein Bahnsprecher. B304.de hat sich vor der Protestkundgebung mit Jens Möllenhoff vor Ort verabredet.
B304.de: Sie wohnen in der Nähe des S-Bahnhofs und schauen fast täglich nach dem Baufortschritt am Aufzug – haben Sie hier jemals jemand arbeiten sehen?
Jens Möllenhoff: Lange Zeit nicht, aber Ende Quartal 1 lagen hier innerhalb der Absperrung plötzlich ein paar Bauteile herum. Mitte/Ende Juli kam dann ein Beitrag im Bayerischen Rundfunk zur Aufzug-Posse und danach habe ich dann gelegentlich einen Monteurwagen gesehen mit wild telefonierenden Mitarbeitern. Aber es wird hier nur sehr selten etwas gemacht. Wahrscheinlich arbeiten sie in der Nacht, wenn keiner zuschaut (lacht).
Was bedeutet der Wegfall des Aufzugs für Sie ganz persönlich?
Freizeitgestaltung ist praktisch nicht mehr möglich. Seit November war ich mit meiner Freundin, die selbst stark sehbehindert ist und entsprechend mit dem Treppensteigen Probleme hat, vielleicht drei Mal in der Stadt. Da müssen wir immer jemand abpassen und bitten, dass er meinen Rollstuhl hoch- und wieder runterträgt. Ganz kurze Strecken kann ich auf Krücken laufen. Aber das ist ein enormer Zeit- und Kraftaufwand. Danach bin ich immer fix und fertig. Und jemand zu finden, der den Rollstuhl trägt, ist ein Glücksspiel, gerade wenn man abends später zurückkommt. Nur ein Beispiel: Meine Freundin und ich hatten Theater-Karten geschenkt bekommen. In Baldham hat uns jemand geholfen, den Rollstuhl hoch zutragen. Aber ein Mal Glück reicht uns ja nicht, weil das Theater auch irgendwann aus ist und dann muss uns in Baldham wieder jemand helfen. Ein Taxi aus der Stadt ist sehr teuer, das können wir uns beide nicht leisten. Aber durch Zufall haben wir dann auf der Rückfahrt in der S-Bahn ein Pärchen gefunden, die uns dann am S-Bahnhof gegen 23.30 Uhr meinen Rollstuhl die Treppe heruntergetragen haben.
Die Bahn nennt die Buslinie 451 als Alternative, um damit zum S-Bahnhof Vaterstetten zu kommen.
Der fährt aber nicht am Wochenende, auch nicht ab 20 Uhr. Dazu kommt, dass die Ringlinie sehr lang ist und man dann für die paar Kilometer ewig unterwegs ist. Außerdem darf in Bussen generell auch immer nur ein Rollstuhlfahrer mitfahren – mehr offizielle Stellplätze für Rollstuhlfahrer gibt es im Bus nicht, auch wenn ausreichend Platz wäre. Heißt: Wenn bereits ein Rollstuhl-Fahrer an der Haltestelle wartet, nimmt einen der nächste Bus nicht mit.
Damit zu Ihrer Protestkundgebung, die jetzt am Freitag (23.8.) zwischen 14 und 16 Uhr am S-Bahnhof Baldham stattfindet. Worum geht es?
Wir wollen auf die unzumutbare Situation am S-Bahnhof Baldham aufmerksam machen. Es soll ein energischer, lauter, aber bunter und fröhlicher Protest werden, von allen. Es geht um die allein reisende Mutter mit Kinderwagen, Rollator-Fahrer, grundsätzlich ältere Menschen oder Leute mit schwerem Gepäck, aber auch Fahrradfahrer. Und nicht nur um Menschen mit äußerlich sichtbarer Behinderung, sondern beispielsweise auch stark Sehgeschädigte, die ein Problem damit haben, den Abstand der Stufen abzuschätzen. Dem Aufzug ist es egal, wer mit ihm fährt. Er ist für alle eine Entlastung und Bereicherung – wenn er funktioniert. Ausdrücklich möchte ich alle Bürger zu unserer Protestkundgebung einladen. Je mehr Leute uns unterstützen, umso größer wird die Lobby und der Druck auf die Deutsche Bahn.
Wie steht es eigentlich ganz grundsätzlich um die Barrierefreiheit in unserer Gemeinde?
Da würde ich ein gemischtes Fazit ziehen. Es gibt natürlich diverse Rollstuhlrampen, die aber teilweise einen Steigungswinkel haben, der als Selbstfahrer unzumutbar ist – wie beispielsweise am Rathaus Vaterstetten. Tatsächlich sind aber die öffentlichen Einrichtungen in der Regel bei der Barrierefreiheit deutlich besser aufgestellt, als das in der Privatwirtschaft der Fall ist. In Geschäften, Praxen, Copyshops etc. ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
Aber es gibt doch das “Behindertengleichstellungsgesetz”.
Das gilt aber nur für staatliche Gebäude, die Privatwirtschaft ist extra ausgeklammmert. Riesen großes Vorbild sind die USA, da gibt es den “Americans with Disabilities Act” – der verbietet die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, einschließlich Beschäftigung, Bildung und Verkehr. 2012 war ich für zehn Tage in der San Francisco Bay Area zu Gast – ich kam mir vor wie im Paradies. Überall Rampen oder Rollstuhl-Aufzüge, Treppenlifte, Behindertentoiletten – die sind hierzulande auch sehr rar gesät. Menschen sind nicht behindert, Menschen werden oft behindert.
Sie feiern Mitte Oktober Ihren 50. Geburtstag. Was wünschen Sie sich?
Für mich, aber auch für alle Bürger, dass spätestens dann endlich der Aufzug am S-Bahnhof Baldham wieder in Betrieb ist und deshalb hoffe ich natürlich sehr, dass möglichst viele Menschen an diesem Freitag im Rahmen der Protestkundgebung (14 bis 16 Uhr) ein deutliches Zeichen setzen. Wirklich jeder ist eingeladen, uns zu unterstützen.
Die Unterstützung der Protestkundgebung am Freitag, 23. August, 14 bis 16 Uhr, in der Unterführung am S-Bahnhof Baldham haben bereits u.a. der Seniorenbeirat der Gemeinde Vaterstetten, der Verein aktiver Bürger und der VdK Ortsverband Vaterstetten zugesagt. Ihr Kommen zugesagt haben auch Bürgermeister Leonhard Spitzauer (CSU) und dessen Stellvertreterin Maria Wirnitzer (SPD). Neben Reden wird es auch Beiträge der lokalen Kulturszene geben.