Die Sorge vor Terroranschlägen führt inzwischen zu empfindlichen Einschnitten im Alltag – und ein Ende ist nicht in Sicht. Der Grund: Aus Angst vor Attacken schreiben die Kommunen außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen vor, was wiederum zu hohen Kosten bei den Veranstaltern führt, die dann kapitulieren. Jüngstes Opfer: die beliebten „Mittelaltertage“ in Vaterstetten.
Nach dem Strohballen-Pool wurde damit bereits die zweite Veranstaltung in Vaterstetten abgesagt. Veranstalter Axel Hascher wirft der Gemeinde mangelnde Unterstützung bei der Umsetzung der Terrorschutz-Auflagen vor. Bürgermeister Leonhard Spitzauer (CSU) weist die Anschuldigungen zurück und sieht die Kommune nicht in der Pflicht.
Die Gemeinde könne Absperrungen für private Veranstaltungen nicht übernehmen, so Spitzauer. „Verantwortlich für die Durchführung ist immer der Veranstalter selbst.“ Dabei hat sich die Gemeinde Vaterstetten, wie berichtet, erst im Frühjahr sogenannte „Anti-Terror-Sperren“ für rund 65.000 Euro geleistet – auf Kosten der Steuerzahler. Doch die Poller stehen nicht etwa der Allgemeinheit zur Verfügung, sondern „primär“ für gemeindliche Festivitäten wie dem defizitären Straßen- oder Volksfest. Wer in der Gemeinde privatwirtschaftlich eine Veranstaltung durchführen möchte, muss sich selbst um den Terrorschutz kümmern und dafür tief in die Tasche greifen.
Wir haben bei Vaterstettens Bürgermeister Leonhard Spitzauer (CSU) nachgefragt:
Herr Spitzauer, es steht deine Behauptung im Raum, dass der Veranstalter kein Sicherheitskonzept und keinen Antrag auf verkehrsrechtliche Anordnung gestellt hat. Der Veranstalter behauptet uns gegenüber, dass er alle Anträge eingereicht hat. Was stimmt denn nun?
Es liegt dem Sachgebiet Sicherheit & Ordnung bis heute kein Sicherheitskonzept vor, welches die Grundlage für den weiteren Genehmigungsprozess gewesen wäre. Dem Sachgebiet Verkehrsrecht liegt auch kein Antrag auf verkehrsrechtliche Anordnung vor. Es gibt lediglich eine Entwurfsskizze für eine mögliche Straßensperrung vor der Veranstaltung.
Der Veranstalter kritisiert, dass es die Gemeinde Vaterstetten – Zitat – „nicht auf die Reihe bringt, uns eine entsprechende Zu- oder Absage mitzuteilen“. Warum hat man den Veranstalter im Unklaren gelassen?
Die Kollegen haben den Veranstalter bereits im Mai bei einem gemeinsamen Ortstermin mit Polizei und Ordnungsamt auf die erforderlichen Unterlagen hingewiesen. Zugleich wurde klar kommuniziert, dass die Umsetzung ohne diese Unterlagen nicht möglich ist. Eine Zusage, bzw. Genehmigung kann natürlich erst nach Vorliegen der vollständigen Antragsunterlagen erfolgen.
Warum sind solche Entscheidungen nicht Chefsache, schließlich geht es doch auch bei privatwirtschaftlichen Veranstaltungen um das Gemeindeleben?
Die Beantragung und Genehmigung von Veranstaltungen erfolgt in der Regel über das Fachamt, da es sich um einen laufenden Verwaltungsvorgang handelt. Der Bürgermeister wird nur bei Problemen mit eingebunden. Ich habe erst mit der Absage-E-Mail vom Vorgang erfahren, weil mich der Veranstalter in Kopie gesetzt hat. Leider hat er sich vorher nicht an mich gewandt.
Jüngst erst hat die Gemeinde auf Steuerzahler-Kosten für rund 65.000 Euro „Anti-Terror-Sperren“ gekauft. Habt ihr diese auch dem Veranstalter des Mittelaltermarkts angeboten, wenn ja zu welchen Konditionen; oder stehen „eure“ Poller grundsätzlich nur gemeindlichen Veranstaltungen zur Verfügung?
Die Gemeinde hat mobile Sperren angeschafft, um die Sicherheit bei Großveranstaltungen im öffentlichen Raum zu erhöhen. Primär kommen die gemeindeeigenen Absperrungen auf Veranstaltungen der Gemeinde Vaterstetten zum Einsatz.
Warum unterstützt die Gemeinde offenkundig keine privaten Veranstaltungen (bei der Umsetzung der Sicherheitskonzepte), die unstrittig auch einen großen Beitrag zum lebendigen Vaterstetten leisten und sich selbst finanzieren müssen und sollen – für die aber die Sicherheitsauflagen nicht stemmbar sind?
Ich schätze das Engagement privater Veranstalter sehr, ich selbst war und bin in zahlreichen Veranstaltungen in der Organisation mit dabei. Aber verantwortlich für die Durchführung ist immer der Veranstalter selbst. Der gewerbliche Veranstalter des Mittelaltermarkts wollte, dass unser gemeindlicher Bauhof, Arbeiten für die Veranstaltung durchführt. Aus vielerlei Gründen (u.a. Gleichbehandlung, Kapazität, öffentliche Steuergelder) ist das leider nicht möglich.
Was unterscheidet eigentlich Veranstaltungen wie das Straßenfest oder den Hüttenbau (beide mit Anti-Terror-Sperren) von Veranstaltungen wie dem Wochen-, Bauern- oder Flohmarkt, dass es dort keine Sicherheitsmaßnahmen geben muss?
Die Auflagen zu Auffahrtaten werden seit dem Frühjahr diesen Jahres gemeinsam mit der Polizei und dem Veranstalter besprochen und werden individuell für die Veranstaltung abgestimmt (Dauer, Besucheranzahl, Örtlichkeit, etc.).
Nach dem Strohballen-Pool ist der Mittelaltermarkt nun bereits die zweite beliebte Veranstaltung, die in der Gemeinde Vaterstetten aus Sicherheitsgründen abgesagt werden muss. Ist es Ihrer Meinung nach richtig, dass wir unsere Freiheit tatsächlich derart einschränken sollten?
Beim Strohballenpool war es nicht der einzige Grund für die Absage, sondern lediglich ein Teilaspekt. Ansonsten konnten bisher alle Veranstaltungen in der Gemeinde stattfinden. Ich finde es eine schlimme Entwicklung, dass wir uns über so etwas Gedanken machen müssen. Leider ist es aber so, dass wir seitens des Innenministeriums aufgefordert sind, Auflagen hinsichtlich der Verhinderung von Auffahrtaten zu verbescheiden. Ich habe dem Innenminister Joachim Herrmann schon vor 2 Monaten geschrieben, dass die Auflagen für kleine und mittlere Veranstaltungen doch bitte deutlich nach unten gesetzt werden sollen. Ich hoffe, dass ich hierzu demnächst eine positive Antwort erhalte und wir etwas Normalität zurückbekommen.
Als kurzfristige Alternative für den Mittelaltermarkt ist die Stadt Grafing eingesprungen. Gelten dort andere Gesetze?
Die Gesetze und Vorgaben diesbezüglich gelten in ganz Bayern. Der Grafinger Volksfestplatz hat den Vorteil, dass er von Bahnstrecke und Urtelbach eingeschlossen ist und dadurch ein Auffahren gar nicht möglich ist.
Der Veranstalter des Mittelaltermarkts möchte sich auf B304.de-Nachfrage nicht mehr zu seiner Absage in Vaterstetten äußern.
Statt wie geplant am Reitsberger Hof, wurden die „Mittelaltertage“ kurzfristig nach Grafing verlegt. Auf dem dortigen Festplatz (Jahnstraße 5) hat man vom 3. bis 5. Oktober einen Ersatzstandort gefunden.
Im Grafinger Rathaus sei man „äußerst kooperativ“, so Hascher. Wohl auch deshalb, weil man in der 14.000-Einwohner großen Kommune begriffen hat, dass nicht nur vom Rathaus organisierte und vom Steuerzahler finanzierte Veranstaltungen einen erheblichen Beitrag zum Leben vor Ort leisten.
„Ich finde es wichtig, wenn etwas los ist in Grafing“, erklärt Bürgermeister Christian Bauer (CSU) auf B304.de-Nachfrage. Er sehe in jeder Veranstaltung einen Mehrwert, die Menschen nach Grafing bringe. Worte, denen Bauer dann auch unbürokratisch Taten folgen lässt: „Wir unterstützen die Veranstalter in der Regel, wenn es sich um Vereinsveranstaltungen handelt. Auch hier beim Mittelaltermarkt werden wir unsere Poller bzw. Legosteine gegen eine geringe Gebühr ausleihen“, so Bauer. Denn: Selbstverständlich versuche auch Grafing, größtmögliche Sicherheit für die Besucher zu gewährleisten, „aber wir möchten uns unsere traditionellen Veranstaltungen nicht nehmen lassen“.
Abschließend, das darf an dieser Stelle aus Fairness-Gründen ausdrücklich nicht unerwähnt bleiben: In Grafing verlangt der Veranstalter der Mittelaltertage Eintritt, was er in Vaterstetten ausdrücklich nicht wollte: Konkret kostet der Eintritt für Erwachsene 7 Euro, ermäßigt 5 Euro.