Wegen angeblicher „Gefahr im Verzug“ hat das Umweltamt der Gemeinde Vaterstetten die Eigentümer einer rund 100 Jahre alten Kastanie am 14. April aufgefordert, den Baum fällen zu lassen. Grünes Licht gab auch die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamts. Aufgrund von akuter Fäulnis bis in den Wurzelbereich, sei die Standfestigkeit und damit die Verkehrssicherheit nicht mehr gewährleistet. Seit Samstag, 17. Juni, gehört das „Kastanientor“ in der Baldhamer Straße, welches das Vaterstettener Ortsbild Jahrzehnte mitgeprägt hat, somit der Vergangenheit an.
Doch die Fällung des 100 Jahre alten Baumes wäre nicht nötig gewesen, sagt eine unabhängige Sachverständige und renommierte Baumexpertin gegenüber B304.de. Ihr Urteil, nach dem sie sich vor Ort ein Bild gemacht hat: „Die Restwandstärken waren noch bei weitem ausreichend. Der Baum hätte noch viele Jahre erhalten werden können. Dies hätte mit einer Messung mit einem Widerstandsbohrgerät ohne großen Aufwand festgestellt werden können.“
Stattdessen erfolgte die Prüfung der Faulstelle durch einen FLL-zertifizierten Baumkontrolleur der Gemeinde lediglich mit einem Sondierstab, also einem Meterstab, wie uns das Vaterstettener Umweltamt bestätigte. Zwar räumt man ein, dass diese Untersuchungsmaßnahme nur der erste Schritt beim Prüfen von Stammfäulnis sei, aber: „Aufgrund des eindeutigen Ergebnisses konnte eine weitere Prüfung ausgeschlossen werden, da die Standsicherheit beeinträchtigt war.“ Grundsätzlich führe die Gemeinde an Privatbäumen keine weitergehenden Untersuchungen durch.
Wolfgang Kuhn, Chef des Vaterstettener Umweltamtes, bleibt auch nach der Fällung bei seinem Urteil: „Nachdem die Ross-Kastanie dafür bekannt ist, dass die Fäulnis schnell weitergreift, würde ich den Baum, selbst mit dem Bild, was jetzt nach der Fällung vorliegt, an der verkehrsreichen Stelle zur Entfernung freigeben.“ Er räumt jedoch ein: „Theoretisch hätte man sicherlich versuchen können mit viel Aufwand auf Kosten der Grundstückeigentümerin den Baum über die nächsten Jahre zu retten.“ Doch die Entscheidung zur Fällung war „in der dargestellten Situation richtig, da es meiner Einschätzung nach dazu keine praxisnahe Alternative gab“, so Kuhn.
Auch der Kreisfachberater der unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Ebersberg teile nach einem Ortstermin die fachliche Entscheidung und sehe in Anbetracht der Gesamtumstände keine Alternative zur Fällung, wie Behördensprecherin Christiane Siegert auf B304.de-Nachfrage mitteilt. Gleichzeitig weist sie daraufhin, dass die Gemeinde Vaterstetten seit über 20 Jahren eine Baumschutzverordnung habe und die Verantwortung zur Umsetzung somit beim Umweltamt der Gemeinde liege. “Die Überprüfung der Baumfällanträge, die Genehmigungen zur Fällung und die Kontrolle der Nachpflanzungen liegen in der Verantwortung der Gemeinde” heißt es wörtlich. Hierzu zähle auch die fachliche Begutachtung. Heißt: Das Landratsamt hat sich ohne eigene Begutachtung der Entscheidung der Gemeinde angeschlossen.
Nur weil die Fällung des Baumes in die Vogelschutzzeit fiel, musste eine Ausnahmegenehmigung durch die untere Naturschutzbehörde eingeholt werden. Diese wurde Mitte Mai erteilt, da “aus naturschutzfachlicher Sicht (z.B. das Vorhandensein von Brutstätten oder geschützten Arten) keine Umstände vorlagen, die gegen eine Ausnahmegenehmigung gesprochen haben”, so das Landratsamt. Eine Nachpflanzung gemäß Baumschutzverordnung sei als Teil der Fällgenehmigung angeordnet worden.