Anton Kawelke war gestern (22.07.) gemeinsam mit zwei weiteren Betreuern ab 16 Uhr mit der Schachjugend des SC Vaterstetten-Grasbrunn im Olympiaeinkaufszentrum bei den Schacherlebnistagen. Dort konnte die Gruppe mit neun Kindern – einige von ihnen erst 5 Jahre alt – dem Großmeister Sebastian Siebrecht über die Schulter schauen. Plötzlich rannten Menschen in Panik an ihnen vorbei. Es folgten Stunden der Angst. B304.de hat mit beiden über die Erlebnisse gesprochen.
Anton Kawelke erzählte B304.de seine Eindrücke der grausamen Vorkommnisse: „Alles lief gut, die Kinder hatten Spaß gegen den Großmeister zu spielen. Auf einmal sah ich ganz viele Leute an uns vorbeilaufen, jedoch ohne Geschrei. Ich dachte ehrlich, dass es vielleicht was mit Pokemon Go zu tun hat, denn solche Szenen sind ja aktuell wegen diesem Spiel weltweit in den Medien.“
Was dann passierte schildert der 22-Jährige wie folgt: „Ich bin gemeinsam mit dem Großmeister um die Ecke gucken gegangen, wir waren im ersten Stock. Wir haben herunter geschaut, der Flur war leer. Plötzlich sah ich den Täter, der schwankte. Dunkle Jacke und mit etwas Rotem um, das aussah wie eine Umhängetasche. Außerdem erkannte ich seine Waffe in der Hand. Es rief dann auch wer ‚Waffe’, ich bin sofort umgedreht, habe die Kinder geschnappt, gemeinsam mit ein paar anderen Betreuern und bin weg.“
Auch der Schachgroßmeister erlebte die Sekunden des Schreckens ähnlich: “Wir waren gerade bei einer Schachpartie. Es sind auf einmal viele Menschen an mir vorbeigelaufen. Ich bin dann mit dem Anton vor und habe nachgeschaut was los ist. Wir waren im 1. Stock und haben heruntergeschaut, die Mall war fast leer. Den Täter habe ich gesehen. Er wankte und wirkte nicht wirklich klar strukturiert. Ich bin zurück auf die Fläche, auf der das Schachevent aufgebaut war. Ich ordnete sofort an, dass wir alle rausgehen.”
An einem Notausgangsschild, das an einem Imbiss hing, ist die Gruppe entlang. Mittlerweile waren sie nur noch sechs Kindern, da einige bereits mit ihren Eltern heim sind. “Zum Glück sind einige Kinder schon vorher mit ihren Eltern heim, denn die hatten auch noch Kinderwägen dabei…”, erzählt der Student B304.de.
Kawelke regelte gemeinsam mit seinen Betreuer-Kollegen Lars und Johannes alles, berichtete B304.de wie folgt: „Plötzlich hörten wir einen ersten Schuss, der richtig hallte, wir waren noch im Gebäude. Dann wurde es chaotisch. Alle um einen herum fingen an zu rennen und zu kreischen. Ich habe zwei Kinder gepackt und dann sind wir alle raus, auf ein Gelände von einem Sportclub. Das war gegen 17.55 Uhr, nur vielleicht ein, zwei Minuten nachdem wir den ersten Schuss hörten. Ich alarmierte den Notruf.“
Der Schachgroßmeister lobte gegenüber B304.de die Organisation der Schachclub-Betreuer und schildert seine Sicht der Evakuation: “Anton und alle weiteren haben wirklich sehr gut reagiert. Wir haben relativ geschlossen das Areal verlassen. Ich bin dann als letzter nochmal nach hinten und habe nachgeschaut, ob alle mit sind. Draußen waren rund 100 Personen, wir sind alle unter den Schranken des Parkplatzes herunter um das Gelände zu verlassen.“
Als sie auf der Straße standen, hörten sie weitere vier Schüsse. Sie sahen die ersten Absperrungen. Die Polizei meinte vor einem nahegelegenen U-Bahn-Eingang, dass die Gruppe weiterlaufen sollen und schnell den Heimweg antreten sollten.
Kawelke hierzu:„Wir liefen dann Richtung Georg-Brauchle-Ring. Von dort sind wir Richtung Stachus und dann mit der S-Bahn zum Ostbahnhof. Überall waren Einsatzkräfte und Sirenen. Mein Betreuer-Kollege ist mit den vier verbleibenden Kindern Richtung Vaterstetten, zwei weitere sind mit einer Mutter Richtung Feldkirchen gefahren. Ich musste wieder Richtung Stadt, da ich in Planegg wohne. Auch das war sehr chaotisch, aber wenigstens wusste ich, dass es den Kindern gut geht.“
Auch der Großmeister Siebrecht, kam heil in einem nahegelegen Hotel an: “Die Kinder haben, glaube ich, zum Glück nicht so viel von allem mitbekommen. Ich bin dann zu meinem Hotel, das nur 500 Meter vom OEZ entfernt ist. Auf dem Weg dorthin bin ich am McDonalds vorbei, an dem der Täter auch geschossen hat. Ich habe dort schreckliche Dinge gesehen, Verletzte und Tote. Als ich im Hotel ankam, habe ich von dort alles weiterverfolgt.”
Doch was passierte in der Zeit dazwischen? „Diverse Meldungen ploppten auf meinem Smartphone auf, mein Telefon war durchgehend belegt, meine Freundin gab mir ein paar Infos durch. Ich stand permanent in Kontakt mit den Eltern der Kinder, um diese zu beruhigen.“
Wie reagierten die Kinder, einige teilweise erst fünf bis sechs Jahre alt? „Körperlich geht es ihnen Gott sei dank gut, ich hoffe auch, dass sie das Ganze seelisch gut verarbeiten. Ein Kind hat ein paar Witze gemacht, was in jungen Jahren ein Zeichen der Anspannung ist. Ein anderes Kind hat geweint. Ich denke die Eltern müssen das nun mit ihnen aufarbeiten. In der Situation selbst, haben wir probiert sie zu schützen”, so Anton Kawelke. Doch wie geht der 22-Jährige mit den Geschehnissen um? „In der Zeit, als ich den Typen gesehen haben und plötzlich jemand Waffe schreit, denkt man gar nicht groß drüber nach. Ich habe eine laute Stimme und einfach laut ‚los alle vom Schachclub sofort mitkommen’ geschrien und alle Kinder eingesammelt. Erst später habe ich realisiert, was alles passieren hätte können. Als ich nachschaute was los ist, war der Täter nur 20 Meter von mir entfernt.”
Dass alles gut für den Schachclub gelaufen ist, danken Anton Kawelke viele. „Mein Handy und vor allem WhatsApp klingelt dauernd,“ erzählt uns der gefasst wirkende Kawelke am Morgen nach den grausamen Vorkommnissen. „Die Eltern danken mir und auch der Dritte Bürgermeister von Grasbrunn Michael Hagen, hat mir schon seinen Dank ausgesprochen. Ich habe jetzt eine Nacht darüber geschlafen und bin froh, dass zumindest für uns alles gut verlaufen ist. Ehrlich: Auf so eine Situation hätte ich gerne verzichtet.“
Sein Post auf Facebook, auf dem er allen mitteilt, dass alle Kindern vom Verein und er in Ordnung seien, sorgt für Ruhe. Eine Aussage bei der Polizei hat er auch bereits gemacht. Nun gilt es das Geschehene aufzuarbeiten und zu hoffen, dass nie wieder so etwas bei einem eigentlich ganz normalen Ausflug passiert.
Der Großmeister fasste alles wie folgt zusammen: „Ich wünsche mir, dass die Kinder des Schachclubs Vaterstetten-Grasbrunn kein Trauma erlitten haben und sich auf das nächste Event mit dem Großmeister freuen. Denn das Schreckliche dieses Tages darf nicht überwiegen.“
Bei dem Attentat im Olympia Einkaufszentrum verstarben laut aktuellen Polizei Informationen 9 Menschen. Der Täter, ein 18-jähriger Deutsch-Iraner, erschoss sich selbst. Das Motiv steht derzeit noch nicht fest.