Als die Welt unterging

von Markus Bistrick

12. Juli 1984. Vor 40 Jahren rast um 20.05 Uhr eine erbarmungslose Hagelwalze über den Münchner Osten hinweg. Tennisball große Eiskörner zerstören 200.000 Autos, 70.000 Gebäude, zahlreiche Flugzeuge auf dem Flughafen München-Riem, Felder und Gärten. Über 3.800 Einsätze zählt die Feuerwehr an diesem Donnerstagabend. Die bittere Bilanz: drei Tote, mehr als 300 Verletzte und Sachschäden von insgesamt mehr als drei Milliarden Mark. Es ist das bis dahin größte Schadenereignis in der Geschichte der deutschen Versicherungswirtschaft und bei all jenen, die es hautnah erlebt haben, für immer ins Gedächtnis eingebrannt.

Schreiben Sie uns Ihre Erinnerungen und schicken Sie uns gerne Ihre Fotos, dann werden wir diese Seiten sukzessive erweitern. Einfach Foto abfotografieren (ohne Blitz wegen Spiegelungen) und mit einem kurzen Text an: redaktion@b304.de – vielen Dank.

Einige Impressionen und Erinnerungen an damals:

Ein Agentur-Bild, das um die Welt ging: Das vom Hagel verwüstete Elternhaus der Familie Reitsberger 1984. Unverzügliches Handeln war angesagt. Glücklicherweise waren passende Dachziegel aus dem Raum Rosenheim sofort lieferbar und in Eigenregie konnten die Reitsberger Geschwister ihr Wohnhaus schnell wieder regendicht machen. (Foto: Archiv Georg Reitsberger)
Gagel 1984: Der damalige Vaterstettener Bürgermeister Hermann Bichlmair mit einem Hagelkorn. (Foto: Gemeindearchiv Vaterstetten)
Hagel 1984: Aufräumarbeiten bei der Gärtnerei Ziegltrum in Vaterstetten. (Foto: Gemeindearchiv Vaterstetten)
Hagel 1984 in der Gemeinde Vaterstetten. (Foto: Gemeindearchiv Vaterstetten)
William Larro aus Baldham: „Ein Foto von unsern Audi 80 nach dem Hagelsturm von 1984 und nach den Gutachten meiner Versicherung. Kurz danach sind wir in die Türkei damit gefahren und haben zwei lustige Begegnungen in Izmir erlebt. Ein Junge hat uns gefragt ob wir „überfallen“ wurden, und vor eine Tee Salon geparkt, rannte einen Mann auf uns zu und ruft zu seinen Freunden „Kommt her!! Schau her Büjük Dolu!” (großer Hagel)“. Dann erzählte er uns auf Deutsch, dass seine Freunde ihm nicht geglaubt hätten, dass es so was gibt.
Hagel 1984 in der Gemeinde Vaterstetten. (Foto: Gemeindearchiv Vaterstetten)
Hagel 1984. Der zerstörte Garten in Neukeferloh. (Foto: Oliver Kugler / B304.de-Archiv)
Hagel 1984. Eine Straße in Neukeferloh am Tag danach. (Foto: Oliver Kugler / B304.de-Archiv)
Ein demolierter VW Käfer in der Edelweißstraße in Vaterstetten. (Foto: B304.de Archiv)

Erinnerung an den Hagel am 12. Juli 1984 von Veronika Schwaiger (geb. Unkelbach) aus Hergolding:

“Es war ein schöner warmer Tag ich war 7 Jahre alt und ging in die 1. Klasse der Parsdorfer Grundschule. Ich kann mich nicht erinnern, ob wir an diesem Tag Hitzefrei hatten, aber die Wahrscheinlichkeit ist doch hoch. Nachmittags durfte ich mit meinem Papa meine am Vortag geborene Schwester im Krankenhaus Neuperlach besuchen. Abends durften meine Geschwister (Schwester 5J. und Bruder 3J.) und ich etwas länger aufbleiben, da ja unsere Mama noch im Krankenhaus und unser Papa zu einer Versammlung unterwegs war. Kurz vor 20:00 Uhr brachte uns unsere Oma (62J.), die mit uns in Hergolding gemeinsam auf dem Bauernhof wohnte, in unser Kinderzimmer, in welchem wir drei Geschwister immer zusammen schliefen. Sie hatte gerade angefangen uns eine Gutenachtgeschichte vorzulesen als von draußen plötzlich laute Schepperer zu hören waren. Alle vier sind wir erschrocken, doch am meisten war unsere Oma verschreckt. „Oh Gott, es werden doch nicht die Russen kommen“ rief sie. Sie sagte uns, wir sollen im Zimmer bleiben und lief dann raus. Wir wussten nicht, was wir machen sollten und hatten große Angst. Die Geräusche von draußen wurden immer mehr und lauter und die Oma kam einfach nicht zurück. Meine kleinen Geschwister weinten. Wir gingen zusammen in das Schlafzimmer unserer Eltern, das direkt mit unserem Kinderzimmer verbunden war, und setzten uns gemeinsam auf das Bett unserer Eltern. Ich habe das Bild noch vor Augen, wir drei saßen in der Mitte des Ehebettes und umarmten uns gegenseitig. Das laute Getöse von draußen wurde leiser, doch die Stimmen im Hausgang dafür lauter. Ich schaute vorsichtig aus der Schlafzimmertür in den Hausgang. Da waren meine Großeltern und ein Betriebshelfer damit beschäftigt das Wasser, welches wie ein Bach über die Treppe aus dem Dachspeicher geschossen kam, irgendwie aufzufangen. Hektisch und gestresst wurde ich von meinen Großeltern angefahren sofort die Türe zu schließen und ins Bett zu gehen. Jedes Jahr wenn der Geburtstag meiner Schwester ist, kommen bei mir die Erinnerungen an den Tag danach hoch. Wie groß die Angst damals bei uns Geschwistern war.

Doch ich habe auch positive Erinnerungen daran, z.B. meine ich mich zu erinnern, daß an den kommenden Tagen die Schule ausfiel, da auch das Dach der Grundschule in Parsdorf kaputt war.

Erst am nächsten Tag sahen wir Kinder die Verwüstung. Am ganzen Bauernhof lagen noch Hagelkörner, Laub und kaputte Dachplatten. Die neue Halle, welche noch nicht lange mit Eternit eingedeckt war, war kaputt, sowie das Auto meines Onkels der bei uns geparkt hat weil er gerade auf Hochzeitsreise war. Im Haus waren überall Eimer und Schüsseln und es tropfte überall. Am meisten davon beeindruckte mich die Babybadewanne, welche schon für meine Schwester hergerichtet war, diese stand mitten auf unserem Wohnzimmertisch unter der Lampe und war fast voll mit Wasser. Die Wasserschäden waren noch Jahre an den Lampen und Möbeln zu sehen, bis unser Haus in den 90gern renoviert wurde. Für uns Kinder waren es spannende Tage. Wir durften/mussten beim eindecken der Dächer unseres Bauernhofes helfen. Wir schleppten Dachplatten hin und her. Und ich, als große Schwester, durfte sogar mit aufs Dach unseres Stadels, da war das Dach nicht so steil, ich trug die Dachplatten, die mit einem Förderband nach oben kamen zu den Männern, welche das Dach eindeckten.

In Neuperlach war von dem schlimmen Hagel nichts zu merken. Meine Mama war erstaunt und erschüttert, was wir ihr erzählten. Da die Größe der Hagelkörner so unfassbar war, hat mein Papa extra einige in der Gefriertruhe für sie eingefroren.

Ja eine Erinnerung, die man nicht unbedingt haben muss und definitiv für mich unvergessen bleiben wird.”

Hagel 1984. Eine Hausfassade in Neukeferloh. (Foto: Oliver Kugler / B304.de-Archiv)
So oder so ähnlich sahen damals viele Wohnhäuser aus. (Foto: Willi Frisch / B304.de-Archiv)
So wie in der Vaterstettener Fliederstraße sahen fast alle Straßen in der Gemeinde aus. (Foto: Familie Wolz / B304.de Archiv)
So wie in der Vaterstettener Fliederstraße sahen fast alle Straßen in der Gemeinde aus. (Foto: Familie Wolz / B304.de Archiv)
Hagel 1984. Eine Hausfassade am Ostring in Neukeferloh. (Foto: Oliver Kugler / B304.de-Archiv)
Das zerstörte Firmenschild von Kugler Feinkost. Die Firma hatte damals noch ihren Sitz in Neukeferloh. (Foto: Oliver Kugler / B304.de Archiv)
Notdürftig vor Regen geschützt. Das Dach eines Hauses in Neukeferloh. (Foto: Rolf Katzendobler)
Ein Wohnhaus in Neufarn. Das Dach war zu diesem Zeitpunkt bereits repariert. (Foto: Sepp Mittermeier / B304.de Archiv)
Hagel 1984. Die Hagelkörner zertrümmerten sowohl Autodächer wie auch Dachfenster. (Foto: Oliver Kugler / B304.de-Archiv)
Hagel 1984 in Grasbrunn: Der junge Hannes Bußjäger inmitten eines zerstörten Ackers. (Foto: Familie Bußjäger / B304.de-Archiv)
Blick aus einem kaputten Fenster auf eine zerstörte Fassade am Nachbarhaus. (Foto: Willi Frisch / B304.de Archiv)
Nur einer von ungefähr 200.000 zerstörten Autos. (Foto: Allianz Versicherung)
Kaum eine Glasscheibe bei den Gewächshäusern der Gärtnerei Böck hat den Hagelkörnern stand gehalten. (Foto: Gärtnerei Böck / B304.de Archiv)
Kaum eine Glasscheibe bei den Gewächshäusern der Gärtnerei Böck hat den Hagelkörnern stand gehalten. (Foto: Gärtnerei Böck / B304.de Archiv)
Scherben statt Pflanzen: Kaum eine Glasscheibe bei den Gewächshäusern der Gärtnerei Böck hat den Hagelkörnern stand gehalten. (Foto: Gärtnerei Böck / B304.de Archiv)
Scherben statt Pflanzen: Kaum eine Glasscheibe bei den Gewächshäusern der Gärtnerei Böck hat den Hagelkörnern stand gehalten. (Foto: Gärtnerei Böck / B304.de Archiv)
Hagel 1984: Aufräumarbeiten bei der Gärtnerei Böck Tage danach. (Foto: Gärtnerei Böck / B304.de Archiv)