Einmal um die ganze Welt

von Eva Bistrick

Wir alle haben nur ein Leben und das sollte man bestmöglich nutzen. Einfach mal raus aus dem Hamsterrad, den Alltag hinter sich lassen. Die Kiermeiers aus Neukeferloh haben sich getraut, wovon viele nur träumen. Mit dem eigenen Boot, der „Mariposa“, haben die vier ein Jahr lang die Welt umsegelt. Angefangen an den Küsten Europas, Italien, Spanien, Gibraltar, über die Kanaren, die Kapverden und schließlich über den großen Teich bis in die Karibik und nach Amerika. Sie legten auf einsamen Inseln an, fingen Fische, streichelten Riesenschildkröten, schwammen mit den Bahamas-Schweinen, aßen rohe Seeigel aus der Schale und entdeckten sagenumwobene Lost Places wie Pablo Escobars Flugzeugwrack.

Seit Mitte September, zum Start des neuen Schuljahres, sind die Kiermeiers wieder zurück in ihrer Heimat. 14.500 Seemeilen haben Lucie und Flo und die beiden Töchter Sophia und Helena zu einem echten Team zusammengeschweißt. Und ihren Segler, die „Mariposa“? Die haben sie zum Ende der Reise in Norditalien schweren Herzens an ein anderes begeistertes Segelpaar verkauft. Immer wieder loslassen müssen, das ist das „Schicksal des Seglers“. Ein Gespräch über unvergessliche Erlebnisse und wie die einjährige Auszeit das Leben der Kiermeiers und ihre Sicht auf die Dinge verändert hat.

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Ihr seid im August 2022 gestartet, habt eure Jobs gekündigt und eure beiden Töchter für ein Jahr aus der Schule genommen. War das rückblickend die richtige Entscheidung?

Ohne jede Einschränkung können wir diese Frage mit einem „Ja“ beantworten. Hätten wir die Möglichkeit gehabt, wären Sophia und Helena mit uns sofort weiter gesegelt. Die Mädels haben auf der Reise so viele Erfahrungen gemacht, Verantwortung übernommen und fürs Leben gelernt, das war es auf jeden Fall wert und wäre so in der Heimat nicht möglich gewesen. Wenn man die Chance hat, einen Wal in freier Wildbahn zu sehen, mit Rochen und Schildkröten zu tauchen, oder in der Dominikanischen Republik das Land außerhalb eines Resorts kennen zu lernen, lernt man fürs Leben – auch wenn es abgedroschen klingt. Dazu gehören aber auch Schattenseiten. Die absolute Armut der Bevölkerung auf einigen Inseln, aber auch die Erlebnisse in Rocchella Ionica in Kalabrien. Der Hafen dort ist voller gestohlener und zerstörter Segelyachten, diese werden von Schleppern genutzt, um Flüchtlinge nach Europa zu bringen. Live zu sehen, wie 60 Männer und Kinder von einem 40 Fuß Schiff geholt wurden, auch Tote geborgen werden mussten und den Schmerz in diesen Augen zu sehen, hat uns tief berührt.

Eure Reise war ein großes Wagnis – hattet ihr nicht zwischendurch Angst vor der eigenen Courage?

Angst nein, Respekt auf jeden Fall! Spannend hat die Reise begonnen, als uns auf der Überfahrt nach Menorca die Motorhalterung gebrochen ist und der 500 kg schwere Motor abgesackt ist. An eine Weiterfahrt war nicht zu denken. Auch ein blinder Passagier in Form einer Ratte hat uns 4 Tage an der Weiterfahrt hindern wollen. In Gibraltar haben wir sie der See übergeben. Der Atlantik hat uns Demut gelehrt, auf dem Weg nach Westen mit schwerer See bis 7 Meter Welle, Wind über 50 Knoten und Schäden am Mast und den Leinen. Auf dem Weg zurück nach Europa mit tagelanger Flaute, kein Lüftchen weit und breit. Es ist wirklich kein schönes Gefühl, wenn einem der Diesel und das Wasser langsam ausgeht, das nächste Stück Land aber noch 3.000 Kilometer entfernt ist. Auch das stetige Rollen des Bootes bei der Atlantikwelle und der fehlende Schlaf bei Nachtfahrten haben mit Seefahrerromantik nicht viel zu tun.

Gab es weitere Geschehnisse, die Ihr so lieber nicht erlebt hättet?

Einer der absolut schlimmsten Momente ist uns auf den Jungferninseln passiert. Hier mussten wir live miterleben, was uns auf dem Medizin-Seminar zuvor nur in der Theorie eingebläut wurde: Nach 45 Minuten Reanimation ist uns ein Amerikaner quasi unter den Händen weggestorben. Die Kinder haben seinen Bruder vom Boot geholt, während wir noch versucht haben, den Mann zu retten. Leider erfolglos. Das war richtig, richtig schlimm. Doch auch das gehörte zu den prägenden Momenten unserer Reise.

Erzählt uns von ein paar absoluten Highlights.

Es gab unendlich viele schöne Momente! Die Sonnenauf- und untergänge auf dem weiten Meer, vor allem aber das Sternenzelt bei Neumond, ohne jedes Umgebungslicht, haben uns jeden Tag aufs Neue fasziniert. Weihnachten und Silvester verbrachten wir barfuß am Strand, unser gegenseitiges Geschenk war diese Reise, ein größeres wird es nie geben. Auf eigenem Kiel nach USA zu segeln und vor der Skyline vor Miami den Anker zu werfen, war die Kirsche auf der Sahnetorte. Und es war immer ein großer Traum, einmal ein „Los-Seglerbild“ an einem der Transithäfen zu malen. Wir durften uns und unsere „Mariposa“ in Puerto de Mogán auf Gran Canaria verewigen.

Welcher Ort hat euch am besten gefallen – wenn man das überhaupt so sagen kann?

Mit Abstand am besten hat uns Dominica gefallen, mit den Regenwäldern und den heißen Quellen, aber auch den Leuten vor Ort, hatte es für uns einen ungemeinen Reiz! Als Segelrevier der Superlative empfanden wir die Britischen Jungferninseln. Die Bahamas waren sicherlich eine der TOP Locations, das türkise Wasser und die kilometerlangen Strände haben uns total umgehauen. Auch die ungeplanten Stopps, bedingt durch Schäden oder schlechtes Wetter, entpuppten sich jedes mal als absoluter Gewinn. Tanger in Marokko zum Beispiel, hat uns total fasziniert. Aber man muss erst einmal weit rauskommen, um festzustellen, dass auch das Mittelmeer vor der Haustüre seine absoluten Reize hat, sei es die Streetfood-Kultur in Palermo, oder das Maddalena Atoll auf Sardinien. Nichts toppt aber das erste kalte Carib-Bier auf Barbados – nach 19 Tagen ohne Land.

Mitten im Urwald: Mit Locals tranken die Kiermeiers an den heißen Quellen ein Bier -und verewigten sich dann standesgemäß verschlammt auf einem Foto.

Findet man nach so einem Erlebnis je wieder zurück in den Alltag?

Es ist eine ganz einfache Geschichte – der Alltag findet einen wieder! Man selbst hat sich verändert und sieht gerade in den kalten und nassen Tagen aus dem Fenster und überlegt sich schon, was Luxus bedeutet? Eine Spülmaschine, oder ein schickes Auto? Viele Quadratmeter im Wohnzimmer, oder das Leben am Meer in Einfachheit.

Die Träume sind anders, die Welt mit ihren Menschen – egal welcher Coleur – kleiner. Man sieht die Veränderung des Klimas und der Erde, alle sitzen auf der gleichen blauen Kugel. Je einfacher die Umgebung ist, desto mehr passen diese Menschen auf sie auf.

Wir haben in den 13 Monaten gesehen, was Freundschaften und Familie bedeuten und wert sind, vor allem wie wichtig es ist, sie zu pflegen und die richtigen Menschen zu wählen. Sie haben uns den Einstieg erleichtert.

Wir haben wieder in den Alltag gefunden, aber wir sehen alles mit anderen Augen und konzentrieren uns mehr auf die wesentlichen Themen im Leben. Am Ende manifestiert sich der Gedanke nach einer „Mariposa II“ und einer neuen Reise – mit mehr Zeit.