Aufarbeitung Drittes Reich in Haar

von edithreithmann

Am 25.04. ist Premiere für das Theaterstück, das sich aus dem Projekt „Spurensuche“ von Schülerinnen und Schülern des Ernst-Mach-Gymnasiums und der Mittelschule entwickelt hat. Die Besucher einer Theaterprobe waren begeistert. Die Premiere ist ausverkauft. Weitere Vorstellungen sind am 27.04., 28.04. und 03.05.

Was für ein Mensch willst Du sein?

Es sind erwachsene, zutiefst vorwurfvolle Blicke aus jugendlichen Gesichtern, die sich einem direkt in die Seele bohren. Sie klagen etwas an, das sie persönlich nie erlebt haben – wofür sie sich jedoch seit Herbst auf „Spurensuche“ begeben haben. Die Theater AG des Haarer Ernst Mach Gymnasiums setzt sich mit den Gräueltaten im Dritten Reich auseinander. Allgemein und direkt in ihrer Heimatgemeinde. Und packt dann alles in ein Theaterstück. Der Titel des Stücks, das am 25.04. im EMG uraufgeführt werden soll, lautet „Spurensuche. Was für ein Mensch willst Du sein?“ Das berührt schon jetzt, wie ein Besuch bei einer Probe zeigte.

32 Schülerinnen und Schüler proben für das THeaterstück "Spurensuche" am Ernst-Mach-Gymnasium (Foto: Gemeinde Haar)
32 Schülerinnen und Schüler proben für das Theaterstück “Spurensuche” am Ernst-Mach-Gymnasium (Foto: Gemeinde Haar)

Auch die „Weiße Rose Stiftung e.V.“ fördert das Projekt

Es war eine Ausschreibung der Stiftung für Erinnerung, Verantwortung und Zukunft über die Förderung von vier Theaterprojekten mit Zeugnissen von Opfern des Nationalsozialismus, die das ganze Projekt ins Rollen brachte. Auf Vorschlag der Theaterpädagogin Farina Simbeck sollten sich Haarer Jugendliche daran beteiligen. Die Bürgerstiftung Haar war sofort mit an Bord – auch dann noch, als die Absage der Stiftung kam. Denn das Projekt und die Idee dahinter faszinierten – und zwar so sehr, dass sich gleich mehrere Institutionen und Vereine dazu entschlossen, das Vorhaben auf eigene Faust finanziell zu unterstützen und dadurch trotzdem umzusetzen. Mit an Bord sind die „Bürgerstiftung Haar“, die „Weiße Rose Stiftung e.V.“, sowie die Gemeinde Haar, die VHS Haar und die Kreissparkasse München- Starnberg-Ebersberg. Und sofort mit an Bord war auch Thomas Ritter, Theatergruppenleiter am Haarer Gymnasium. Besonders freut es die 32-köpfige Truppe, dass auch ein Mittelschüler im Ensemble ist – denn schulübergreifend sollte das Projekt schon ursprünglich sein.

Intensive Recherche

Doch wie gehen Jugendliche an ein Thema heran, das zeitlich im Leben ihrer Groß- wenn nicht gar Urgroßeltern verankert ist? Es ist beeindruckend, wie sehr das Interesse für die finstre Epoche bei den 8. bis 10.Klässlern ist – und das liegt nur bedingt daran, dass sie in diesen Jahrgangsstufen auch im Fach Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus ankommen. Die Teenager haben viel Zeit mit der Recherche verbracht. Sie besuchen die Gedenkstätte Hartheim, das Staatsarchiv und das NS-Dokumentationszentrum, verschiedene Ausstellungen und Lesungen zum Thema, sie sehen sich Theaterstücke an und lauschen Konzerten. Sie nehmen aktiv an einer Gedenkstunde der LMU teil. In Haar selbst lassen sie sich durch das Psychiatrie-Museum führen, bekommen Einblicke in das Gemeindearchiv. Doch die eindrucksvollsten Momente erleben die Jugendlichen in Zeitzeugen-Gesprächen: KZ-Überlebender Max Mannheimer, Gemeinderat Horst Wiedemann, Chronistin Gertraud Wildmoser und auch Jürgen Partenheimer, Vorstand der Bürgerstiftung, erzählen aus der Zeit vor 70 Jahren – und geben so den „nackten Fakten“ Gesichter, Geschichten, Schicksale und Emotionen. Nicht minder beeindruckend war das von der Bürgerstiftung finanzierte Konzert von Esther Bejarano, einer mittlerweile 91-jährige Sängerin und deutsch-jüdische Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz im EMG. Zusammen mit der Microphone Mafia rappte sie sich durch den Abend.

Forschen in der Familie

Besonders persönlich wird es, als die Jugendlichen einen Fragebogen in die Hand gedrückt bekommen, mit dem Auftrag, in der Familie nach Spuren zu suchen. Was dabei rauskommt beeindruckt die Schülerinnen und Schüler: Die Geschichten der Großeltern, Kriegsgeschichten, Fluchtgeschichten, Geschichten aus Kindheiten, die so anders waren, als die heutigen – und doch so gleich. Verstecken vor Fliegerbomben, Bettelgeschichten, Familienmitglieder, die dem Krieg zum Opfer fielen. Ein Alltag zwischen Angst und Kindheit, zwischen Front und Familie, zwischen Vertrauen und Verrat – unvorstellbare Gefühle, unvorstellbares Leben. Aus heutiger Sicht. Manche Geschichten haben die Jugendlichen schon oft gehört, doch erst jetzt werden sie sich ihrer Tragweite bewusst.

Spuren in Haar

Und auch die Tatsache, dass ihre eigene Heimatgemeinde ein dunkles Kapitel während des dritten Reiches hat, dass an Plätzen, Orten und Gebäuden, mit denen sie ganz selbstverständlich leben, Grausames geschehen ist, ist für viele neu. Die Kinder, die in der Klinik getötet wurden. Die Menschen, die von dort weg deportiert und in den sicheren Tod geschickt wurden. Die Gebäude, die in der NS-Zeit entstanden und in denen heute beispielsweise die Kinder die Schulbank drücken oder Tanzunterricht abgehalten wird. Oder dass ein Kindergarten dort beheimatet ist, wo man früher die Kinder verhungern ließ. Es ist ein eindrückliches Projekt. Für alle Beteiligten. Denn die heutigen jungen Menschen können anders über das Geschehene reden. Die „Schuld“ oder das direkte „Mitwirken“ hat rückblickend eine Generation erreicht, die die Jugendlichen nicht mehr schützen müssen – denn ihre Opas und Omas waren schließlich auch Kinder damals. Unschuldig. Die Täter gibt es größtenteils nicht mehr, ihnen sind die Schülerinnen und Schülern nicht mehr persönlich begegnet.

Theaterfahrt macht das Stück komplett

Seit der Theaterfahrt nach Ostern ist das Stück komplett. Es stammt größtenteils aus der Feder der Jugendlichen selbst – natürlich tatkräftig unterstützt von den beiden Theater- Lehrern. „Wir waren eine Woche auf Theater-Fahrt auf einem Hof. Da haben wir ganz intensiv gearbeitet“, erklärt Farina Simbeck. Alle dürfen gespannt sein. Verraten wird aber noch nichts.

Das erweiterte Ziel: Gastspiele

Jürgen Partenheimer, der bereits mehreren Proben beigewohnt hat, ist begeistert von dem Projekt. Und berührt. Gerade, weil er eben auch noch ein Zeitzeuge ist. „Wir wünschen uns, dass das Stück auch noch an anderen Schulen aufgeführt wird. Das ist auf jeden Fall auch ein Ziel“, sagt er. Und das wünschen sich tatsächlich alle Beteiligte. Die Premiere am 25.04. im Ernst Mach Gymnasium ist bereits ausverkauft. Weitere Vorstellungen gibt es am 27. und 28.04. sowie am 03.05. jeweils um 18 und um 10 Uhr. Anmeldungen nimmt das Sekretariat des EMG unter Tel. 089-43 70 77 70 entgegen. Wer lieber per Mail reserviert schreibt an theater@emg-haar.de

(Text: Claudia Erl)