Bereits an diesem Dienstag (11.11.) sind die ersten 20 Asylbewerber in der Notunterkunft an der Kfz-Zulassungsstelle in Neukeferloh angekommen. Und in Vaterstetten steht die Turnhalle des Gymnasiums für bis zu 300 Asylbewerber bereit. Viele Bürger wollen helfen. Viele haben Sorgen. Auf nicht wenige trifft beides zu. Nur hierzulande spricht man nicht darüber – zumindest nicht öffentlich. Das ist ein Problem. Genauso wie die Informationspolitik der Behörden. Ein Kommentar von Markus Bistrick.
Wir ordnen unsere Welt in Stereotypen, ob wir wollen oder nicht. Sie bündeln unser Wissen über soziale Gruppen. Die Eigenschaften, die wir mit dem Stereotypen verbinden, sind in unserem Kopf angeordnet wie Dominosteine. Wird ein Stein angestoßen, fallen alle anderen. Diese Bilder im Kopf helfen uns, uns in unserer sozialen Umwelt zu Recht zu finden. Wir reduzieren Informationen und sortieren unsere Erfahrungen in Schubladen.
Nur ein Beispiel: Wo gehen wir lieber hin – zu einem Fest, auf dem wir die Gäste kennen oder zu einer Party, wo wir nicht wissen was uns erwartet? Wohl eher dorthin wo wir Bekannte treffen. Wir freuen uns auf das Wiedersehen, weil wir wissen was uns erwartet. Das ist bequem. Und der Mensch hat es gerne einfach und damit auch bequem. Das ist ganz normal, nicht von vornherein typisch deutsch, nebenbei wissenschaftlich erwiesen und per se kein Grund zur Beunruhigung.
Doch wir haben auch eine Geschichte und damit eine besondere Verantwortung, der wir uns alle – bis auf wenige, unakzeptable Irrläufer – bewusst sind. Warum wir deshalb aber bei Themen wie der Asylpolitik öffentlich nur einseitig diskutieren und nicht auch beide Seiten sehen dürfen, erschließt sich mir persönlich nicht. Schlimmer noch, ich halte das für extrem ungesund und brandgefährlich. Das Thema ist schließlich schon komplex genug und eine konstruktive Diskussionskultur auch deshalb wichtig, um künftig Vorfälle wie in Zorneding zu vermeiden. Dafür muss man miteinander sprechen – mit Anwohnern, Gewerbetreibenden, Helferkreisen und Asylbewerbern. Denn hier wurden und werden meiner Meinung nach immer wieder behördenseitig einige vermeidbare Fehler gemacht. Offenbar hat man aus den Fehlern gelernt und in Grasbrunn, anders als zunächst geplant, nun doch kurzfristig Familien und nicht ausschließlich junge Männer untergebracht.
Integration heißt Zusammenschluss unterschiedlicher Gruppen – da müssen auch alle Beteiligten ins Boot geholt werden. Dass dies häufig leider nicht geschieht und Informationen bewusst oder unbewusst zurückgehalten werden, zeigt mir nicht nur, aber auch die Unkenntnis, die immer wieder in Kommentaren auf unsere Berichterstattung zum Ausdruck kommt. Doch warum sagt uns eigentlich niemand offiziell, dass zumindest ein Teil der Asylbewerber längst in Neukeferloh eingetroffen ist – immerhin hatten wir die vergangenen Wochen fast täglich bei den entsprechenden Stellen um Auskunft gebeten. Auch eine Anfrage von heute Mittag blieb vom Landratsamt bis jetzt unbeantwortet. Warum bietet die Gemeinde Vaterstetten seit einem Jahr eine Unterkunft für 100 Asylbewerber an, damit dann doch Hals über Kopf die Schulturnhalle des Humboldt-Gymnasiums genutzt werden soll? Wie kann es sein, dass die Stadt München einen Teil der ihr zugewiesenen Asylbewerber in Zorneding einquartiert? Kurzum: Wenn Behörden untereinander darüber streiten, wer was finanzieren soll und sich Kommunen gegenseitig das Problem zuschieben – wie sollen dann die Bürgerinnen und Bürger abgeholt werden. Dabei wäre gerade das so wichtig.
Die Vorfälle im Zornedinger Eschenhof – mit Massenschlägerei, Verfolgungsjagd durch die Gemeinde und finaler Prügelei im „Neuwirt“ – sind zweifelsohne ein Ausnahmefall. Sie gehören aber genauso zur Wahrheit, wie das harmonische Miteinander und die gelebte Integration, die vieler Orten stattfindet. Schon einmal, in den 90erJahren haben wir – übrigens deutlich mehr Menschen als aktuell – aufgenommen. Damals aufgrund des Jugoslawien-Krieges. Nicht wenige von den einstigen Flüchtlingen leben heute noch unter uns – ohne, dass wir davon etwas merken. Ganz im Gegenteil, sie sind längst ein Teil von uns. Integration kann also funktionieren – wenn beide Seiten wollen und wir als Bürger mitgenommen werden.
Das gilt freilich auch für die andere Seite, also für die Asylbewerber. Denn, um noch einmal das Beispiel von der Einladung zu einer Party zu bemühen: Wenn wir schon auf das Fest müssen, wo wir keinen kennen, dann freuen wir uns ganz besonderes darüber, wenn uns die Gäste willkommen heißen und keine Gruppen bilden. Integration fordert uns, aber der Aufwand lohnt sich. Denn nicht selten sind gerade die Einladungen, auf die wir eigentlich keine Lust hatten, eine ganz besondere Bereicherung. Auch das ist ein Erfahrungswert.
Kurzum: Ich wünsche mir eine offene, konstruktive und sachliche Diskussion und vor allem umfassende Informationen, die auch wir als Medienvertreter bislang leider immer nur scheibchenweise auf Anfrage serviert bekommen. Dann klappt’s auch mit der Integration. Da bin ich mir sehr sicher. Und auch diese Bemerkung sei mir abschließend gestattet: Die nächsten Kommunalwahlen sind erst 2020 und bis dahin ist noch viel Zeit für unsere Volksvertreter, um mit offenen Karten zu spielen und vor Ort mit Weitsicht und Bürgernähe zu glänzen – ohne die Angst eine Wahl zu verlieren und dann einer anderen, fremden Tätigkeit nachgehen zu müssen. Die Angst vor dem Fremden, da haben wir sie schon wieder. In diesem Sinne: Asylbewerber sind Menschen wie wir – und Menschen sind – unabhängig von ihrer Herkunft – nicht alle gut, aber eben auch nicht alle böse. Differenzierung ist gefragt, nicht Pauschalisierung. Stellen wir uns dem Thema ohne Vorurteile, aber dennoch offen und schonungslos.