Es gibt Tage, da macht die Kreativität auch um Kreative einen großen Bogen. Comedy-Reporter Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling kennt dieses Gefühl und weiß sich zu helfen – mit kleinen grünen Vierkant-Fläschchen gefüllt mit klarem Doornkaat-Schnaps. Zwar ist das Klischee vom Journalisten, der erst nach Alkoholkonsum ideenreiche Zeilen zu Papier bringt, längst überholt. Dennoch zählt der Genuss von Alkohol für viele zum Kulturgut. Ein Kulturgut, das die Selbststeuerung auf Messers Schneide stellt. Der Suff als berauschendes Gaspedal, wenn das Gemüt mal wieder auf die Bremse tritt. „Alkohol hat mich fast umgebracht“, sagt der Baldhamer Hans Dominik Löscher heute – 35 Jahre nach seinem letzten Bier. Mit seiner ganz persönlichen Geschichte möchte der 79-Jährige zeigen, „dass man ein zufriedenes, glückliches und erfolgreiches Leben führen kann, wenn man den Alkohol weglässt“.
Menschen nehmen Drogen. Einige sind gefährlich, andere eher harmlos. Aber alle können früher oder später süchtig machen, die einen körperlich, die anderen psychisch. Manche beides. 1.013.000 Männer und 418.000 Frauen waren 2023 aufgrund einer Alkoholabhängigkeit in Deutschland in Behandlung – ambulant oder stationär. Tendenz steigend. Rund 60.000 Deutsche sterben jährlich im Zusammenhang mit Alkohol. Zumindest indirekt wohl auch Löschers erste Ehefrau, mit gerade einmal 45 Jahren.
Anfangs habe sie nicht getrunken, nicht geraucht. Durch ihn habe sie begonnen, regelmäßig zur Flasche zu greifen, heimlich, häufig schon vormittags, harte Sachen. Innerhalb von zwei Jahren sei sie komplett abgestürzt. Im Rausch abweisend und aggressiv. Mit einem Messer habe sie ihn öfters bedroht und körperlich angegangen. Am nächsten Tag haben beide, wenn überhaupt, nur lückenhafte Erinnerungen an das Geschehene. Selbstachtung? Fehlanzeige. Permanente Enttäuschungen und gegenseitige Verletzungen zerstören letztlich die Ehe. Auch das Verhältnis zu seinem ältesten Sohn, der als 12-Jähriger alles miterleben musste, geht damals in die Brüche. Jeder hat seine eigene Art die Vergangenheit aufzuarbeiten. Beim einen ist es Verdrängung, bei Hans Dominik Löscher ist es ein Buch, das er auf Anregung seiner beiden Töchter während der Corona-Zeit über sein Leben vor und nach dem Alkohol geschrieben hat.
Seit seinem 15. Lebensjahr sei er Alkoholiker gewesen, sagt uns der Baldhamer, der 26 Jahre lang als Kameramann für den Bayerischen Rundfunk die Welt bereist hat und im Juni 80 Jahre alt wird. Zwei Mal in der Woche öffnet er sein Seelenleben in einer Gruppe der Anonymen Alkoholiker – bis heute ist das so. „Wenn Sie von Alkohol loskommen wollen, gibt es nur eine einzige Lösung: absolute Abstinenz. Ein Zurück zum kontrollierten Trinken ist undenkbar, weil man ja niemals kontrolliert getrunken hat.“ Einmal habe er tatsächlich lange nichts getrunken und sich dann gedacht: „Ein Mensch, der acht Jahre lang nichts trinkt, kann kein Alkoholiker sein.“ Ein Irrtum. „Das ging los beim Griechen. Da habe ich zum Abendessen erst ein Achtel Wein getrunken, eine Woche später war es ein Viertel und irgendwann waren es wieder Karaffen.“
Seit 35 Jahren ist Löscher jetzt trocken. „Wenn ich mich nicht gezwungen hätte, würde ich hier nicht mehr sitzen. Ich wäre innerhalb weniger Jahre über den Jordan gegangen.“ Mit dem Verzicht auf Alkohol stellt sich damals sein beruflicher Erfolg als Kameramann ein. Im Alter von 64 Jahren belohnt sich Löscher, der sich selbst als „Suchtel“ mit riesigem Suchtpotential bezeichnet, dann mit der Hubschrauber-Lizenz. „Immer wenn ich in der Luft war, habe ich mir gesagt: Mein Gott bin ich froh, dass ich das erleben darf, weil ich mit dem Saufen aufgehört habe.“ Diese Glücksmomente sind es, warum Hans Dominik Löscher anderen Menschen die Augen öffnen will und ungeschönt über sein Leben mit der Sucht spricht. Hilfe bei Suchterkrankungen finden Sie unter: www.dhs.de oder siehe Seite 40.