„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“

von Leon Öttl

Rund 50 Personen versammelten sich am Samstagnachmittag zum Barriere-Krawall: Der Aufzug am Vaterstettener Bahnhof steht seit Ende November still. Wie Mitte Mai bekannt wurde soll nun der Komplettaustausch beginnen – und der dauert mindestens bis Oktober. 

„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“ begrüßte Organisator Jens Möllenhoff die Demonstranten. Für Personen mit eingeschränkter Mobilität sei eine echte Teilhabe am Leben nicht möglich – das gelte nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für andere. Ein Fall sei ihm zu Ohren gekommen: Eine Mutter musste ihren Kinderwagen samt Kind alleine die Treppe heruntertragen. Sie stürzte, das Kind musste notärztlich versorgt werden. 

Große Kritik gab es auch an der Informationspolitik der Bahn – diese empfiehlt jeden Tag, rund um die Uhr, den Bus 451. Doch der fährt nur von Montag bis Freitag und auch nur bis 20 Uhr. Wer außerhalb dieser Zeiten unterwegs sein möchte, müsse „finanziell gut ausgestattet sein“. Eine andere Lösung kenne die Bahn nicht. Hinzu kommt, dass durch die streckenbedingt kleinen Busse jeweils nur ein Rollstuhl befördert werden kann. Als Alternative bleibt nur, 40 Minuten auf den nächsten Bus zu warten. 

„Wir dürfen uns nicht an diesen Zustand gewöhnen“, so Möllenhoff: „Wir sind nicht behindert, wir werden durch die Umstände behindert.” Der Organisator übte scharfe Kritik an der Staatsregierung: eigentlich sollte Bayern 2023 vollständig barrierefrei sein. Daher Möllenhoffs Appell: „Packt es endlich an!“ Denn Barrieren seien keine Unannehmlichkeiten, sondern Unannehmbarkeiten. 

Unter den Besuchern war auch die zweite Bürgermeisterin Maria Wirnitzer (SPD). Auch sie betonte, dass Barrieren alle beträfen. Gerade im Alltag sei Barrierefreiheit entscheidend, damit alle am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könnten. Sie wünschte sich ebenfalls ein deutlich ambitionierteres Engagement der Staatsregierung in Sachen Barrierefreiheit. 

Aus dem Gemeinderat waren zudem die Referenten für Mobilität, Josef Mittermeier (SPD) sowie Inklusion, Elisabeth Mundelius (Grüne), vor Ort. „Bei der Bahn gibt es nur Probleme, aber keine Lösungen“, so Mittermeiers Eindruck. Das Bussystem sei essenziell für die Gemeinde, auch wenn beispielsweise ein Betrieb über 20 Uhr hinaus oder am Wochenende wünschenswert sei. Mundelius bezeichnete die Kommunikationspolitik der Bahn, die auf Plakaten von einer „Frischekur“ für den Bahnhof spricht, als „sarkastisch“. 

Marte Balzer sprach von einem grundsätzlichen Problem – der Aufzug stehe symbolisch für strukturelle Diskriminierung. „Barrierefreiheit ist ein Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie“, so die Ebersbergerin. Barrierefreiheit sei ein Menschenrecht, kein „nice to have“. 

Neben den Sprechern waren viele Betroffene anwesend, darunter auch die Bürgerin Magdalena Bachmayr. Sie betonte, auf wie viel Hilfsbereitschaft sie stoße – immer wieder bieten ihr Passanten Hilfe an. „Die Hilfsbereitschaft ist wirklich enorm“, bestätigte Möllenhoff.

Bis mindestens Oktober ist die Hilfe auch nötig – bis dahin steht der Aufzug still. Die Arbeiten für den Austausch sollen laut Aussage eines Bahn-Sprechers am kommenden Montag beginnen. In Baldham nahm der Komplettaustausch rund zehn Monate in Anspruch. In Vaterstetten hofft man nun, dass die Bahn aus den Verzögerungen gelernt hat.