Weniger Personal, mehr Patienten

von b304

Prof. Dr. med. Viktoria Bogner-Flatz ist Chefärztin in der Kreisklinik Ebersberg und leitet seit Januar die Zentrale Notaufnahme. Kult-Regisseur Franz Xaver Bogner ist ihr Vater, Ehemann Wilhelm Radiologe und Oberarzt im LMU-Klinikum in Großhadern. LIVING&style hat mit der dreifachen Mutter über Personalnotstand, Wartezeiten, organisatorische Herausforderungen und die Auswirkungen des Oktoberfestes gesprochen – und darüber, was Patienten selbst dazu beitragen können, um die Notaufnahme zu entlasten.

Zu wenig Personal, Krankenhausbetten werden gesperrt, Operationen geschoben. Alles Schlagzeilen dieser Tage. Wie ist die Situation in Ebersberg? 

Prof. Dr. med. Viktoria Bogner-Flatz: Wir haben natürlich, wie alle, das Problem, dass sehr viele infiziert sind, und wir durch die Testpflicht in den Kliniken ein ganz gutes Spiegelbild der tatsächlichen Inzidenz haben. Uns fällt reihenweise Personal aus. Wir reagieren darauf mit Stufenplänen, in dem wir Personal intern in anderen Abteilungen einsetzen, um so leistungsfähig wie möglich zu bleiben, und die Patientenversorgung grundsätzlich aufrechterhalten zu können. Aber je höher die Personalausfälle werden, umso größer wird auch die Herausforderung. Und im Herbst wird sich die Situation mit Sicherheit noch verschärfen. Letztlich betrifft das aber nicht nur die kritische Infrastruktur, sondern die Infrastruktur ganz allgemein, wie wir beispielsweise auch an den Flughäfen sehen. 

Teilweise liest man auch, dass sich Kliniken von der Notfallversorgung abmelden. 

Dazu muss man aber wissen, dass das nicht heißt, dass diese Kliniken keine Notfälle mehr aufnehmen. Den absoluten Notfall nehmen wir, wann immer es geht, auf. Dazu gehören beispielsweise Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Unfallopfer. Diese Patienten müssen ohne Zeitverzug in eine Klinik und dort auch sofort behandelt werden. Mir ist das ganz wichtig, deutlich zu sagen: Wenn etwas zeitkritisch ist und wir die nächstgelegene Klinik sind, nehmen wir den Patienten in jedem Fall auf, wenn es uns irgendwie möglich ist. Im Grunde signalisiert man durch das Abmelden der Notfallversorgung bei der Rettungsleitstelle nur, dass es gerade eng ist.

Man hat den Eindruck, dass die Kreisklinik grundsätzlich besser aufgestellt ist, als manch anderes Krankenhaus. Täuscht das? 

Jede Klinik muss sich intern überlegen, in was sie investieren will und auf Dauer wird es kein Erfolgskonzept mehr sein, am Personal zu sparen. Und wenn man Schichtmodelle umstellt, Überstunden reduziert und Oberärzte einstellt, dann sichert das langfristig die Qualität eines Krankenhauses. Aktuell ist es aber, wie in anderen Bereichen auch, gar nicht einfach, qualifiziertes Personal zu finden. Aber je besser die Arbeitsbedingungen sind, je mehr man bietet – Stichwort Work-Life-Balance, aber auch Ausbildung – umso leichter ist es letztlich, jemanden zu finden und zu halten. Wir haben sehr viele Ärzte und pflegerische Mitarbeiter, die sind schon zehn Jahre und länger hier im Kreiskrankenhaus Ebersberg. Das zeigt natürlich, dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter sehr hoch ist. Obwohl das Umfeld der klinischen Medizin sehr anstrengend und anspruchsvoll ist. 

Zurück zum Patienten: Eine Forsa-Umfrage besagt, dass nur sechs von zehn Menschen, die in Notaufnahmen kommen, tatsächlich akute Fälle sind. Aber: Woher weiß ich als Patient, ob ich in der Notaufnahme richtig bin oder besser zum Hausarzt gehen soll? 

Das ist ein schwieriges Thema, denn eine Behandlungsdringlichkeit festzulegen, erfordert teilweise selbst von einem Arzt langjährige Erfahrung. Woher soll es dann der Patient besser wissen als wir. Der zweite Aspekt ist aber, dass es häufig um einfache Erkrankungen (Halsschmerzen) geht, mit denen man eben nicht sofort in die Notaufnahme fahren soll, sondern die der Hausarzt gut behandeln kann. Und der Hausarzt kann einen in der Regel auch sehr gut beraten, was zu tun ist. Und im Grunde sollte man, außer bei ganz schwerwiegenden Sachen wie starkem Brustschmerz, Atemnot oder einem schweren Unfall, zunächst den Hausarzt konsultieren. Jeder sollte sich die Frage stellen, ob er wirklich in die Notaufnahme muss. Denn wir gehen nach Dringlichkeit, nicht nach dem Zeitpunkt des Eintreffens in der Klinik. Daher ist mit Wartezeiten zu rechnen und wir schicken auch gelegentlich Patienten wieder weg, wenn sie kein Fall für die Notaufnahme sind. 

Das Krankenhaus ist natürlich aus Patientensicht „das attraktivere System“. Schließlich braucht man beim Hausarzt einen Termin, beim Facharzt bekommt man lange keinen. Die Klinik vereint viele Fachrichtungen unter einem Dach. Und man kommt, wann man will. 

Das stimmt grundsätzlich, aber als Klinik können wir das in dieser Form nicht leisten. Aber wir haben auch den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst in die Kreisklinik integriert, und es gibt durchaus Konzepte für die Zukunft, dass an einem gemeinsamen Tresen zentral entschieden wird, wer ein wirklicher Notfall ist und zur Notaufnahme muss, und wer eigentlich zum Hausarzt gehen sollte und dann in die Bereitschaftspraxis im Haus geschickt wird. 

Warum wurde das nicht längst umgesetzt? 

Das kommt ganz bestimmt früher oder später. Im Moment gibt es noch ein paar offene Fragen, was die Ausgestaltung angeht. In Ansätzen gibt es das aber schon, wenn man etwa die 116 117 anruft. Dort kann man sich beraten lassen, wenn man sich nicht sicher ist, wo man denn hingehen soll. Die wissen, welche Praxis Wochenenddienst hat, oder schicken einen Arzt vorbei oder reichen Notfälle auch an die Rettungsleitstelle weiter, dann kommt der Notarzt. 

Was reizt Sie eigentlich ganz persönlich an Ihrem Beruf? 

Das hat mehrere Facetten. Zum einen finde ich es sinnstiftend Menschen helfen zu können, auf der anderen Seite reizt es mich, organisatorische Abläufe zu optimieren. Mit drei kleinen Kindern lernt man schnell, sich zu organisieren. Das hilft mir auch im Job, aber das nur am Rande. Ich möchte einfach gerne tatkräftig mithelfen, das hohe Qualitätsniveau sicherzustellen. So etwas schafft man nur im Team. Es ist unglaublich, was die Kollegen leisten. Man darf nie vergessen, dass das nicht selbstverständlich ist. Und ich kann in Ebersberg meine langjährigen Erfahrungen am LMU-Klinikum Innenstadt, in dem ich die Notaufnahme leitete, im Zusammenhang mit dem geplanten Neubau der Notaufnahme einbringen. 

Auch, wenn es keiner mehr wirklich hören kann, aber das Thema ist ja nach wie vor aktuell: Wie ist die aktuelle Corona-Situation in der Kreisklinik? 

Insgesamt haben wir im Vergleich zum vergangenen Jahr um diese Zeit eine deutlich höhere Inzidenz. Und wir ringen zwar im Moment nicht um jedes Intensivbett, weil da Patienten mit Corona liegen, sondern mit Patienten, die wegen anderen Dingen kommen und zusätzlich auch Corona positiv sind. Das bereitet uns ein großes Problem, weil wir unter anderem Betten reduzieren müssen. Denn wenn jemand mit einem gebrochenen Bein kommt und Corona hat, können wir den natürlich nicht zu jemanden legen, der kein Corona hat. D.h. wir müssen diese Patienten isolieren und dadurch verlieren wir natürlich Zimmer und damit Betten. Dazu kommt, dass das Personal entsprechende Infektionshygiene betreiben muss. Sich beispielsweise jedes Mal komplett umziehen muss, wenn man das Zimmer betritt und wieder verlässt. Und dann ist es eben auch so, dass sich unser Personal im privaten Umfeld mit Corona ansteckt und dann ausfällt. Kurzum: Weniger Personal und gleichzeitig mehr Patienten – das ist aktuell unsere Herausforderung. 

Abschließend: Was erwartet uns im Herbst? 

Wir machen uns ehrlich gesagt Sorgen wegen des Oktoberfestes. Weil wir während der Wiesn in München und im Umland ein bis zu 30 Prozent gesteigertes Rettungsdienstaufkommen haben, und da weiß ich aktuell nicht, wie wir das in den Kliniken auffangen sollen, aufgrund der geringeren Kapazitäten. Und wenn dann danach die Zahl der Infektionen hochschnellt, was man ja nach dieser Massenansammlung befürchten muss, dann verschärft sich die Situation natürlich noch einmal extrem. Grundsätzlich appelliere ich an jeden Einzelnen, vielleicht die ein oder andere Corona-Präventionsmaßnahme, auch wenn sie freiwillig ist, durchaus weiterhin zu beherzigen. 

Vielen Dank für das Gespräch.