Sportverein trauert um Guido Müller

von b304

Die Leichtathletik-Abteilung des TSV Vaterstetten nimmt Abschied von Guido Müller, der am 9. Dezember 2025 wenige Tage vor seinem 87. Geburtstag gestorben ist.

Ein Nachruf mit vielen persönlichen Erinnerungen von Gerhard Zorn, seinem langjährigen Vereinskollegen:

Guido hat mich von Anfang an und immer wieder inspiriert. Das begann bei meinem ersten Wettbewerb, einer Bayerischen Meisterschaft 2004, als Guido in der M65 einen Weltrekord über 400 m lief, den ich erst halbwegs einschätzen konnte, als ich kurz darauf selbst einmal die 400 m lief und mit meinen damals 48 Jahren fünf Sekunden langsamer war. Vermutlich würde ich heute ohne Guido keine 400-m-Wettkämpfe machen, denn von alleine tut man sich diese Strecke nicht gerne an.

Unvergesslich ist mir auch, wie Guido 2009 als 70-Jähriger in der 4×200-m-Staffel unserer Startgemeinschaft mit Passau und Straubing mitlief und wir damals gemeinsam Deutscher Meister in der M50 wurden (siehe Foto unten). Er lief damals, mit 70 Jahren, noch unter 13 Sekunden auf 100 m.

Wir sind in all den Jahren immer wieder gemeinsam bei nationalen und internationalen Meisterschaften aufgetreten. Guido oft als Sieger – manchmal in sieben Disziplinen (100 m, 200 m, 400 m, kurze Hürdenstrecke, lange Hürdenstrecke, 4×100 m, 4×400 m). 

Die Rolle seiner Ehefrau

An dieser Stelle muss man Guidos Frau Helga erwähnen, die einen ganz großen Teil zu Guidos Erfolgen beigetragen hat. Guido konnte eigentlich – salopp formuliert – nur laufen. Dass er zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle am Start stand, ganz egal ob in Australien, Südkorea, USA oder in der Türkei, Italien, Spanien, Dänemark oder Polen, das ging ganz wesentlich auf Helga zurück. Sie organisierte Transport und Hotel, kannte Bus- und Metropläne am Wettkampfort und sorgte dafür, dass Guido nicht nur zu den Wettkämpfen, sondern auch zu den Siegerehrungen rechtzeitig antrat. Bei den Wettkämpfen saß sie stundenlang auf der Tribüne über der Ziellinie und teilte sich dieses Schicksal über viele Jahre mit meiner Ehefrau.

Zudem bestand Helga unnachgiebig auf einem nicht-sportlichen Rahmenprogramm, soweit dies in der Umgebung des Wettkampforts organisiert werden konnte. Ich hatte oft das Glück, in diese Aktivitäten eingeschlossen zu werden. Allerdings musste man sich vorher genau absprechen, denn das Handy wurde nur eingeschaltet, wenn man das vorher vereinbart hatte.

Weinflaschen als besonderer Antrieb

Guido war ein sehr kritischer Sportler, wobei er sein manchmal harsches Urteil ohne Ansehen der Person immer an den sportlichen Leistungen orientierte. Oft stand ich daneben, wenn ihm jemand stolz von einem Medaillengewinn berichtete. Wenn Guido dann nach der Zeit fragte, kommentierte er ohne Scheu: „Ah, das ist aber keine gute Zeit.“  Ich hatte das Glück, mit meinen Leistungen ein klein wenig über seiner Kritikgrenze zu liegen, so dass Guido es für Wert befand, mich über ein besonderes Angebot zu höheren Leistungen zu treiben. 

Viele Jahre teilte Guido mir seine jeweilige Jahresbestleistung über 100 m, 200 m und 400 m früherer Jahre mit. Verbunden damit war das Versprechen, mir eine gute Flasche Rotwein zu spendieren, wenn ich eine seiner Zeiten unterbieten würde, die er damals in gleichem Alter wie ich gelaufen war (siehe auch Bild weiter unten). Im Laufe der Jahre konnte ich es das eine oder andere Mal schaffen. Das Gute für mich war: Ich musste keine Gegenleistung erbringen, wenn ich seine Zeiten von früher nicht schaffte.

Guido hatte eine besondere Beziehung zu Zahlen, was sicher auch ein Faktor für seine erfolgreiche Berufstätigkeit war. Seine eigenen Ergebnisse und Platzierungen hatte er über Jahre hinweg im Kopf, oft auch die seiner Konkurrenten – und selbst meine Ergebnisse konnte er oft besser aufzählen als ich selbst. Falls mich jemand nach der Zahl meiner Deutschen Meistertitel fragen würde, hätte ich gerne Guido neben mir stehen, denn er hätte es vielleicht gewusst. 

Unverzeihlich war es für ihn, wenn bei Ehrungen oder in Zeitungsartikeln etwas verwechselt wurde oder ein Ergebnis falsch genannt wurde. Guido führte akribisch Buch, nicht nur über seine Wettkampfleistungen, sondern auch über Begleitumstände seiner Wettkampfreisen. Wenn eine nationale Meisterschaft zum wiederholten Male am gleichen Ort stattfand, kannte er nicht nur geeignete Restaurants, sondern auch deren Preise.

Guido und ich bei der DM 2014 in ErfurtPrevious

Unterwegs zu den Wettkämpfen

Im Sommer 2019 ging diese gemeinsame Zeit zu Ende. Am 12. Juli ging es das letzte Mal per Auto mit Guido, damals ohne Helga, zur Deutschen Meisterschaft nach Leinefelde-Worbis in Thüringen. Das Navi in meinem Auto wollte uns wohl noch besonders viel gemeinsame Zeit spendieren, denn die Routenführung war mehr als fragwürdig – wir brauchten am Ende fast sieben Stunden bis zum Wettkampfort.

Wie immer hatte sich Guido für die Fahrt mit nicht mehr ganz aktuellen Artikeln aus der SZ versorgt und freute sich ungemein darüber, dass er so viel vom mitgebrachten Material abarbeiten konnte. Ich erinnere mich gerne an unsere gemeinsamen Fahrten, insbesondere zum Seniorensportfest in Fürth, wenn er Helga oder mich auf einen interessanten Artikel aufmerksam machte und Helga und ich dann darüber diskutierten, ob der Artikel schon eine oder zwei Wochen alt war. Der darauf folgenden Aufforderung Helgas, während der Fahrt nicht nur zu lesen, sondern auch mal aus dem Fenster zu schauen, widersetzte er sich über all die Jahre beständig. Seine zunehmende Schwerhörigkeit unterstützte ihn dabei.

Guido ist mit seinem Abschied nach der Deutschen Meisterschaft 2019 in Leinefelde der Absprung zum richtigen Zeitpunkt gelungen. Das fiel ihm schwer, denn frisch in der Altersklasse M80 hatte er sicher schon die Veranstaltungen geplant, bei denen er die geltenden Welt- und Europarekorde verbessern würde. Wer ihn kannte und genau beobachtete, konnte aber schon eher feststellen, dass er bezüglich seiner sportlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr der Gleiche war. Ich erinnere mich an ein Abendessen in größerem Kreis, ich glaube es war ein Jahr zuvor bei einer Deutschen Meisterschaft, bei dem mehrere langjährige Freunde ihm nahelegten, seine sportliche Karriere zu beenden. 

Damals hoffte er noch, dass ihm seine Krankheit zumindest noch ein Jahr bei internationalen Wettkämpfen mit den gewohnten Erfolgen lassen würde. Er musste aber feststellen, dass ihm das nicht vergönnt war und entschied sich für die DM 2019 in Leinefelde als seinen Abschied vom aktiven Wettkampfsport. Damals sah er für sich weiterhin eine aktive Rolle bei seinem TSV Vaterstetten als Betreuer der Vereinsbestenliste, die alle Altersklassen umfasst und die für alle nachfolgenden Athletengenerationen im Verein eine Quelle dauernder Inspiration ist. Leider rückte diese Aktivität mit der Erkrankung seiner Ehefrau Helga, die ihn bei allen Aktivitäten rund um den PC immer unterstützte, in den Hintergrund. Beim Tod von Helga Ende 2022 war auch Guidos Krankheit schon so weit fortgeschritten, dass er diese Aufgabe nicht mehr ausfüllen konnte.

Meine Kontakte zu Guido beschränkten sich seitdem auf private Besuche, die ihm und mir viel Freude bereiteten, das letzte Mal vor wenigen Wochen. Er wusste, wie es um ihn steht – und trotzdem war im Gespräch manchmal noch der Schalk zu erkennen, so wie man ihn über die Jahre kennengelernt hatte. Wer Guido nicht näher kannte, konnte durch seine Kommentare leicht ein falsches Bild von ihm bekommen. Sein soziales Engagement blieb weitgehend unbekannt. 

Drei Jahre nach Helgas Tod ist nun auch Guido gestorben. Nicht nur wir vom TSV Vaterstetten, sondern auch der BLV und der DLV verlieren einen Ausnahmeathleten. Viele seiner internationalen Rekorde sind mittlerweile von anderen Athleten verbessert worden. In den Bestenlisten des Vereins wird er weiterhin eine Inspiration auch für diejenigen sein, die ihn nicht mehr persönlich erlebt haben.

Der Trauergottesdienst für Guido Müller findet am Donnerstag, den 18.12.2025, um 12.45 Uhr in der Aussegnungshalle des Nordfriedhofs München (Ungererstr. 130) statt.