„Endlich habe ich ein Smartphone, endlich kann ich mitreden…“, unter diesem Motto referiert der erfolgreiche, pädagogisch-therapeutische Medienberater Uwe Buermann (Jahrgang 1968) am 14.06. 19.30 Uhr an der Grundschule Vaterstetten. B304.de hat mit ihm gesprochen.
Er ist Vater dreier Kinder, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei IPSUM (Institut für Pädagogik, Sinnes- und Medienökologie) und Autor zahlreicher Fachartikel und Bücher und referiert am 14.06. über ein sehr aktuelles Thema, das viele Eltern täglich beschäftigt “Meine Kinder und ihr Handy” – wie sollen Erziehungsberechtigte gut damit umgehen.
B304.de: Das Handy erobert den Kinderalltag. Wie alt sollte ein Kind Ihrer Meinung nach mindestens sein, um ein eigenes Handy zu bekommen?
Uwe Buermann: So einfach ist das nicht zu sagen, denn es kommt ja sehr auf das Gerät an, je nachdem ob es ein einfaches Handy, ein Handy mit Kamera und Internetfunktion, oder ein Smartphone ist. Da ein Smarphone gleichzusetzen ist mit unkontrolliertem Internetzugang, sollte dieses Gerät erst ab 16 ausgehändigt werden. Ein einfaches Handy für die Erreichbarkeit unterwegs kann, je nach echtem Bedarf natürlich auch schon Kindern ausgehändigt werden.
B304.de: Alle Telefonanbieter haben spezielle Handy-Tarife und Angebote für Kinder im Programm – etwa Prepaid-Tarife, bei denen sich auch Funktionen, Apps und Internetseiten sperren lassen. Sehen Sie darin eine Lösung?
Uwe Buermann: Das kann eine Hilfe sein, aber der Austausch von Daten kann bei vielen Geräten auch auf anderem Wege stattfinden, z.B. ja auch über Bluetooth, so dass es nur ein bedingter Schutz ist.
B304.de: Diskussionen mit Kindern sind anstrengend, vor allem dann, wenn alle Klassenkameraden bereits ein Handy haben. Wie sollten Eltern auf den Gruppenzwang reagieren?
Uwe Buermann: Wie alle bisherigen Elterngenerationen vorher auch. Es gilt die Jugendlichen in der Auseinandersetzung zwischen Eigenständigkeit und Anpassung und Marketing zu begleiten und ihre Eigenständigkeit zu stärken. Gruppenzwang hat es immer gegeben und wird es immer geben, vor allem in der Pubertät. Hierbei brauchen die Jugendlichen Hilfe. Und Hilfe heißt Grenzen setzen! Ja, das ist mühsam und führt zu Konflikten, aber es ist auch heilsam. Wer keine Konflikte erlebt und durchsteht, sondern alles bekommt was er meint zu brauchen, wird nicht Konfliktfähig und demnach auch nicht sozialkompetent, sondern lediglich der ideale manipulierbare Konsument.
B304.de: Ein Handy gibt Eltern Sicherheit, wenn ihr Kind unterwegs erreichbar ist. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?
Uwe Buermann: Problematisch ist, wie bei anderen Dingen auch, nicht die Sache an sich, sondern die Dosis. Als Vater weiß ich, dass es Situationen gibt, wie z.B. längere Zugfahrten die im Alter von 13 Jahren absolviert werden müssen, in denen ein Mobiltelefon hilfreich für alle Beteiligten sein kann. Aber die permanente elektronische Anbindung kann entweder zu einer übermäßigen Kontrolle, zu mangelnder Eigenständigkeit, oder zu einer Scheinsicherheit führen. Denn spätestens ab 15 Jahren ist die Aussage des Jugendlichen am Handy “ich bin jetzt da und da”, mitunter nicht mehr viel wert. Alle Eltern sollten sich bewusst sein, dass es sich bei der mobilen Anbindung der Kinder auch immer um einen Balanceakt handelt und das individuell geschaut werden muss, wie man damit umgeht. Das heißt auch bei Geschwistern können unterschiedliche Umgangsformen unabhängig vom Alter, aber mit Rücksicht auf die jeweilige Persönlichkeit angebracht sein.
B304.de: Immer wieder heißt es: Handys bieten Kindern die Möglichkeit, Eigenverantwortung zu lernen. Oder etwa nicht?
Uwe Buermann: Ja und nein, zu wissen, dass ich im Notfall jemanden erreichen kann, kann mutiger und eigenständiger machen, aber auch leichtsinniger. Ein permanentes Rückversichern bei Eltern und in der Peergroup kann gerade die Eigenverantwortung untergraben und den Gruppenzwang erhöhen. Dies kann man gerade bei Mädchen beobachten die Kaufentscheidungen von den Rückmeldungen ihrer Freundinnen abhängig machen.
B304.de: Gibt es in Ihren Augen überhaupt einen sinnvollen, verantwortungsvollen Umgang mit dem Handy und wenn ja, wie sieht das konkret aus?
Uwe Buermann: Natürlich gibt es den! Hauptsächlich besteht er darin, dass die Geräte nur eingeschaltet und genutzt werden, wenn es wirklich nötig ist. Sobald ich mit anderen Menschen im Gespräch bin, beim Essen sitze, oder wichtige Aufgaben zu erledigen habe, sollte das Gerät ausgeschaltet oder zumindest ignoriert werden, schließlich gibt es auch ein unveräußerliches Recht auf Nichterreichbarkeit, das wurde bei den Menschenrechten seinerzeit nicht mit aufgenommen, sollte aber auf einem der obersten Plätze ergänzt werden.
B304.de: Welchen Sinn machen Handy-Regeln – etwa Nutzungszeiten etc., die von Eltern aufgestellt werden und welche Regeln empfehlen Sie?
Uwe Buermann: Nutzungszeiten können nur auf dem Wege geregelt werden, wenn das Gerät nur zu bestimmten Zeiten und / oder Anlässen ausgehändigt wird. Natürlich machen sie Sinn! Nachts sollte kein Kind oder Jugendlicher ein Handy oder gar Smartphone in seinem Zimmer haben, nur so ist die wohltuende Nachtruhe gewährt. Es sollten altersgemäße Regeln ausgehandelt werden wann und unter welchen Bedingungen das Gerät den Kindern leihweise zur Verfügung gestellt wird, am besten schriftlich, damit die Sache für alle Beteiligten klar ist und bleibt.
B304.de: Wenn ich meinem Grundschulkind bereits ein Handy geschenkt habe, ist dann alles verloren oder kann ich die Situation noch retten?
Uwe Buermann: Wussten Sie schon, dass Sie Ihrem Kind das Handy, bzw. präzise gesagt die SIM Karte gar nicht schenken können? Jede SIM Karte muss registriert werden, auf eine Person die mindestens 16 Jahre alt ist. Die Karte bleibt dauerhaft auf den Namen der Person registriert. Deshalb ist die Teilnahme bei Whats App auch erst ab 16 zulässig, da es zur Anmeldung einer Handynummer bedarf. Sollten Sie also diesem Fehler unterlegen sein und das Gerät ans Kind „verschenkt“ haben, wird es höchste Zeit dies zu korrigieren, noch ist sicher nicht alles verloren.
B304.de: Sollten Eltern eigentlich das Handy der Kinder regelmäßig überprüfen, oder riskiere ich dann das Vertrauensverhältnis?
Uwe Buermann: Je nach Gerät. Ein klassisches Handy muss ich nicht kontrollieren, aber wenn ich meinem Kind ein Smartphone leihe, ist dies unumgänglich, vor allem, wenn das Kind oder der Jugendliche unter meiner Rufnummer und damit unter meinem Namen bei Whats App teilnimmt, habe ich natürlich das Recht zu schauen, was es unter meinem Namen alles so von sich gibt. Auf diesem Wege können wir unseren Kindern auch beibringen, dass es im Internet keine Privatsphäre gibt, die gibt es im realen Leben.
B304.de: Aus Ihrer Erfahrung: Werden die Gefahren eines Handys in Kinderhänden von den Eltern unterschätzt und welche Gefahren sind das?
Uwe Buermann: Ja, leider keine Frage. Ich denke den meisten Menschen sind die Gefahren dieser Technik immer noch nicht bewusst. Die Datensammelwut der Anbieter, deren Vermarktung, die Überwachung durch Staaten, Firmen und vielleicht bald auch schon Versicherungen. Dann kommen noch all die für Kinder bedenklichen Inhalte die im Internet zur Verfügung stehen. Gruppenzwang, Mobbing, Sexting. Und nicht zuletzt die ganze Frage der Strahlenbelastung, die von allen Nutzern ignoriert wird, so wie Raucher nicht wahrhaben wollen, dass Rauchen und Passivrauchen schädlich sind, aber es ist so. Wir haben die Mobiltelefone seit 1989, viele der wirklichen Folgen, gesundheitlich wie gesellschaftlich und individuell, werden wir erst in 10 Jahren wirklich verstehen und begreifen, bis dahin werde einige auf der Strecke bleiben, schade um jeden Einzelnen. Aber das ist ja nichts Neues, denken sie nur an Asbest, ein hochgefeierter neuer Baustoff, auch damals gab es von Anfang an Warner, die allesamt zu Spinnern erklärt wurden, heute zahlen wir Millarden um das Zeug wieder los zu werden. Ich bin gespannt, wie die Menschen in 50 Jahren unseren bedenkenlosen Umgang mit diesen Geräten beurteilen werden.
Herr Buermann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Angaben zur Person: Uwe Buermann, geb. 1968, ist Lehrer für Computerkunde an der Freien Waldorfschule in Kiel, Gastdozent an den Waldorflehrerseminaren Kiel und Hamburg, freier Medien- und Suchtberater und seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter des IPSUM-Instituts.
Weitere Informationen auch unter: www.erziehung-zur-medienkompetenz.de
Vortrag an der Grundschule Vaterstetten, Wendelsteinstraße, 14.06. 19.30 Uhr, freier Eintritt.