Es gibt wenige Menschen, die jeder kennt. Den jeweiligen Papst vielleicht, einst Michael Jackson und ganz aktuell eventuell noch Justin Bieber. Nun gut, so bekannt ist die folgende Person nun nicht. Ihnen kennen zwar nicht Millionen, dafür aber mindestens 17.000 Kinder und multiplikativ deren Anzahl an Elternteile oder Familienangehörigen – alle aus dem nördlichen Landkreis Ebersberg. Von wem ist da wohl die Rede?
„Ich hatte rund 700 Kinder 24 Jahre lang die bei mir den Fahrradführerschein gemacht haben“, erzählt Harald Weinmann, „und rund 2.500 Schulweghelfer ausgebildet.“ Er ist Ex-Polizist, 40 Jahre lang war Weinmann im Dienst. Seit 1. Dezember dieses Jahres ist nun Schluss. Schluss auch mit seiner Berufung: Kindern den Straßenverkehr näherzubringen. Weinmann sitzt an diesem Dezembertag entspannt in einem Café in der Gemeinde Vaterstetten. Das Wetter draußen: ungemütlich. Seine Laune drinnen: blendend. Frisch im Ruhestand, lässt Weinmann uns rund drei Stunden teilhaben an seinen Geschichten und Erlebnissen. Nicht nur abseits von Kelle und Blaulicht scheinbar sein Grundprinzip: „Ich habe immer versucht mit den Leuten zu reden.“ Das Beispiel folgt prompt. „Bei den Kindern war es wichtig direkt zu erklären wieso ist hier ein Verbot oder was sind die Konsequenzen. Nur dann macht es für sie Sinn.“ Und das erklären geht bei acht bis zehnjährigen am besten durch einprägsame Begriffe und Gesten. Weinmann wurde kreativ, entwickelte beispielsweise den „Checker-Blick“. Erklärung gefällig? „Den Checker finden alle Kinder cool, das funktioniert. Damit wollte ich aufmerksam machen, dass sie alles erstmal durch Blicke unter Kontrolle bringen müssen auf der Straße.“
Aber nicht alle Kinder schaffen schließlich auch den Fahrradführerschein. Manche brauchen mehrere Anläufe, andere schaffen es auch nie. Lebensschule Fahrradführerschein? Zumindest die erste Konfrontation mit dem Scheitern. „Ich habe viele Tränen gesehen, einige haben es nicht geschafft, für die war es der 1. Misserfolg in ihrem Leben. Aber ich habe immer gesagt ‚Probiert es weiter’“. Mut zusprechen, aber auch in schwierigen Situationen ansprechbar sein. Das war Aufgabe von Harald Weinmann als Schulverbindungs- und Präventionsbeamter. Seine Prämisse bei Jung & Alt: die Goldene Regel von Kant. Damit sei er „relativ gut um die Runden gekommen“. Auch, trotz manchmal buchstäblich fast unglaublich wirkender Geschichten, die Weinmann in dem geselligen Gespräch verrät. Ein Kind beispielsweise, das weit vor der Pubertät, im zarten Grundschulalter, ein anderes im Schulbus attackiert und überfällt. Oder ein anderes Kind, dass so gefürchtet ist, dass es ein Verbot bekommt, das Schulhaus zu verlassen und somit auch nicht zum Verkehrsübungsplatz für den Fahrradführerschein darf.
Das einzige das hier, seiner Meinung nach, hilft: Reden. Doch Weinmann weiß, so lehrt ihn seine Erfahrung, dass Reden und Hoffen auf das Gute eben nicht immer reicht. Wenn manchmal das Böse erwacht und die Kinder von einst, die Straftäter von jetzt werden. „Bei einigen war mir schon klar, dass ich sie später nochmal auf dem Revier sehen könnte. Oftmals passierte dann auch genau das.“
Der moralische Kompass allgemein und der Respekt gegenüber der Polizei verliert in der heutigen Generation immer mehr an Gewicht. Weinmann sieht diese Entwicklung als Gefahr. Nicht nur für den Polizisten-Beruf, sondern für die Gesellschaft. Als Beispiel führt er, ganz eigen, den Verkehr an: „Bei kleineren Verkehrsdelikten habe ich lieber mit den Leuten geredet und es gebührenfrei gelassen. Ich war der Überzeugung, dass das mehr bringt. Heutzutage geht es ohne Geldstrafe oftmals nicht, ansonsten reagieren die Menschen gar nicht mehr.“ Ist der moralische Verfall unserer Gesellschaft also eng gekoppelt mit dem Autoritätsverlust? Und wenn ja: was hilft dagegen? „Der erste Kontakt mit Kindern ist wichtig. Wir haben deshalb Kindergarten-Besuche unternommen“, erzählt Weinmann. Natürlich könne man nicht jedem Kindergarten aus dem Einsatzgebiet der Polizei Poing (Anzing, Forstinning, Markt Schwaben, Pliening, Poing, Vaterstetten und Zorneding) einen Besuch abstatten, helfen tut es trotzdem allemal. „Früher da kam der Polizist und dann war Ruhe. Heute wird zum Beispiel selbst das Rettungspersonal angepöbelt.“ Deshalb: der erste Kontakt umso wichtiger. Aber auch wie Polizisten im Fernsehen dargestellt wird sei nicht immer ganz realitätskonform, wie Weinmann bedauert.
Auf seine vier Jahrzehnte blickt er glücklich zurück und dür sich selbst glaubt Weinmann meistens „die richtige Entscheidung“ getroffen zu haben. Jeder Tag bietet andere Aufgaben, als Polizist ist der kleinste Fehler schon fahrlässig. Die Maßnahmen müssen zur Situation passen. Phlegmatisch zu sein, sei als Polizist deshalb absolut fatal.
Der 60-jährige weiß wovon er spricht. Ein Buch könnte er problemlos schreiben. Stets neue Sachen hat er erlebt und noch viel wichtiger dabei: sie haben ihn nachhaltig geprägt und als Mensch und Polizist wahrscheinlich wachsen lassen. Egal, ob es Schichtdienst-Einsatz, Flugzeugabsturz oder ein Schusswechsel, sein Berufsleben war dabei stets interessant und auch ein bisschen gefährlich. „Als Polizist stehst du immer mit einem Fuß an der Grenze und musst die Entscheidung korrekt treffen.“ Das sei die Herausforderung. Doch trotz Dienstorden: Weinmann versuchte immer ein bisschen mehr für seine Mitmenschen zu sein. Ein Helfer, der da ist, wenn man ihn braucht: „Ich habe immer gesagt ich stehe auch so zur Verfügung. Ich hoffe, dass ich ein paar Leuten habe helfen können.“
In Markt Schwaben ist Harald Weinmann aufgewachsen und hat auch sein Leben lang gewohnt. Die Dienststelle im nahegelegenen Poing, für viele seiner ehemaligen Kollegen oft nur eine Durchgangsstation, für ihn jedoch konstante Heimat- und Arbeitsstätte zugleich. Einige Gesichter aus der Verkehrsübungszeit kennt er selbst noch, besonders lieb waren ihm „Lausbuben“. Denn Humor, sofern er keine Grenzen überschreitet sind Weinmanns Ding. Während des Gesprächs lacht er viel, erzählt die zahlreichen Anekdoten pointiert und witzig. Stolz klingt mit, wenn er Momente schildert, in denen er von mittlerweile erwachsenen Ex-Schülern wiedererkannt wird. „Ich oder auch die Jugendverkerhsschule muss in Erinnerung geblieben sein“, sagt er mit Freude, die in sanfte Demut übergeht. Aber auch vermeintlich schwierige Momente, die eine Erfahrung und Herausforderung sind, bleiben wohl für immer hängen. Von einem E-Rolli-Fahrer auf dem Verkerhsübungsplatz oder Flüchtlingen, die kaum ein Wort Deutsch sprachen und denen er helfen sollte beim Fahrradfahren: das Berufsleben Weinmanns als Verkehrserzieher war gespickt voller kleiner großer Glücksmomente. Und das, obwohl Weinmann früher alles außer Lehrer werden wollte: „Gesamtgesehen meine Entscheidungen oder auch das ich Verkehrserzieher geworden bin, habe ich nicht bereut.“ Weinmann überlegt kurz ehe er folgenden Nebensatz fallen lässt: „…und auch, dass ich doch Lehrer geworden bin.“
Zum Abschluss des Gesprächs verrät er, dass der Verkehr ihn auch im Ruhestand nicht ganz loslässt. Denn sein größtes Hobby sind Modellautos und Oldtimer. Von den Nachbauten hat er mehrere tausend Stück, die er selbst zusammenbastelt, die raren alten Wägen ein Traum, den er sich nun vielleicht erfüllen will? „Wer weiß, vielleicht lege ich mir ja einen Opel GT 1971 oder einen BMW 3.0 CSi bei Gelegenheit zu. Alles was mit Verkehr zu tun hat, hat mich schon immer fasziniert.“