Wenn in der kalten Jahreszeit, Wege und Straßen glatt sind, passieren mehr Unfälle. Dann kann jeder als Ersthelferin oder Ersthelfer gefragt sein. Prof. Dr. Viktoria Bogner-Flatz, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme, möchte Menschen ermutigen, einzugreifen.
Sie arbeiten schon viele Jahre als Notfallmedizinerin. Wie hat sich die Bereitschaft der Menschen, Erste Hilfe zu leisten, Ihrer Beobachtung nach entwickelt?
Prof. Viktoria Bogner-Flatz: Mein Eindruck ist, dass es zunehmend mehr umgesetzt wird. Ich sehe es mit wirklicher Freude, wenn ich höre, dass meinen Patientinnen und Patienten durch Laien Erste Hilfe geleistet wurde. Denn das macht einen gewaltigen Unterschied für die Menschen. Ich muss sagen, dass beispielsweise die Polizei und die Feuerwehren in dieser Hinsicht sehr gut geschult sind und sehr viel dazu beitragen, dass häufiger das Richtige geschieht.
Aber oft ist eben auch nicht die Zeit, um auf Polizei, Feuerwehr, Sanitäter oder Notarzt zu warten. Und deshalb finde ich es als Notärztin unverständlich, wenn Passanten lieber auf einen gestürzten Radfahrer gaffen, anstatt zu helfen. Denn in so einem Fall kann es auch schon Erste Hilfe sein, wenn ich dem gestürzten Radfahrer beistehe, bis er medizinisch versorgt wird.
Wenn Sie nicht als Notärztin unterwegs sind, sondern in der Kreisklinik Ebersberg in der Zentralen Notaufnahme arbeiten: Bekommen Sie und Ihr Team bei nicht ansprechbaren Patienten überhaupt mit, ob Erste-Hilfe geleistet wurde?
Prof. Bogner-Flatz: Mittlerweile gehört es in einem Schockraum in einer Notaufnahme bei Reanimationen zur festen Abfrage bei der Übergabe mit den Rettungsdiensten, ob es eine sogenannte Laienreanimation gegeben hat. Denn die Antwort darauf ist für die Prognose der Betroffenen entscheidend. Ersthelfern wird manchmal, ob sie es wollen oder nicht, wirklich die Entscheidung über Leben und Tod in die Hände gelegt.
Das klingt sehr einschüchternd für jeden Menschen, der nicht in einem medizinischen oder pflegerischen Beruf arbeitet. Da könnte man ja auch den Mut verlieren, Erste Hilfe zu leisten, bevor man etwas falsch macht, oder?
Prof. Bogner-Flatz: Nein, ganz und gar nicht. Denn alles ist besser, als nichts zu tun. Oder noch deutlicher: Nichts tun ist das Falscheste! Es kann durch Erste Hilfe nichts schlechter werden! Selbst dann nicht, wenn man etwas nicht richtigmacht. Es gibt sogar Studien, die das belegen. Überhaupt Hilfe zu rufen, also beispielsweise die 112 zu wählen, geht doch immer, oder? Disponenten können über das Telefon Laien auch anleiten, was sie tun können. Oft ist man ja auch von anderen Menschen umgeben und kann sich Helfer dazu bitten und delegieren, wer was macht: Verkehr regeln, Hilfskräfte auf den Einsatzort aufmerksam machen. Man kann vieles, in der Ersten Hilfe entkoppeln. Es muss nicht eine Person alles alleine machen.
Fallen Ihnen besonders positive Beispiele ein, die Ihnen begegnet sind? Also Situationen, in denen Ersthelfer den entscheidenden Anteil daran hatten, dass jemand überlebt hat?
Prof. Bogner-Flatz: Ich denke da an einen Mann Mitte 30, Teamleiter, der während eines Morgenbriefings einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten hatte. Eine Mitarbeiterin hat sofort mit der Reanimation begonnen. Sie hat das fünf, sechs Minuten durchgehalten. Das ist körperlich sehr anstrengend. Dann kam der Notarzt dazu. Der Mann hat nicht nur überlebt, er hatte später auch keine neurologischen Defizite. Einfach, weil diese Frau sofort gehandelt hat.
Die Herzdruck-Massage ist in Erste-Hilfe-Kursen immer fester und wichtiger Bestandteil. Oft sind aber andere Erste-Hilfe-Maßnahmen gefragt. Gibt es einen Tipp, den Sie allen an die Hand geben möchten?
Prof. Bogner-Flatz: Wir erleben es leider immer wieder, dass wir schlecht zu Verletzten hinkommen, weil Menschen umherstehen, ohne zu helfen. Deshalb kann es auch ein wichtiger Teil der Ersten Hilfe sein, zu überlegen: Wenn ich in der Situation wäre, was würde ich mir wünschen? Würde ich wollen, dass mich Fremde in so einer Hilflosen Situation anstarren? Wenn verletzte Menschen ansprechbar sind, kann man ja auch fragen, ob sie gerade etwas brauchen, das Ihnen hilft.
Und natürlich möchte ich es jedem ans Herz legen, regelmäßig Erste-Hilfe-Kurse zu absolvieren.
Interview: Katharina Ober
Foto: Prof. Viktoria Bogner-Flatz möchte als Chefärztin der Zentralen Notaufnahme der Kreisklinik Ebersberg Menschen ermutigen, Erste Hilfe zu leisten.