Das kbo-Isar-Amper-Klinikum in Haar stellte am vergangenen Wochenende der Öffentlichkeit Bautafeln vor, die an die Verbrechen erinnern sollen, die unter den irreführenden und verharmlosendem Begriffen von Rassenhygiene und „Euthanasie“, dem angeblichen Gnadentod, in der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar begangen wurden. Die vier Bauelementen wurden in geschwungener W-Form direkt beim Eingang des Klinikums vor dem Verwaltungsgebäude aufgestellt.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar – dieser Artikel unseres Grundgesetzes ist sicherlich der bekannteste, vielfach zitiert in vielen Reden. Aber geschah nicht genau dies zwischen den Jahren 1933-1945, war die Würde des Menschen in unserem Klinikum in der NS-Zeit eben doch antastbar? Die Würde des Menschen, der Patient*in, war für die Täter*innen antastbar, sie wurde gebrochen und mit Füßen getreten”, betont Prof. Dr. Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums. Für die Täter*innen, für die sinnbildlich und stellvertretend der damalige Krankenhausdirektor Hermann Pfannmüller steht, hatten diese Menschen keine Würde, sie wurden vielmehr als „lebensunwert“ und als „gesellschaftlicher Ballast“ eingestuft.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, der zur Präsentation der Tafel nach Haar gekommen war, betonte: „Es liegt in unserer Verantwortung, alles dafür zu tun, dass sich so etwas nicht wiederholt. Umso mehr begrüße ich, dass uns das Klinikum mit seiner aktiven Erinnerungskultur die entsetzlichen Folgen von Ausgrenzung und Diskriminierung zeigt.“
Der Minister ergänzte: „Psychische Erkrankungen können jeden treffen und dürfen nicht stigmatisiert oder tabuisiert werden. Betroffene dürfen sich keinesfalls ausgeschlossen fühlen, sondern von der Gesellschaft angenommen. Die Erinnerung und das Gedenken als Fundament für die Gegenwart und insbesondere unsere Zukunft lebendig zu halten – daran müssen wir alle gemeinsam weiter arbeiten.“
„Wir möchten unsere Erinnerungskultur mit dem Blick in die Zukunft gestalten. Ihre Richtschnur und ihr Kompass kann nur sein: Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heute und morgen, betonte Bezirkstagspräsident Josef Mederer
Die Morde und Verbrechen fanden nicht an einem einzigen Ort in Haar statt – vielmehr geschahen sie in mehreren Gebäuden, die auch heute noch genutzt werden: sei es als Apotheke, als Station wie die Häuser 10 und 22 oder als Ort des Lernens und der Zukunft wie Haus 25, in dem heute die Berufsfachschulen untergebracht sind. Hinzu kommen historische Orte wie die Prosektur in Haus 33, der Friedhof oder die „Rampe“, des ehemaligen Bahnanschlusses. Die Bautafeln dokumentieren auch Orte im ehemaligen Klinikareal Haar II, dem heutigen „Jugendstilpark“: Im ehemaligen Haus 61 befand sich die Kinderfachabteilung und im ehemaligen Haus 70, dem heutigen Kindergarten der Gemeinde Haar, das damalige Kinderhaus. Allein 332 Kinder wurden damals ermordet.
In der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing–Haar starben nicht „nur“ Haarer Patient*innen; vielmehr war die Anstalt ein Drehkreuz und eine Durchgangsstation für Patient*innen anderer Anstalten, die in Haar auf die Deportation in die Tötungsanstalt warten mussten bzw. bewusst dem Hungertod überlassen wurden. Der erste Transport psychiatrischer Patient*innen in eine Tötungsanstalt überhaupt kam aus Haar. Die 25 Männer, die am 18.1.1940 von Haar nach Grafeneck deportiert wurden, waren die ersten psychiatrischen Patient*innen, die während der NS-Diktatur ermordet wurden. Auch dies ist ein historisches Erbe des Klinikums.
Mehrere tausend Patient*innen der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar wurden während der NS-Diktatur hier oder in einer Tötungsanstalt ermordet. Ihre Schicksale und ihre Lebensgeschichten wirken bis heute nach; im Klinikum ebenso wie in vielen Familien, in denen sich Angehörige bis heute die Frage stellen, auf die es keine verbindliche und allgemeingültige Antwort gibt: warum wurden meine Oma und Tante, warum wurden mein Opa und Onkel ermordet? Und warum hat niemand geholfen, warum ist niemand eingeschritten?
“Beides wurde bewusst gewählt, die Art und Form der Bautafeln und der Ort. In den nächsten Jahren wollen wir mit verschiedenen Bau- und Gestaltungsmaßnahmen die Erinnerung an diese Orte und Geschehnisse darstellen und unsere Klinik so auch zu einem Lern- und Erinnerungsort machen. Wir geben den Opfern ihre Namen und Geschichten zurück, welche die Nazis ihnen nehmen wollten. Die Bautafeln kündigen diesen Prozess an”, so Henner Lüttecke, Öffentlichkeitsarbeit am kbo-Isar-Amper-Klinikum.